Der Andenstaat verfügt über ein gut entwickeltes Ökosystem für Start-ups und ist ein beliebtes Sprungbrett in weitere Länder der Region. Was macht Chile so attraktiv?
Zwar spielt Chile nicht in der ersten Liga der internationalen Start-up-Szene. Doch innerhalb Lateinamerikas kommt es auf Platz 3 unter den besten Start-up-Ökosystemen – nach dem weitaus größeren Brasilien und dem aufstrebenden Kolumbien. Weltweit rangiert der Andenstaat unter 100 bewerteten Ländern auf Platz 37. Dies geht aus dem Ranking "Global Startup Ecosystem Index Report 2025" von StartupBlink hervor.
Chile liegt lateinamerikaweit auf Platz 3Ranking der besten Start-up-Ökosysteme in LateinamerikaLand | Regionales Ranking | Globales Ranking | Rangveränderung im Vergleich zu 2024 |
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Brasilien | 1 | 27 | unverändert |
Kolumbien | 2 | 36 | +2 |
Chile | 3 | 37 | +2 |
Mexiko | 4 | 43 | -2 |
Argentinien | 5 | 46 | -4 |
Uruguay | 6 | 61 | -3 |
Peru | 7 | 67 | +2 |
Costa Rica | 8 | 73 | +2 |
Panama | 9 | 86 | -2 |
Ecuador | 10 | 93 | +1 |
Quelle: Startup Ecosystem Report 2025 von StartupBlink 2025
Stabilität und große Chancen in der Region
Auch wenn die Wachstumsmöglichkeiten in Chile aufgrund des kleinen Binnenmarkts mit rund 20 Millionen Einwohnern und einer wenig aufgefächerten Industriestruktur begrenzt sind, bieten sich dennoch viele Chancen. So ist das Land mit seinem stabilen politischen Umfeld und sicheren Rechtsrahmen ein guter Ausgangspunkt zur Bearbeitung anderer Länder in der Region. Dies gilt besonders für Märkte, die zwar interessant sind, aber nicht das gleiche Maß an institutioneller Sicherheit bieten – etwa Peru oder Argentinien. Überdies nehmen Start-ups von Chile aus auch immer wieder erfolgreich die USA ins Visier.
Kulturelles Soft-Landing
Aus deutscher Sicht interessant: Chile ist nicht nur deutsch-affin, auch der Kulturschock dürfte aufgrund der kulturellen und institutionellen Ähnlichkeit viel geringer ausfallen als etwa in Bolivien. Ein zusätzlicher Bonus ist die Mitgliedschaft Chiles in der Freihandelszone Pazifische Allianz (Alianza del Pacífico), der auch Kolumbien, Mexiko und Peru angehören. Hinzu kommen Freihandelsabkommen mit 18 Ländern sowie das modernisierte Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union, dessen Handelsteil seit dem 1. Februar 2025 in Kraft ist.
Für Chile spricht insbesondere die große Offenheit gegenüber ausländischen Talenten und Start-ups. Du musst kein Chilene oder keine Chilenin sein, um von Startup Chile unterstützt zu werden; Startup Chile hilft dir auch, ein Visum zu bekommen, das ist zum Beispiel ein ganz großer Unterschied zur Visa-Situation in anderen Ländern.
Pamela Valdivia
Repräsentantin des Freistaats Bayern für Südamerika in Santiago de Chile und neben Chile zuständig für die Länder Argentinien, Kolumbien, Peru und Uruguay
Diese positiven Eigenschaften dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gesamtregion Lateinamerika/Karibilk nicht zu den prioritären Zielen von Start-up-Investoren zählt. Laut Asociación Chilena de Venture Capital (ACVC) flossen 2023 nur 1,3 Prozent aller weltweiten Investitionen in Start-ups in der Region – aber 53 Prozent in die USA, 22 Prozent nach Asien und 20 Prozent nach Europa. Davon entfielen 82 Prozent auf Brasilien, Mexiko und Kolumbien, während Chile lediglich 6 Prozent der Venture-Capital-Investitionen anziehen konnte.
