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Armenien reformiert sein Gesundheitswesen
Der Startschuss zur Einführung einer allgemeinen Krankenpflichtversicherung soll in einigen Monaten erfolgen. Neue Modernisierungs- und Ausbauprojekte sind in Sicht.
19.08.2022
Von Uwe Strohbach | Eriwan
Armeniens langjährige Vorbereitung einer Krankenpflichtversicherung tritt in die Abschlussphase. Umgesetzt wird das Reformprojekt voraussichtlich ab 2023/2024. Auf mittlere Sicht dürfte sich die medizinische Versorgung der Bevölkerung damit deutlich verbessern. Dem heute stark unterfinanzierten Gesundheitswesen wird dieser Schritt stabile Einnahmen bescheren und mehr Kapital in die Gesundheitsfürsorge spülen.
Krankenpflichtversicherung ist Kernelement der Gesundheitsreform
Die Regierung arbeitet intensiv an der rechtlichen und fachlichen Ausgestaltung des geplanten Versicherungssystems.
Reformziele sind:
- die Schaffung optimaler Preisstrukturen für medizinische Leistungen,
- der Ausbau eines automatisierten Informationssystems,
- die Errichtung eines transparenten Beschaffungssystems für Gesundheitsdienste und
- die finanzielle Absicherung des Gesamtprojekts.
Bisher erwägt die Regierung einen Beitragssatz von 6 Prozent des Bruttolohns. Davon entfällt jeweils die Hälfte auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Nichtsozialversicherungspflichtige Beschäftigte müssen voraussichtlich einen fixen Versicherungsbeitrag leisten. Die Pflichtversicherung soll den privaten Kostenanteil der Bevölkerung an den Gesundheitsausgaben von heute sehr hohen über 80 Prozent auf 40 Prozent senken. Gegenwärtig betragen die jährlichen Pro-Kopf-Ausgaben für die Gesundheitsfürsorge bescheidene gut 500 US-Dollar (US$), so das Gesundheitsministerium.
Seit 2001 gibt es in Armenien lediglich staatlich finanzierte Grundleistungen für die Gesundheitsfürsorge (Basic Benefit Package). Nutznießer sind bedürftige Bevölkerungsgruppen, Kinder, schwangere Frauen und Teilnehmer nationaler Gesundheitsprogramme. In der Realität deckt das Basispaket aber nur einen Teil der Kosten ab. Die Patienten müssen weiterhin hohe private (informelle) Zahlungen leisten. Freiwillige Krankenversicherungen, über die nur etwa 2 Prozent der Armenier verfügen, machen nur einen Bruchteil der gesamten Gesundheitsausgaben aus.
Vielfältige Programme und Aktionspläne
Die armenische Regierung hat in letzter Zeit neue Programme und Strategien für die Gesundheitsfürsorge auf den Weg gebracht oder plant dies in naher Zukunft. Das Maßnahmenbündel ist breit gefächert. Es reicht von der Errichtung eines landesweiten Laborsystems über die Bekämpfung schwerer Krankheiten, die Immunprophylaxe bis hin zur Schaffung von Kinderwunschpraxen und Kinderkliniken.
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Die Programme und Pläne finanzieren sich hauptsächlich aus dem Staatshaushalt. Die Regierung kann aber auch begrenzt auf internationale Darlehen und verlorene Zuschüsse zurückgreifen. So gewährt der Eurasische Stabilisierungs- und Entwicklungsfonds Zuschüsse für die Prophylaxe und Früherkennung besonders häufiger nicht infektiöser Krankheiten. Die Weltbank und die Asiatische Entwicklungsbank sind in Gesundheitsprogramme und in den Ausbau der primären medizinischen Versorgung involviert.
Zahlreiche kleinere medizinische Objekte geplant
Die mittelfristig geplanten Investitionen in die Modernisierung und in den Neubau öffentlicher medizinischer Objekte summieren sich auf umgerechnet mindestens 40 Millionen US-Dollar (US$). Die Projekte sind im Regierungsprogramm für die Jahre 2021/2022 bis 2025/2026 aufgelistet. Hinzukommen noch einige privat finanzierte Erneuerungs- und Ausbauvorhaben.
