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Wirtschaftsstruktur im Wandel
Finnland ist bekannt für seine digitale Stärke. Aber auch das verarbeitende Gewerbe genießt einen guten Ruf. Der grüne Wandel der finnischen Volkswirtschaft bietet neue Chancen.
20.02.2024
Von Niklas Becker | Helsinki
Gemessen an der Landesfläche ist Finnland in etwa so groß wie Deutschland. Mit 5,6 Millionen Einwohnern leben allerdings weniger Menschen in dem nordischen Land als in Hessen (6,4 Millionen Einwohner). Dies führt – vor allem im Norden Finnlands – zu einer geringen Bevölkerungsdichte. Das ist ein Grund für die hohe Digitalisierungsaffinität der finnischen Bevölkerung. Aufgrund der weiten Entfernungen, beispielsweise zum Arzt, sind digitale Technologien oftmals die einzige praktikable Lösung. Finnlands IT-Unternehmen bieten ihre Dienstleistungen auch zunehmend auf ausländischen Märkten an.
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Gute Voraussetzungen für Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten
Ausländische Investoren schätzen an Finnland die hochqualifizierten Arbeitnehmer sowie eine gute Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen. Aus ihrer Sicht von Investoren bietet das nordische Land optimale Voraussetzungen für Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. "Finnland eignet sich als ideales Testlabor für Unternehmen. Hier lassen sich neue Technologien und Arbeitsweisen für andere Länder optimal testen", berichtet Christiane Temminghoff, Chief Executive Officer von Bayer Nordics, und ergänzt: "Die Finnen haben einen sehr pragmatischen Ansatz, was vieles vereinfacht."
Fachkräftemangel bremst Unternehmen
Finnland kämpft seit Jahren mit einem Fachkräftemangel. In einer Umfrage der finnischen Zentralhandelskammer (Keskuskauppakamari) vom September 2023 gaben 66 Prozent der befragten Firmen an, dass der Fachkräftemangel das Wachstum des Unternehmens und die Weiterentwicklung der Geschäftstätigkeit einschränkt.
Dass so viele Firmen trotz einer vergleichsweise hohen Arbeitslosenquote betroffen sind, liegt der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zufolge an einem Ungleichgewicht zwischen Qualifikationsangebot und -nachfrage (skills mismatches). Dieses habe im Laufe der Zeit zugenommen und sei in nicht zyklischen Berufen, also in Branchen, die nicht von konjunkturellen Schwankungen abhängig sind, wie beispielsweise im Gesundheitswesen, am größten.
Ein Grund hierfür sei ein Mangel an Studienplätzen in Hochschuleinrichtungen. Dies führe zu einer Verringerung des tertiären Bildungsniveaus und zum Qualifikationsdefizit in Finnland. Der Fachkräftemangel bremse Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnik (IKT).
Forst- und Papierindustrie verändert sich
Zu Finnlands Stärken zählen die hervorragende IKT-Infrastruktur und die hohe Forschungskompetenz. Aber auch die heimische Industrie spielt im Land eine wichtige Rolle. Die größte Branche des verarbeitenden Gewerbes – die Forst- und Papierindustrie – befindet sich im Wandel. Die Nachfrage nach Papier geht immer weiter zurück. Der boomende Onlinehandel lässt die Verkaufszahlen von Pappe steigen. Finnlands Forst- und Papierindustrie blickt jedoch weiter in die Zukunft und ist derzeit auf dem Weg zur Biowirtschaft. Die Branche forscht nach neuen Produkten und Waren, die beispielsweise aus Zellstoff hergestellt werden können. Finnlands Maschinenbau ist nach der Forst- und Papierindustrie die wichtigste Branche des verarbeitenden Gewerbes.
Für Finnlands Wirtschaft spielt der Export eine entscheidende Rolle. Die Exportbasis ist jedoch vergleichsweise gering. Das zeigt eine Analyse des Zentralverbands der finnischen Wirtschaft (Elinkeinoelämän keskusliitto; EK). Demnach kommen im Schnitt nur rund 100 Betriebe im Land für etwa zwei Drittel aller Ausfuhren auf. Finnland braucht nach Ansicht des Verbands mehr exportstarke mittelständische Firmen.
Sektoren | Anteil Bruttowertschöpfung 2022 | Anteil an den Erwerbstätigen 2022 |
---|---|---|
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei | 2,6 | 3,2 |
Bergbau | 0,5 | 0,3 |
Verarbeitendes Gewerbe | 18,1 | 12,5 |
Holz- und Papierindustrie | 2,9 | 1,6 |
Maschinenbau | 2,7 | 1,9 |
Energieversorgung | 2,8 | 0,5 |
Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung und Beseitigung von Umweltverschmutzungen | 0,9 | 0,5 |
Baugewerbe | 7,0 | 7,6 |
Handel; Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen | 8,3 | 10,7 |
Information und Kommunikation | 6,3 | 4,6 |
Klimaziele bieten Chancen für deutsche Firmen
Mittelfristig bedeutend ist auch der Strukturwandel in der Forstindustrie, die sich im Zuge der weltweit sinkenden Papiernachfrage neu ausrichtet. Aus Holz entstehen innovative Materialien und chemische Produkte, unter anderem Biokraftstoffe. Großprojekte in Form von Bioraffinerien und Zellstoffproduktionsanlagen treiben den Wandel an. Finnland hat eines der aktivsten Start-up-Ökosysteme weltweit vorzuweisen. Auf dem jährlich in Helsinki stattfindenden Start-up-Event Slush treffen sich junge Firmen und Investoren aus aller Welt.
Gute Geschäftschancen bieten auch die Klimaziele Finnlands. Im Jahr 2035 will das nordische Land CO₂-neutral sein. Der Kohleausstieg soll bereits zum 1. Mai 2029 erfolgen. Dafür müssen neue Kapazitäten zur Energieerzeugung - vor allem erneuerbare Energien - aufgebaut werden. Finnlands Regierung will die Kapazitäten sogar verdoppeln. Dabei wird die Windkraft eine bedeutende Rolle spielen. Bisher existiert der Sektor nur auf dem Land, aber in den kommenden Jahren sollen auch zahlreiche Offshore-Windparks installiert werden. Durch den rasanten Ausbau der erneuerbaren Energien kommt Finnland auch als Lieferant von grünem Wasserstoff infrage.
Helsinki gibt den Takt vor
Der Hauptstadtregion kommt in Finnland eine große Bedeutung zu. Rund ein Fünftel der Gesamtbevölkerung wohnt hier. Aber auch andere Regionen des Landes spielen für spezifische Sektoren eine große Rolle. So liegt im östlichen Lappeenranta beispielsweise der größte Hub der Forstindustrie in Europa. Das nördliche Vaasa ist bekannt für seinen Energiecluster.