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Interview | EU | Dekarbonisierung

"Ohne CO2-Abscheidung wird es nicht gehen"

Die Dekarbonisierung der Industrie ist technologisch möglich, sagen Fachleute. Hohe Investitionskosten und internationaler Wettbewerbsdruck bleiben die größten Hürden.

Von Christopher Fuß | Warschau

Matthias Zelinger, Leiter VDMA Competence Center Klima & Energie, Dekarbonisierung der Industrie Matthias Zelinger, Leiter VDMA Competence Center Klima & Energie, Dekarbonisierung der Industrie | © Sarah Kastner Fotografie - VDMA e.V.

Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) ist überzeugt, dass die Dekarbonisierung der Industrie gelingen kann - wenn die richtigen Technologien und Rahmenbedingungen zum Einsatz kommen. Welche das sind, erklärt Matthias Zelinger, Leiter des Kompetenzzentrums Klima und Energie beim VDMA.

Was ist beim Thema Dekarbonisierung möglich?

Mithilfe bekannter technischer Innovationen lassen sich rund 85 Prozent der Emissionen in den OECD- und BRICS-Staaten vermeiden. Es gibt für fast alle Industrieprozesse eine emissionsneutrale Technologie. Nicht alle Lösungen sind marktreif. Bei entsprechender Nachfrage können sie aber fertig entwickelt werden.

Auf welche Lösungen setzen Unternehmen, um ihre Emissionen zu reduzieren?

Zu den beliebtesten Maßnahmen gehören Investitionen in die Energieeffizienz. Die Firmen können ihren Energiefluss heute viel genauer steuern als früher. 

Unternehmen, die industrielle Wärme benötigen, setzen oft auf Elektrifizierung - also auf die Umwandlung von Strom in Wärme. Eine Herausforderung ist, dass die betroffenen Unternehmen sehr lange Investitionszyklen haben. Ein Ofen wird erst ausgetauscht, wenn er sein Lebensende erreicht hat. Das kann viele Jahre dauern. Bis dahin stößt der Ofen weiterhin Emissionen aus.

Große Unsicherheiten beobachten wir bei Unternehmen, die viel Wärme benötigen.

Warum?

Bei der Umwandlung von Strom in Wärme erreicht man aktuell noch nicht die Temperaturen wie bei der Verbrennung von Erdgas. Alternative Brennstoffe wie Wasserstoff und Biogas bringen ihre eigenen Herausforderungen mit sich.

Welche sind das?

Bei Wasserstoff fehlt die Planbarkeit, dass eine bestimmte Menge an einem bestimmten Standort auch zu einem akzeptablen Preis verfügbar sein wird. Wenn ein Unternehmen weit weg vom Kernnetz sitzt oder mit vielen Abnehmern um den Wasserstoff konkurriert, dann kann es eng werden. Eine Alternative sind dezentrale Wasserstoffprojekte.

Im Falle von Biogas herrscht eine große Konkurrenz unter den potenziellen Abnehmern. Wir brauchen Biogas für die industrielle Hochtemperatur. Andere Marktteilnehmer wollen Biogas eher im Gebäudesektor oder im Verkehrssektor einsetzen.

Wie steht es um das Thema CO2-Abscheidung?

In einigen Bereichen, wie zum Beispiel bei der Zementherstellung, wird es nicht ohne CO2-Abscheidung gehen. Die Treibhausgase entstehen hier beim eigentlichen Prozess, lassen sich also nicht vermeiden. Da bleibt nur auffangen und verwerten oder speichern. Insgesamt betrachtet steckt das Thema noch in den Kinderschuhen. In der Praxis wird sich die Abscheidung wirtschaftlich nur bei größeren Produktionswerken mit hohen Emissionen realisieren lassen.

Eine weitere Technologie sind kleine Atomkraftwerke - sogenannte Small Modular Reactors. Wo könnten die Anlagen zum Einsatz kommen?

