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Special | Indien | Dekarbonisierung der Industrie

Klimaschutz-Atlas

Indiens Industrieunternehmen setzen sich eigene Klimaziele

Indiens Industriesektor bietet viel Potenzial für die Dekarbonisierung. Einige Branchen investieren bereits in Technologien zur Verringerung ihres Kohlendioxid-Ausstoßes. (Stand 05.04.2023)

Von Boris Alex | New Delhi

Um bis 2070 klimaneutral zu werden, muss Indien die Emissionen von Kohlendioxid (CO₂) in der Industrie drastisch reduzieren. Je nach Quelle hatte der Sektor 2019 einen Anteil von 22 bis 28 Prozent am gesamten CO₂-Ausstoß des Landes. In ihren nationalen Klimazielen hat sich Indiens Regierung unter anderem dazu verpflichtet, die CO₂-Intensität – also die Emissionen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) – bis 2070 um 45 Prozent gegenüber dem Niveau von 2005 zu senken. Um das Net-Zero-Ziel zu erreichen, müssten allein im Industriesektor bis 2050 rund 1,3 Billionen US-Dollar (US$) in Maßnahmen zur Dekarbonisierung investiert werden, so eine Berechnung von McKinsey.

Industriestruktur: Energieintensive Branchen sind stark vertreten

Energieintensive Branchen dominieren Indiens verarbeitende Industrie. Sie bieten enormes Einsparpotenzial. Allein die Stahl- und Zementproduktion ist für ein gutes Drittel der Emissionen in diesem Sektor verantwortlich, so die Daten der Unternehmensberatung. Andere Schlüsselbranchen wie die chemische Industrie (vor allem die Petrochemie und die Kunststoff- und Düngemittelproduktion), die Metallverarbeitung, der Kfz-Sektor oder der Bergbau haben einen großen Energiebedarf. Sie sind durch das hohe Wachstumstempo in den vergangenen Jahren für den steigenden CO₂-Ausstoß Indiens mitverantwortlich. Ihr Anteil an den Industrieemissionen wird auf 20 Prozent geschätzt.

Ziel ist Entkopplung von Wachstum und Emissionen

Indien will den Anteil der verarbeitenden Industrie am BIP von 17 auf 25 Prozent erhöhen. Dabei soll die steigende Produktion vom CO₂-Verbrauch abgekoppelt werden. Die Maßnahmen dürfen sich aber nicht negativ auf die Konjunktur und den Arbeitsmarkt auswirken, so die Vorgaben der Regierung. Moderne Produktionstechnologien sollen die Energieeffizienz in industriellen Prozessen erhöhen. Zudem wird ein Wechsel hin zu schadstoffärmeren Brennstoffen wie Erdgas und grünem Wasserstoff forciert. Mit strengeren Recyclingvorschriften ließen sich Rohstoffe und Materialien nachhaltiger einsetzen und so noch mehr CO₂ einsparen, so die Long-Term Low-Carbon Development Strategy der Regierung.

Indien hat seit 2012 ein Förderprogramm zur Steigerung der Energieeffizienz in der Industrie. Im Rahmen von Perform, Achieve, Trade (PAT) wurde ein sogenannter "cap and trade"-Mechanismus eingeführt. Dabei erhalten Firmen Energiesparzertifikate, wenn sie ihren Verbrauch senken. Diese können sie dann an Unternehmen veräußern, die ihre Reduktionsziele nicht erreicht haben. Bis 2019 wurden so 22 Millionen Tonnen Öläquivalent eingespart, so das Bureau of Energy Efficiency (BEE). Bis zum Ende des Finanzjahres 2022/2023 (1. April bis 31. März) sollen weitere 3,5 Millionen Tonnen Öläquivalent eingespart werden.

Indien macht Weg frei für Handel mit Zertifikaten

Das Interesse der Industrie am PAT-Programm ist in den vergangenen Jahren zurückgegangen, was vor allem auf den Preisverfall für die Zertifikate zurückzuführen ist. Dadurch hat es sich für viele Unternehmen nicht rentiert, in Technologien zur Erhöhung der Energieeffizienz zu investieren. Im November 2022 hat die Regierung mit dem Energy Conservation (Amendment) Act die gesetzliche Basis für die Einrichtung eines nationalen Marktes für den Handel mit CO₂-Zertifikaten geschaffen. Dieser soll mittelfristig das PAT-Programm ablösen.

Indien zählt zu den weltweit größten Anbietern von CO₂-Zertifikaten. Der Hauptteil davon wird vom Ausland abgenommen. Mit dem geplanten Emissionshandel sollen die Zertifikate nun im Land verbleiben und dort für Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen sorgen, so die Pläne der Regierung. Wie der Markt im Detail ausgestaltet wird, soll im Laufe des Finanzjahres 2023/2024 bekannt gegeben werden, kündigt das BEE an.

Fokusbranche Stahl: Hersteller wollen Ausstoß verringern 

Indien war 2022 mit einer Produktion von 125 Millionen Tonnen hinter China der zweitgrößte Hersteller von Rohstahl. Bis 2031 sollen die Kapazitäten auf 300 Millionen Tonnen steigen. Die indischen Stahlkocher verbrauchen mehr Energie und stoßen mehr CO₂ aus als der internationale Durchschnitt. Bis 2030 sollen die Emissionen pro Tonne Rohstahl um etwa ein Viertel auf 2,2 bis 2,4 Tonnen Öläquivalent sinken.

Einige Hersteller verfolgen ambitioniertere Reduktionsziele: Tata Steel will den Ausstoß bis dahin auf weniger als 1,8 Tonnen und JSW Steel auf unter 1,95 Tonnen Kohlendioxid drücken. Um dieses Ziel zu erreichen, will JSW in den nächsten Jahren 1,2 Milliarden US$ in seine Stahlproduktion investieren. Der Konzern möchte mit dem deutschen Anlagenbauer SMS Group Lösungen zur Senkung des CO₂-Ausstoßes implementieren.

Indiens Stahlsektor ist bei seinen Dekarbonisierungsplänen technologieoffen. Die Unternehmen wollen verstärkt emissionsärmere Energieträger wie Wind- und Solarkraft, sowie mittelfristig auch grünen Wasserstoff im Produktionsprozess einsetzen. Indien möchte bis 2030 Kapazitäten für grünen Wasserstoff in Höhe von 10 Millionen Tonnen jährlich aufbauen. Die Branche bietet auch für Lösungen zur CO₂-Abscheidung und -Speicherung (carbon capture and storage, CCS) Geschäftschancen. Tata Steel und JSW betreiben bereits CCS-Testanlagen in jeweils einem ihrer Stahlwerke.

Fokusbranche Petrochemie: Raffinerien sollen mit erneuerbaren Energien betrieben werden

Auch die Raffinerien der indischen Ölkonzerne sollen grüner werden. Die Unternehmen setzen dabei auf die Substitution von Kohle und Gas durch erneuerbare Energien. Darüber hinaus wollen sie in Technologien zur Steigerung der Energieeffizienz der Raffinerien sowie zur CO₂-Abscheidung und -Speicherung investieren.

Die Indian Oil Corporation will in den nächsten Jahren 25 Milliarden US$ investieren, um bis 2046 klimaneutral zu sein. Der staatliche Ölkonzern plant bis 2030 den Bau einer Produktionsanlage für grünen Wasserstoff mit einer Kapazität von 130.000 Tonnen pro Jahr. Auch Petrochemiekonzerne wie Reliance Industries und Hindustan Petroleum haben sich bis 2040 Net-Zero-Ziele gesetzt.

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