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Polen hat bei den Verhandlungen über die Kohäsionsmittel wichtige Hürden genommen. Einige Regionen müssen aber Einbußen hinnehmen. Für Diskussionen sorgen die Kohleminen.
15.12.2022
Von Christopher Fuß | Warschau
Polens Regierung einigte sich im Juni 2022 mit der Europäischen Kommission auf eine Partnerschaftsvereinbarung. Das Dokument beinhaltet Entwicklungsziele und Investitionspläne. Es bildet die Grundlage für die Auszahlung von kohäsionspolitischen Mitteln bis 2027. Rund 76 Milliarden Euro aus verschiedenen europäischen Töpfen stehen zur Verfügung. Damit bleibt das Land der größte Empfänger von Kohäsionsmitteln.
Die Gelder stammen aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und dem Kohäsionsfonds. Polen hat wegen seiner starken Kohleindustrie außerdem Zugriff auf den Fonds für einen gerechten Übergang (Just Transition Fund; JTF). Das Förderinstrument unterstützt Bergbaugebiete dabei, ihre Wirtschaft neu auszurichten.
Rund 56 Prozent der Kohäsionsmittel fließen in Landesprogramme. Die Maßnahmen stehen unter Aufsicht des Ministeriums für Fonds und Regionalpolitik. Weitere Regierungsstellen beteiligen sich je nach Themenschwerpunkt an der Umsetzung.
Deutsche Exporteure dürfen dank der Fördergelder auf neue Absatzchancen in Polen hoffen. Mit rund 13 Milliarden Euro aus dem Landesprogramm FEnIKS möchte die polnische Regierung den Ausbau von Straßen und Schienen sowie den Kauf von Zügen, Bussen und Bahnen unterstützen. Fördergelder in Höhe von 2,8 Milliarden Euro helfen beim Austausch von Dämmungen, Fenstern und alten Öfen in Gebäuden. Weitere Mittel stehen für Recycling- und Umweltprojekte bereit.
Das Landesprogramm FENG könnte für deutsche Maschinenbauer interessant sein. Unternehmen in Polen erhalten daraus Zuschüsse, wenn sie neue Anlagen installieren und automatisieren. Auch Forschungsprojekte haben Anspruch auf Unterstützung.
Strukturschwache Woiwodschaften in Ostpolen freuen sich über einen eigenen Topf in Höhe von 2,7 Milliarden Euro. Eigentlich sollte die Ost-Fördermaßnahme auslaufen. Die polnische Regierung hat das Programm stattdessen auf weitere Regionen ausgeweitet.
Bis Anfang Dezember 2022 gab die Europäische Kommission fünf Landesprogramme frei - eine Grundvoraussetzung, damit Projekte starten können. Ausschreibungen veröffentlicht das Ministerium für Fonds und Regionalpolitik auf einer Sonderseite.
Die Landesprogramme erleichtern privaten und öffentlichen Auftraggebern aus Polen die Finanzierung ihrer Projekte. Eine hundertprozentige Kostenübernahme ist in der Regel nicht möglich. Unternehmen und der polnische Staat müssen einen eigenen finanziellen Betrag beisteuern. Dabei gilt: Je reicher die Region, in der ein Projekt stattfindet, desto höher der Eigenanteil öffentlicher und privater Einrichtungen.
Die übrigen 44 Prozent der Kohäsionsmittel gehen direkt an die 16 Woiwodschaften Polens. Jede Region legt ihre geplanten Ausgaben in Operationellen Programmen fest (Regionalny Program Operacyjny; RPO). Viele Woiwodschaften konzentrieren sich auf Themen wie den Umbau des Energiesektors, die Automatisierung von Unternehmen sowie auf Forschung und Entwicklungsprojekte.
Die Europäische Kommission muss die Operationellen Programme absegnen. Bis Dezember 2022 durften sich neun Woiwodschaften über die Freigabe ihrer Ausgabenpläne freuen. Ausschreibungen werden laut Auskunft von Regionalpolitikern voraussichtlich zwischen dem 1. und 2. Quartal 2023 starten. Auch hier hat das zuständige Ministerium eine Internetseite eingerichtet.
Vieles könnte schneller gehen, wenn sich die Gespräche zwischen Polen und der Europäischen Kommission nicht in die Länge ziehen würden. Im Sommer 2021 verkündete die polnische Regierung noch, erste Gelder würden bereits ab dem 1. Quartal 2022 bereitstehen. Verzögerungen sind nichts Ungewöhnliches. Auch im Vorfeld der EU-Förderperiode 2014-2020 dauerte die Abnahme aller Programme fast ein Jahr.
Erschwerend kommt diesmal hinzu, dass sich das Klima zwischen der polnischen Regierung und der Europäischen Kommission verschlechtert. Hintergrund sind Diskussionen über den Zustand der Justiz in Polen. Die polnische Regierung hatte mit der Unterzeichnung der Partnerschaftsvereinbarung mehrere Auszahlungsbedingungen der Europäischen Kommission akzeptiert. Eine dieser Voraussetzungen lautet, dass Polen die Grundrechtecharta der EU umsetzen muss. Dies sei laut Partnerschaftsvereinbarung bislang nicht der Fall. Die Grundrechtecharta enthält unter anderem Vorgaben zum Justizwesen und zum Schutz von Minderheiten.
Polen ist außerdem mit dem neuen EU-Rechtsstaatsmechanismus nicht einverstanden. Die Europäische Kommission kann die Auszahlung von Kohäsionsmittel stoppen, wenn Defizite bei der Rechtsstaatlichkeit eines Mitgliedslandes die zielgerechte Ausgabe der Gelder bedrohen. Ein mehrstufiges Verfahren entscheidet über den Einsatz der Sanktionen. Polens Regierung hatte dem neuen Mechanismus unter Vorbehalt zugestimmt und dann eine anschließende Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verloren. Der EU-Kurs sorgt auch für Spannungen in der Regierungskoalition. Ein Lager wirbt für Zugeständnisse, ein anderes fordert Härte.
Weitere Diskussionen drehen sich um den Fonds für einen gerechten Übergang (JTF). Polen wollte, dass bis zu sieben Regionen in sechs Woiwodschaften die Gelder abrufen dürfen. Das Problem: Alle Gemeinden müssen Pläne zum Kohleausstieg vorlegen.
Bergwerke im niederschlesischen Landkreis Zgorzelecki und im ostpolnischen Lubelskie laufen voraussichtlich bis 2044 beziehungsweise 2049. Weder Betreiber noch Regierung wollen die Anlagen früher schließen. Im Gegenteil: Polens Energiesektor steht wegen Russlands Krieg in der Ukraine und fehlender Importkohle vor Problemen. Der Kohleabbau in den Regionen gewinnt an Bedeutung.
Die Europäische Kommission hat die JTF-Ausgabenpläne aus Zgorzelecki und Lubelskie nicht freigegeben, weil hier Zusagen zum Kohleausstieg fehlen. Die Regionen haben vorerst keinen Zugriff auf den Fonds. Allein Zgorzelecki verliert rund 200 Millionen Euro.
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