Projekt | Investitionssumme (in Mio. US$) *) | Geplante Realisierung (Zeitraum) |
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Nationales Zentrum für psychische Gesundheit des Ministeriums für Gesundheitswesen in Eriwan (Modernisierung) | 10 | 2021/2022 bis 2025 |
Medizinisches Zentrum für Brandverletzungen, Dermatologie und Traumatologie in Eriwan (Neubau) | 10 | 2022 bis 2026 |
Nationales Zentrum für Infektionskrankheiten des Ministeriums für Gesundheitswesen in Eriwan (Modernisierung) | 6 | 2022 bis 2025 |
Medizinisches Zentrum Nairi, Stadt Jeghward/Provinz Kotajk (Neubau) | 6 | 2022 bis 2025 |
Filiale des Nationalen Zentrums für Kontrolle und Prophylaxe von Erkrankungen in der Provinz Armavir (Modernisierung) | 5 | 2022 bis 2023 |
Medizinisches Zentrum Artik, Provinz Schirak (Neubau) | 4 | 2024 bis 2026 |
Medizinische Zentren Masis/Provinz Ararat, Taschir/Provinz Lori (Neubau) | jeweils 4 | 2022/2023 bis 2025 |
Medizinische Zentren Sisan/Provinz Sjunik, Talin und Aschtarak/Provinz Aragatsotn, Wedi/Provinz Ararat, Mezamor/Provinz Armavir und Wardenis/Provinz Gegharkunik (Modernisierung) | jeweils 3 bis 4 | 2021/2022 bis 2024/2025 |
Krankenhaus Wagharschapat, Provinz Armavir (Modernisierung) | 3 | 2022 bis 2025 |
Polikliniken Nor Hatschn/Provinz Kotajk, Gjumri/Provinz Schirak (3 Objekte), Wanadsor/Provinz Lori, Kapan und Goris/Provinz Sjunik, Arataschat und Ararat/Provinz Ararat und Wajk/Provinz Wajos Dsor (Modernisierung) | jeweils 2 bis 3 | 2023 bis 2026 |
20 kleinere medizinische Einrichtungen für die medizinische Primärversorgung in 10 Provinzen | 4 | 2023 bis 2026 |
Regierung legt Fokus auf ambulanten Gesundheitssektor
Die aktuellen und geplanten Gesundheitsprogramme und Investitionen sind vorrangig auf die Stärkung der Primärversorgung, dass heißt auf den ambulanten Gesundheitssektor, ausgerichtet. So soll der rudimentäre primärärztliche Sektor, insbesondere in den Regionen des Landes, entwickelt werden. Ziel ist es, nicht erforderliche teure Behandlungen in spezialisierten Versorgungseinrichtungen und unnötige stationäre Aufnahme von Patienten einzudämmen. .
2018 | 2019 | 2020 | |
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Bevölkerung (Jahresdurchschnitt, in Mio.) | 3,0 | 3,0 | 3,0 |
Durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt (in Jahren) | 75,9 | 76,5 | 73,5 |
Frauen | 79,0 | 79,5 | 78,6 |
Männer | 72,4 | 73,1 | 68,4 |
Anzahl der Ärzte (in 1.000) | 13,7 | 14,0 | 14,4 |
Anzahl der Ärzte auf 10.000 Einwohner | 45,1 | 47,2 | 48,6 |
Anzahl der Zahnärzte | 1.546 | 1.691 | 1.744 |
Anzahl der Krankenhäuser | 124 | 125 | 126 |
Anzahl der Betten (in 1.000) | 12,2 | 11,8 | 12,9 |
Anzahl der Betten auf 10.000 Einwohner | 41,0 | 38,8 | 43,4 |
Anzahl medizinischer Einrichtungen für die Primärversorgung | 501 | 494 | 500 |
Anzahl der Patientenbesuche (Gesamtjahr, in Mio.) | 12,1 | 12,1 | 10,2 |
Anzahl der Notfallambulanzen | 72 | 66 | 69 |
Das Gros der medizinischen Einrichtungen in Armenien ist staatlich. Sie arbeiten aber zumeist nach den Prinzipien der wirtschaftlichen Rechnungsführung und treffen wichtige Entscheidungen in Eigenregie. So legen sie Preise für Gesundheitsleistungen und den Personalschlüssel fest.
Knapp ein Drittel der Krankenhäuser und Krankenhausbetten sowie ein Fünftel der medizinischen Einrichtungen für die Primärversorgung befinden sich in privater Hand. Schätzungen zufolge ist gut die Hälfte aller Praxen und Kliniken in der Hauptstadt Eriwan privat. In den Regionen ist dieser Anteil mit weniger als einem Sechstel erheblich geringer.
Bezeichnung | Anmerkung |
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Deutscher Wirtschaftsverband Armenien (DWA, German Business Association Armenia) | Vertretung der deutschen Wirtschaftsinteressen vor Ort (Beratung für den Markteintritt, Personalsuche, Büro-Services) |
Oberste Behörde für die Gesundheitsfürsorge, Hauptpartner für ausländische Investoren und Lieferanten im Gesundheitswesen | |
Staatliche Agentur für Gesundheitswesen | zuständig für den Einkauf von Gesundheitsleistungen durch öffentliche und private Anbieter (zur Sicherung der staatlich garantierten medizinischen Grundleistungen) und das Monitoring der Zahlungen |
Health Project Implementing Unit (HPIU) | Planung, Implementierung und Kontrolle international finanzierter oder kofinanzierter Projekte im Gesundheitswesen |
Beschaffungsportal Procurement/Gnumner | Zentrales öffentliches Beschaffungsportal des Ministeriums für Finanzen |
NEHO CJSC (Armed) | Nationaler Betreiber des E-Health-Systems in Armenien, aktuelle Leilinien/Pläne: Armenian eHealth Strategy and Action Plan for 2021-2023 |
HENAR Foundation (Health Network for Armenia) | Neue gemeinnützige Stiftung und Plattform für die Förderung der Reformen und Netzwerkbildung im Gesundheitswesen (Schwerpunkte: Primärversorgung, digitale Transformation sowie Aus- und Weiterbildung von Fachkräften) |
Gesundheitswesen und Pharmazie Expo Eriwan, Logos Expo Center | Internationale spezialisierte Fachmesse, nächster Jahrgang: 28. bis 30. Oktober 2022 |