Wirtschaftsausblick | Chile
Chiles Wirtschaft wächst – aber große Chancen bleiben ungenutzt
Im Wahlkampfjahr 2025 legt die Wirtschaft wieder zu. Impulse kommen vom Bergbau und Infrastrukturinvestitionen. Sorgen bereiten die innere Sicherheit und das geopolitische Umfeld.
10.06.2025
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
Top-Thema: Chile 2025 im Wahlkampfmodus
Am 16. November 2025 finden in Chile Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Für die linke Regierungskoalition geht Carolina Tohá ins Rennen; Amtsinhaber Gabriel Boric darf laut Verfassung nicht noch einmal antreten.
Gegen sie tritt Evelyn Matthei vom gemäßigt-rechten Bündnis "Chile Vamos" an. Weitere Kandidaten sind der Libertäre Johannes Kaiser (Partido Nacional Libertario) und der vormalige Präsidentschaftskandidat José Antonio Kast von der extremen Rechten (Partido Republicano).
Nach einem Stimmungsbild von Anfang Juni 2025 ist von einem Wahlsieg von Matthei auszugehen. Mit einer wirtschaftsfreundlichen Politik will sie das Wachstum auf 4 Prozent hochschrauben. Um dies zu erreichen, sollen die Unternehmenssteuern sinken und bürokratische Prozesse verschlankt werden. Besonders im Fokus der Wählerschaft steht jedoch die Sorge um die innere Sicherheit. Nicht nur Matthei will daher härter gegen illegale Einwanderung und organisierte Kriminalität vorgehen.
Wirtschaftsentwicklung: Bergbau investiert, Infrastruktur wird ausgebaut
Nach der jüngsten Prognose der Zentralbank wird Chiles Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2025 voraussichtlich um 1,75 bis 2,75 Prozent wachsen. Für 2026 und 2027 rechnet sie mit Zuwächsen von 1,5 bis 2,5 Prozent.
Impulse kommen vor allem aus dem Bergbau. Angetrieben von den hohen Rohstoffpreisen investieren in- und ausländische Firmen Milliarden in Ausbau- und Modernisierungsmaßnahmen. Insbesondere ist Chile von großem Interesse für die Rohstoffsicherung als weltweit größter Produzent und Exporteur von Kupfer sowie als Nummer zwei bei Lithium. Zudem gibt es großes Potenzial für den Abbau seltener Erden.
Endlich erste konkrete Projekte im Rahmen der Nationalen Lithiumstrategie
Einer der großen Gewinner der ersten Ausschreibungsrunden im Rahmen der unter der Regierung Boric ausgerufenen Nationalen Lithiumstrategie ist Rio Tinto.
Wie im Mai 2025 offiziell bekannt wurde, erhielt der anglo-australische Konzern nicht nur den Zuschlag für einen 49,99-Prozent-Anteil, um als strategischer Partner des staatlichen Kupferriesen Codelco (50,01 Prozent) im Salar de Maricunga Lithium fördern zu dürfen. Der Salar de Maricunga ist das attraktivste Lithiumvorkommen Chiles, nach dem Salar de Atacama, wo bereits SQM und Albemarle aktiv sind.
Darüber hinaus erhielt Rio Tinto (Anteil: 51 Prozent) den Zuschlag für den gemeinsamen Lithiumabbau mit der chilenischen Staatsfirma Enami (49 Prozent) in den Salaren Altoandinos. Die ebenfalls in die engere Wahl gekommenen Konzerne BYD (China), Eramet (Frankreich) und Posco (Südkorea) gingen leer aus.
Am Salar de Maricunga will Rio Tinto bis 2030 rund 900 Millionen US-Dollar (US$) und in Altoandinos 3 Milliarden US$ investieren.
Darüber hinaus baut Chile die Infrastruktur aus. Allein die Ausschreibungsplattform von InvestChile offeriert aktuell 19 Projekte (darunter öffentliche Gebäude, Straßen, Schienen und Entsalzungsanlagen) mit einem Volumen von über 9,6 Milliarden US$. Davon sind Vorhaben im Wert von 3,2 Milliarden US$ bereits ausgeschrieben, mit Projekttendern für weitere 6,3 Milliarden US$ ist demnächst zu rechnen.