Neue Perspektiven für Chile im Zuge der geopolitischen Umbrüche
Allerdings sollten Chile und die Gesamtregion angesichts der weltpolitischen Änderungen und der zunehmenden Unsicherheit in den USA 2025 und darüber hinaus mehr Aufmerksamkeit erhalten, meint Chris Thompson, Scout Manager beim Accelerator Magical in Santiago.
Chile kann sich neu positionieren. Bislang hat Chile versucht, das Start-up-Ökosystem des Silicon Valley zu kopieren. Doch nun haben wir in Lateinamerika angesichts der weltweiten geopolitischen Umbrüche gute Bedingungen, uns als eigenständigeres, von diesen Konflikten weniger betroffenes Start-up-Ökosystem zu profilieren – anders als in den USA, Tel Aviv oder in Berlin. Wir haben gute Leute, wir haben Ideen und angesichts der vielen Pläne etwa zum Bau von Datenverarbeitungszentren, die hier mit Strom aus erneuerbaren Energieträgern laufen können, bald auch die infrastrukturellen Voraussetzungen.
Chris Thompson
Scout Manager beim Accelerator Magical in Santiago
Branchen mit Zukunftspotenzial
Ein vielversprechendes Feld für Start-ups ist künstliche Intelligenz (KI). In diesem Bereich engagiert sich 2025 erstmals auch die chilenische Armee in einem von der staatlichen Wirtschafsförderagentur Corfo unterstützten Pilotprojekt. Partner sind die Start-ups Innercore, Southern Tech und Hoit. Ziel ist die Verbesserung der Sicherheit in der Meerenge Angostura Kirke in Patagonien.
Auch in anderen Bereichen der Software- und Datenverarbeitung bewegen sich erfolgreiche Start-ups wie Buk, Talana und qScire. Letzteres Unternehmen schloss 2024 eine Vereinbarung mit dem Halbleiterhersteller TSMC aus Taiwan über die Verwendung der Software "Quantum Interconnect Explorer", die die Ausfallrate in der Chipproduktion senkt. Gut im Geschäft sind auch die Fintech-Firmen Houm, Global 66 und Fintual.
Selbst im konservativen Bergbau gibt es Möglichkeiten – teilweise unterstützt von den Bergbaukonzernen. Beispielsweise investierte 2024 der Lithiumproduzent SQM 2 Millionen US-Dollar in das Start-up Movener. Mit der Movener-Technologie lassen sich kraftstoffbetriebene Nutzfahrzeuge auf Elektrohybrid-Betrieb umstellen.
Ein weiteres Beispiel ist Green Engineering Group, ein Spin-Off der Universidad Técnica Federico Santa María. Das Start-up hat ein Nanomaterial entwickelt, das hilft, die bei der elektrolytischen Kupferraffination benutzten hochgiftigen Anodenplatten aus Blei zu ersetzen. An vielen Universitäten in Chile laufen Forschungen, um den Bergbau weniger umweltschädlich zu gestalten. Auch ist der gesetzliche Druck auf die Minenbetreiber groß, solche Lösungen zu suchen.
Überdurchschnittlich gut steht Chile im Bereich Foodtech da, laut StartupBlink liegt das Land weltweit auf Rang 22. Nicht grundlos stammt NotCo, das einzige verbliebene Einhorn Chiles, aus der Foodtech-Branche. NotCo produziert vegetarische Nahrungsmittel; dabei werden die Rezepturen mit KI ermittelt.
Ein weiteres interessantes Beispiel ist Brota Superfoods mit seiner KI-basierten Software für die Entwicklung von Funktionsnahrungsmitteln, unter anderem auf Basis von Chía-Samen. Heute verkauft Brota Superfoods etwa 50 Produkte in Chile, den USA und Uruguay. Ebenso erfolgreich sind die Proteinsnacks von WildFoods, ein von der Crowdfunding-Plattform Broota unterstütztes Start-up, das Broota 2024 mit 156-fachem Gewinn verkaufen konnte.
