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Branchen | Polen | Energiekosten

Hohe Energiepreise bremsen Polens Industrie aus

Unternehmen in Polen drosseln ihre Produktion. Der Grund sind steigende Energiekosten. Eine Branche ist besonders stark betroffen. Ein Ende der Preissprünge ist nicht in Sicht.

Von Christopher Fuß | Warschau

Cerrad, einer der größten Keramikhersteller Polens, stoppte im August 2022 die Fertigungsbänder in Kopaniny und in Starachowice. Hohe Energiekosten würden den Betrieb unwirtschaftlich machen. Wie Geschäftsführer Filip Cegłowski mitteilte, seien die Gasrechnungen seit Januar 2021 um fast das Fünfzehnfache gestiegen. Als Keramikhersteller benötige man Gas, um in Öfen brennen zu können. Cerrad hält Entlassungen für möglich. Bis zu 350 der 1.400 Beschäftigten könnten ihre Arbeit verlieren.

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Produktionsstopp mit ungeahnten Konsequenzen

Die Gaspreise schlagen auch auf die Düngemittelindustrie durch. Zwei der größten Hersteller Polens haben im August 2022 ihre Produktion drastisch gedrosselt. Die Grupa Azoty, ein teilstaatlicher Konzern mit Jahreseinnahmen von rund 3,5 Milliarden Euro, ließ Anlagen an den Standorten Puławy, Kędzierzyn-Koźle und Tarnów auf Sparflamme laufen.

Der teilstaatliche Konkurrent Anwil reduzierte ebenfalls den Düngemittelausstoß. Als Grund nannte das Unternehmen den "Rekordanstieg der Erdgaspreise in Europa". Man wolle die Produktion wieder aufnehmen, "sobald sich die makroökonomischen Bedingungen auf dem Gasmarkt stabilisieren", schrieb das Unternehmen. Die Düngemittelherstellung kommt ohne Erdgas nicht aus. Rund 70 Prozent der Produktionskosten von Stickstoffdünger entfallen auf Erdgas.

Die Entscheidung von Grupa Azoty und Anwil hat ungeahnte Konsequenzen. In den Düngemittelwerken entsteht Kohlenstoffdioxid (CO2) – eigentlich ein klimaschädliches Abfallprodukt. Veredelungsbetriebe bereiten das CO2 jedoch auf, verflüssigen es oder wandeln es in Trockeneis um. All diese Produkte sind Hilfsstoffe für die Lebensmittelindustrie. Fleischverarbeiter und Molkereien verpacken ihre Produkte unter einer CO2-Schutzatmosphäre. Brauereien reichern ihr Bier mit CO2 an. Hersteller und Veredler von Industriegasen, darunter die polnische Tochtergesellschaft der deutschen Messer SE, bestätigten die angespannte Lage am CO2-Markt.

Entlastungen für bestimmte Industriezweige geplant

Der polnische Verband der Lebensmittelhersteller (Polska Federacja Producentów Żywności; PFPŻ) und die polnische Milchkammer (Polska Izba Mleka; PIM) schlugen kurz nach dem Produktionsstopp Alarm. Sollte CO2 fehlen, würden Lebensmittel im Wert von hunderten Millionen Euro verderben. Der Brauereikonzern Carlsberg Polska warnte Vertriebspartner, wegen mangelndem CO2 könnten Lieferungen ausfallen.

Nach Protesten von Industrievertretern haben Azoty und Anwil ihre Produktion Ende August 2022 wieder erhöht – wenn auch nicht auf das Ausgangsniveau. "Ob sich die Lage stabilisiert, werden wir in den nächsten Tagen herausfinden", so Andrzej Gantner, Geschäftsführer der PFPŻ in der Tageszeitung Dziennik Gazeta Prawna. Die polnische Regierung kündigte Unterstützung an. Konkrete Pläne lagen Anfang September 2022 nicht vor. Landwirtschaftsminister Henryk Kowalczyk deutete an, die Düngemittelhersteller könnten vergünstigtes Erdgas erhalten.