Neue Investitionsziele: Energiespeicher und Rechenzentren
Mit dem Ausbau der Stromgewinnung aus Erneuerbaren Energien braucht Chile dringend neue, leistungsfähige Energiespeicher zur Stabilisierung seiner Netze. Daneben entsteht mit der Errichtung von Datenzentren ein neues Feld: Laut InvestChile befinden sich derzeit rund 35 entsprechende Vorhaben ausländischer Investoren mit einem Wert von etwa 4 Milliarden US$ in der Pipeline. Chile wird damit seine Stellung als regionaler digitaler Hub festigen.
Überdurchschnittlich gut läuft außerdem der Export von Aquakulturen und von landwirtschaftlichen Erzeugnissen, aber auch der Tourismus aus dem Ausland. Speziell Reisende aus dem Nachbarland Argentinien nutzen ihre künstlich hochgehaltene Währung für Einkaufsfahrten nach Chile.
Den Handelskonflikt als Chance nutzen
Neben hausgemachten "Wachstumshemmern" wie Bürokratie sowie aufwendigen und ungewissen Genehmigungsverfahren gilt in Chile vor allem die Handelspolitik der USA als Gefahr für die Konjunktur. Zwar bleiben die direkten Effekte vorerst überschaubar: Trotz bestehendem Freihandelsabkommen will Trump Importe aus Chile mit einem Zoll von 10 Prozent belegen; Kupfer und Holz sind davon jedoch vorerst ausgenommen.
Sorgen bereitet aber die Gefahr eines eskalierenden Handelskrieges zwischen den USA und China, Chiles wichtigstem Absatzmarkt, und daraus folgenden Verwerfungen der Weltwirtschaft. Diese hätten große Auswirkungen auf die Rohstoffpreise.
Überdies könne Chile als demokratischer Rechtsstaat zum strategischen Partner Europas avancieren. Voraussetzung sei aber, dass Deutschland und Europa mehr echtes Interesse an dem Land zeigten. Denn jetzt sei der Moment, sich zu positionieren, so Sonnenberg weiter.
Bevölkerung konsumiert wieder mehr
Dank steigender Reallöhne könnte der private Konsum 2025 um 2 Prozent zulegen, nach 1 Prozent im Vorjahr, so die Zentralbank. Tatsächlich stieg der Index zur Messung des Verbrauchervertrauens im April 2025 um 2,3 Punkte auf 43,1. Allerdings bedeuten Werte unter 50 Kontraktion. Angesichts der nach wie vor hohen Arbeitslosigkeit von 8,5 Prozent und 4,5 Prozent Inflation im Vorjahresvergleich (Stand: März 2025) bleibt der Konsum immer noch verhalten.
Regional pulsierende "Wachstumspole"
Generell wächst Chiles Wirtschaft nicht als Ganzes, sondern um regional abgegrenzte Pole herum, die wiederum weiteres Wachstum generieren – zum Beispiel im Norden, wo die großen Kupferminen arbeiten. Zu kleineren Wachstumstreibern entwickeln sich gegenwärtig die astrophysikalischen Zentren wie die auch mit deutschen Mitteln kofinanzierte Europäische Südsternwarte ESO.
Zum künftigen Zugpferd könnte die Region Magallanes im Süden avancieren. Dafür genügt die Genehmigung einer Handvoll der zahlreichen Projekte rund um grünen Wasserstoff, die sich derzeit in der Umweltprüfung befinden. Dabei geht es nicht nur um die Wasserstoffvorhaben allein, sondern auch um neue Straßen, Häfen, Wohnungen, Schulen oder Krankenhäuser.
Deutsche Perspektive: Der Markt wird enger
Zulieferchancen gibt es in den nächsten Jahren vor allem im Bergbau. Weitere Chancen bieten sich im Bereich erneuerbare Energie und grüner Wasserstoff. Überdies wird alles gebraucht, was zu Produktivitäts- und Effizienzverbesserungen führt – mit Blick auf den Einsatz von Wasser, Energie und anderer Ressourcen.
Allerdings liegt Chile im Ranking der deutschen Handelspartner recht weit hinten. Laut vorläufigen Destatis-Zahlen belegte das Land 2024 beim Import Rang 58 und beim Export Rang 51. Mit mehr Präsenz wäre mehr möglich.
Impulse sind vom modernisierten Assoziierungsabkommen zwischen Chile und der EU zu erwarten. Dessen nicht ratifizierungspflichtige Teile sind seit 1. Februar 2025 in Kraft. Hilfreich wäre auch ein Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und Chile.
Weitere Informationen finden Sie auf unserer Länderseite Chile.