Für die Zukunft sieht Cornelia Sonnenberg, Geschäftsführerin der AHK Chile, außerdem im Biotechbereich gute Chancen – speziell auch als Anbieter von Lösungen für Agro/Food und Mining.
Santiago nach wie vor Chiles Start-up-Zentrum
Wie viele Start-ups in Chile aktiv sind, wird nicht erfasst. StartupBlink zählt 588 Start-ups für 2025. Der ACVC erfasst nur die von den ACVC-Mitgliedern unterstützten Firmen, das waren 2025 insgesamt 201 Unternehmen. Regionaler Schwerpunkt ist mit weitem Abstand die Metropolregion Santiago, daneben spielen Valparaíso und die Region Biobío mit der Universitätsstadt Concepción eine gewisse Rolle. Die letzten Jahre sahen eine leichte regionale Diversifizierung.
Bislang brachte Chile drei Unicorns hervor: die international agierende NotCo, das durch Aufkauf stillgelegte Cornershop sowie das mit großen finanziellen Problemen kämpfende Betterfly.
NotCo, Cornershop und Betterfly – drei Einhörner aus Chile
Das 2015 gegründete Start-up NotCo stellt mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) pflanzenbasierte Ersatzprodukte für Fleisch- und Molkereierzeugnisse her, sowohl für andere Unternehmen als auch für das eigene Produktportfolio. Bislang hat NotCo rund 100 Produkte in zehn Ländern auf den Markt gebracht, darunter "NotBurger" und "NotMilk".
Kern der Rezepturen ist "Guiseppe", ein firmeneigenes KI-Programm. Seit 2022 ist NotCo strategischer Partner des US-Konzerns Kraft Heinz. Das gemeinsame Joint-Venture vermarktet alle veganen Produkte beider Firmen in den USA. Nach eigenen Angaben arbeitet NotCo mit 7 der 20 weltgrößten Konsumgüterfirmen zusammen. Für StartupBlink zählt NotCo zu den zehn vielversprechendsten Unicorn-Unternehmen weltweit aus dem Food-Sektor. Zwar ist NotCo noch nicht aus der Verlustzone, will aber in Chile und Argentinien ab 2025 rentabel sein und ab 2026 in Brasilien und Mexiko.
Den Gründern des ebenfalls 2015 gestarteten virtuellen Marktplatzes Cornershop gelang es, Online-Einkäufe von angeschlossenen Läden aus der Nachbarschaft des Bestellers mit einem Lieferdienst zu verknüpfen; 2021 ging Cornershop komplett an Walmart und Uber über, die das Konzept in anderer Form in anderen Ländern umsetzen. Die Cornershop-Gründer erzielten damals für den Verkauf 1,4 Milliarden US$ – und engagieren sich inzwischen mit dem Fonds Buenaonda mit Sitz in Delaware/USA als Business Angels mit Fokus auf Technologieprojekte in Lateinamerika.
Die App des 2018 gegründeten Insurtech-Unternehmens Betterfly belohnt Angestellte für gesundheitsfördernde Aktivitäten und Gewohnheiten über Einzahlungen des Arbeitgebers in eine Lebensversicherung. Der Versicherungsschutz wächst mit einem gesünderen Lebenswandel. Außerdem besteht die Möglichkeit, über die Plattform für wohltätige Zwecke zu spenden. Nach dem ersten Hype ist es sehr still geworden um Betterfly – aus der Branche heißt es, das Start-up habe mit sehr gravierenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen und bewege sich am Rande des Bankrotts.
Einhörner sind spektakulär, aber überschätzt
Allerdings heißt es aus der Szene, in der aktuellen Anpassungsphase brauche es weniger investitionsintensive Start-ups als vielmehr ausdauernde Kamele. "Die Zahl der Einhörner sagt nichts über die Qualität eines Start-up-Ökosystems aus. Sie sind wie ein Abzeichen, das man sich stolz an die Brust heftet – aber letztlich sind Unternehmen gefragt, die gegenüber den derzeitigen Umbrüchen resilient sind und konstant wirtschaftlich arbeiten", sagt nicht nur Chris Thompson.
Von Stefanie Schmitt
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Santiago de Chile