Stromrechnung bereitet Kopfzerbrechen

Hohe Strompreise bringen vor allem energieintensive Betriebe in Bedrängnis. Der internationale Stahlhersteller ArcelorMittal Polska klagt in der Dziennik Gazeta Prawna: "Wir beobachten mit Sorge die steigenden Strompreise." Die polnische Tochtergesellschaft des Baustoffkonzerns Lafarge rechnet vor, dass Strom bis zu 50 Prozent ihrer Produktionskosten ausmacht.

Tatsächlich spitzt sich die Lage an der Strombörse weiter zu. Kostete die Megawattstunde am Spotmarkt der Warschauer Energiebörse TGE im Juli 2022 noch 235,70 Euro, waren es im August 2022 schon 294,40 Euro. Staatliche Energieversorger haben ihre Preise für Firmenkunden deutlich erhöht. Die Energieaufsicht (Urząd Regulacji Energetyki; URE) muss Aufschläge bei gewerblichen Abnehmern nicht genehmigen – ein wichtiger Unterschied gegenüber den geschützten Tarifen für Privathaushalte.

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Steigende Energiepreise bleiben nicht ohne makroökonomische Folgen. Der Einkaufsmanager-Index PMI fiel im August 2022 auf 40,9 Punkte, der niedrigste Wert seit Beginn der Coronapandemie. Liegt der Index unter 50 Punkten, spricht das für sinkende Bestellungen in der Industrie. Ein Grund für den Rückgang ist laut Analysten von PMI die hohe Inflation. Sie lag im August 2022 um 16,1 Prozent über dem Vorjahreswert – der höchste Zuwachs seit 1997. Energiekosten tragen wesentlich zur Inflation bei.

Nicht nur Russlands Krieg in der Ukraine treibt die Energiepreise

Experten führen die Entwicklungen am Energiemarkt auf mehrere Ursachen zurück. Bereits vor dem Ukrainekrieg habe Russland Gaslieferungen künstlich verknappt. Nach Russlands Überfall auf die Ukraine stoppte Polen den Import russischer Kohle. Jetzt fehlt der Rohstoff. Seit April 2022 exportiert Russland kein Gas mehr nach Polen.

Bis Oktober 2022 soll die Baltic Pipe ihren Betrieb aufnehmen. Die von Norwegen nach Polen verlaufende Pipeline wird aus technischen Gründen vorerst nur eingeschränkt arbeiten. Verhandlungen zwischen dem polnischen Gasversorger PGNiG und norwegischen Lieferanten laufen. Die unklare Lage treibt den Preis. PGNiG versichert aber, für 2022 sei genug Gas vorhanden.

Die polnische Regierung stört sich außerdem am Europäischen Emissionshandel (EU-EHS). Energieversorger müssen Emissionsscheine für ausgestoßenes CO2 kaufen. Im August 2022 lagen die Preise zeitweise bei 90 Euro je Tonne. Anfang 2021 kostete ein Zertifikat noch 30 Euro. Branchenexperten rechnen vor, dass Emissionsrechte rund 10 Prozent der Stromkosten in Polen ausmachen. Der Grund: Das Land erzeugt fast 70 Prozent seines Stroms in Kohlekraftwerken. Die Zertifikate sollen erneuerbare und emissionsfreie Energiequellen unterstützen. Einnahmen aus den Zertifikatsverkäufen fließen zurück in die polnische Staatskasse.

Als weiteren Preistreiber hat Polens Regierung das sogenannte Merit-Order-System ausgemacht. Es trägt zur Preisfindung an den Energiebörsen bei. Die teuerste Energiequelle bestimmt demnach den endgültigen Strompreis. Premierminister Mateusz Morawiecki forderte, das System umzubauen.

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