Modulare Reaktoren ergeben wahrscheinlich für Großabnehmer Sinn, die in sehr strukturschwachen Regionen sitzen, weit weg von einem leistungsfähigen Stromnetz. Ob diese Reaktoren in der europäischen Industrie eine Perspektive haben, wird sich noch zeigen. Aufwändige Genehmigungsverfahren und eine engmaschige Überwachung sorgen für Kosten, die durch eine Serienfertigung eher nicht spürbar sinken werden. Hinzu kommt die Konkurrenz durch das hohe Angebot an erneuerbaren Energien.

Was sind die größten Herausforderungen bei der Dekarbonisierung der Industrie?

Wo der Flaschenhals liegt, ist je nach Unternehmen völlig unterschiedlich. Im Kern geht es um die Fragen: Was wird produziert und wo wird produziert?

Ohne sonnige Fläche ist Fotovoltaik keine Option. Ohne Anbindung an das Wasserstoffnetz oder ohne eine dezentrale Wasserstofferzeugung funktionieren wasserstoffbasierte Lösungen nicht. Wenn Unternehmen keine Möglichkeit haben, ihre abgeschiedenen Emissionen zu einem Speicher zu bringen, werden sie nicht in CO2-Abscheidung investieren.

Wichtig ist auch die Konkurrenz. Wer emissionsneutral produzieren will, muss zu Beginn mehr in seine Anlage investieren als jemand, der auf eine konventionelle Anlage setzt. Wenn hier nicht für alle nationalen und internationalen Wettbewerber im Markt die gleichen Bedingungen gelten, wird sich eine teurere, emissionsfreie Lösung nicht durchsetzen.

Das heißt, es braucht einen CO2-Preis für Importe, wie beispielsweise CBAM auf EU-Ebene?

Ein europäischer Emissionshandel funktioniert in einer Welt ohne globalen Emissionshandel nur mit einer Importabgabe für emissionsintensive Waren aus Drittmärkten. CBAM ist in seiner jetzigen Form aber zu bürokratisch und zu kleinteilig, funktioniert für den Mittelstand gar nicht. Ein Unternehmen muss sogar für ein Paket mit Schrauben einen CO2-Ausgleich bezahlen. Das ist praxisfern, aber die EU will nun vereinfachen.

Auch beim Export gibt es Probleme. CBAM hat keine Antwort darauf, wie ein emissionsneutral produzierendes Unternehmen mit seinen Produkten auf internationalen Märkten konkurrieren soll.

Welche staatlichen Steuerungsmechanismen sind besonders geeignet, um Dekarbonisierung zu unterstützen?

Ein Emissionshandel, der die Emissionsmengen steuert, ist trotz aller Schwächen das beste Mittel für den Klimaschutz. Das heißt nicht, dass es mit diesem Steuerungsinstrument keine Probleme gibt.

Die Zertifikatspreise schwanken sehr stark. Das erschwert Kreditverhandlungen mit der Bank. Unternehmen rechnen mit einem bestimmten CO2-Preis, während die Bank argumentiert, der tatsächliche Preis könne deutlich davon abweichen. In Großbritannien hatte man daher einen Mindestpreis für Emissionen festgelegt. Das erleichterte die Kalkulation.

Hinzu kommt, dass ein CO2-Preis nicht die Investitionszyklen der Unternehmen berücksichtigt. Das bedeutet: Eine Anlage hat möglicherweise ihr wirtschaftliches Lebensende erreicht, aber der aktuelle CO2-Preis rechtfertigt noch nicht, dass ein Unternehmen eine umweltfreundlichere Technologie einsetzt.

Wir haben gelernt, dass CO2-Zertifikate allein keine ökonomisch effiziente Transformation gewährleisten. Wichtig ist auch eine Innovationsförderung. Bei Pionieranlagen, sogenannten "First of a Kind"-Technologien, ist eine Risikoteilung, auch mit der öffentlichen Hand, sinnvoll. Wir werden aber nicht die gesamte Dekarbonisierung der Industrie aus der Staatskasse finanzieren.

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