Special | Polen | EU-Förderung
Förderung im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität
Die Europäische Kommission hat Polens Wiederaufbauplan bestätigt. Damit sind aber nicht alle Fragen geklärt. Stockende Reformen stehen einer raschen Auszahlung der Gelder im Weg.
15.12.2022
Von Christopher Fuß
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Warschau
Nach über einem Jahr intensiver Verhandlungen akzeptierte die Europäische Kommission Mitte Juni 2022 Polens Wiederaufbauplan. Damit hat das Land eine wichtige Hürde genommen, um Gelder aus dem europäischen Wiederaufbaufonds abrufen zu können.
Insgesamt 35,4 Milliarden Euro will Polen bis 2026 über das Förderinstrument beantragen. Mehr als zwei Drittel der Wiederaufbaugelder sind rückzahlungsfreie Zuschüsse, der Rest Darlehen. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass Polens Bruttoinlandsprodukt dank der Finanzspritze real um zusätzliche 1,8 Prozentpunkte wachsen könnte.
Einen großen Teil der Gelder will Polen in die Förderung der erneuerbaren Energien investieren. Ganz oben auf der Agenda steht das Thema Energieeffizienz in Wohnhäusern, Verwaltungsgebäuden und in Unternehmen. Umfangreiche Mittel fließen außerdem in den Schienenverkehr und das Gesundheitswesen.
Offshore-Windprojekte als Investitionsmotor
Die Regierung hat Teile der Ostsee für Offshore-Windprojekte freigegeben. Zur Finanzierung ihrer Vorhaben können Investoren Kredite von knapp 3,3 Milliarden Euro in Anspruch nehmen. Einige wichtige Details über die Offshore-Darlehen stehen aber noch nicht fest.
Die Küstenorte Gdynia, Ustka und Łeba spielen eine herausragende Rolle in Polens Offshore-Plänen. Die örtlichen Häfen werden für Installations- und Wartungsarbeiten umgebaut. Zu diesem Zweck gehen 437 Millionen Euro aus dem Wiederaufbaufonds an die Hafenbetreiber.
Um den Strom aus Offshore-Anlagen einspeisen zu können, muss Polen in sein Stromnetz investieren. Fast die Hälfte aller Hochspannungsleitungen sind älter als 40 Jahre. Hierfür stellt der Wiederaufbaufonds 300 Millionen Euro bereit. Voraussichtlich erhalten die Netzbetreiber direkten Zugriff auf die Gelder.
Weitere 800 Millionen Euro gehen an Unternehmen, die sich mit der Herstellung, Übertragung und Nutzung von Wasserstoff beschäftigen. Staatliche Energiekonzerne, wie PKN Orlen, könnten ihre ambitionierten Wasserstoffpläne auch mit Geldern aus dem Wiederaufbaufonds stemmen.
Aufgrund veralteter Öfen und schwacher Isolierungen geht in Polens Gebäudesektor viel Energie verloren. Mit Geldern aus dem Fonds will die Regierung den Einbau neuer Dämmstoffe, Wärmepumpen und Solaranlagen bezuschussen. Einige Maßnahmen, wie das Programm für Einfamilienhäuser Saubere Luft (Czyste Powietrze) laufen bereits. Weitere Details zu einem Programm für Mehrfamilienhäuser gab der polnische Umweltfonds (Narodowy Fundusz Ochrony Środowiska i Gospodarki Wodnej; NFOŚiGW) im 3. Quartal 2022 bekannt.
Verkehrssektor und Gesundheitswesen profitieren
Die Verkehrsgesellschaften erhalten Gelder für emissionsarme Fahrzeuge. Mithilfe des Wiederaufbaufonds finanziert Polen den Kauf von 1.738 Bussen, 110 Straßenbahnen und insgesamt 100 Regional- und Fernzügen. Bei der Mittelvergabe könnte der Umweltfonds ebenfalls eine große Rolle spielen.
Rund 4,2 Milliarden Euro fließen in das Gesundheitswesen. Neben dem Kauf medizinischer Geräte steht die Digitalisierung im Fokus. Bis 2026 sollen mindestens 30 Prozent der Patientendokumentation papierfrei erfolgen. Erste Ausschreibungen hat das Gesundheitsministerium für das 4. Quartal 2022 angekündigt. Die komplexen Förderrichtlinien könnten viele Krankenhäuser und Arztpraxen laut Einschätzung der Tageszeitung Dziennik Gazeta Prawna aber überfordern.
In den seltensten Fällen werden deutsche Exporteure die Gelder aus dem Wiederaufbaufonds direkt beantragen. Vielmehr helfen die Gelder potenziellen Kunden bei der Projektfinanzierung. Lieferanten aus Deutschland profitieren somit indirekt von der steigenden Nachfrage in Polen.
EU hält Gelder noch zurück
Die Europäische Kommission überweist die Mittel in Etappen. Polen muss Reformen umsetzen, bevor Gelder fließen. Die polnische Regierung hat im Wiederaufbauplan zugestimmt, knapp 280 sogenannte Meilensteine umzusetzen. Die erste Tranche in Höhe von 4,2 Milliarden Euro erhält Polen, wenn das Land mindestens 37 dieser Etappenziele erreicht hat.
Bis Anfang Dezember 2022 lag in Brüssel noch kein Zahlungsantrag der polnischen Regierung vor. Die Europäische Kommission benötigt in der Regel zwei Monate für eine Überweisung. Der staatliche Entwicklungsfonds Polens (Polski Fundusz Rozwoju; PFR) finanziert einige Projekte vor. Das zuständige Ministerium für Fonds und Regionalpolitik listet alle Ausschreibungen auf einer Sonderseite.
Wichtige Fragen bleiben ungeklärt
Einige Meilensteine betreffen das Gerichtswesen. Nach Verhandlungen auf EU-Ebene unterschrieb Staatspräsident Andrzej Duda Mitte Juni 2022 eine umfassende Justizreform. Darin ersetzte Polen eine kontroverse Richter-Disziplinarkammer durch ein neues Aufsichtsgremium.
Im Zweifelsfall müsse laut Europäischer Kommission der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheiden, ob die neue Richterkontrolle unabhängig von politischen Einflüssen arbeitet. Außerdem sollen Richter Vorabanfragen an den EuGH schicken dürfen und Befangenheitsanträge stellen dürfen - ohne wie bisher mit Disziplinarverfahren rechnen zu müssen. Polens Regierung wirft der Europäischen Kommission vor, sie überschreite ihre Kompetenzen und greife in nationale Souveränitätsrechte ein.
Es gibt weitere Meilensteine, die für Diskussionen sorgen. Auf neuen Schnellstraßen und Autobahnen müsste Polen laut Wiederaufbauplan eine Lkw-Maut einführen. Im Wiederaufbauplan verpflichtet sich das Land auch, neue Anmeldegebühren und Steuern auf Kraftfahrzeuge einzuführen. Die Höhe der Abgaben richtet sich nach dem Schadstoffausstoß. Die Europäische Kommission hofft, so den Absatz von Elektroautos anzukurbeln.
Eines der 37 ersten Etappenziele für eine Auszahlung betrifft den Windenergiesektor Polens. Seit 2016 müssen neue Windkraftwerke an Land um mindestens die zehnfache Turbinenhöhe von der nächsten bebauten Fläche entfernt sein. Polens Regierung versprach im Wiederaufbauplan Lockerungen dieser Abstandsregelungen. Nach Auseinandersetzungen innerhalb der Regierungskoalition steckt das Reformprojekt aber fest.
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