Wirtschaftsumfeld | Polen | Energiekosten
Polen führt Strompreisbremse ein
Unternehmen im Land klagen über steigende Strompreise. Die Regierung steuert gegen und bringt eine Preisobergrenze auf den Weg. Die Maßnahme stößt nicht überall auf Zustimmung.
10.11.2022
Von Christopher Fuß | Warschau
Das polnische Parlament hat eine Strompreisbremse verabschiedet, die für Privathaushalte und öffentliche Einrichtungen gilt. Auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) fallen unter die neue Regelung. Eine Firma gilt als mittelgroß, wenn sie weniger als 250 Beschäftigte und nicht mehr als 50 Millionen Euro Jahresumsatz vorweist.
Privathaushalte zahlen weniger als Unternehmen
Firmen führen zwischen dem 1. Dezember 2022 und dem 31. Dezember 2023 nicht mehr als umgerechnet rund 167 Euro netto je Megawattstunde ab. Dieselbe Obergrenze greift für öffentliche Einrichtungen, darunter Schulen oder Krankenhäuser. Reduziert ein Unternehmen seinen Strombedarf, sind weitere Rabatte möglich.
Privathaushalte zahlen bis zu einem Jahresverbrauch von 2.000 bis 3.000 Kilowattstunden den Strompreis aus dem Jahr 2022 in Höhe von rund 88,70 Euro je Megawattstunde. Die Verbrauchsobergrenze hängt unter anderem von der Anzahl der Personen in dem Haushalt ab. Darüber hinaus benötigter Strom schlägt mit maximal 147,50 Euro je Megawattstunde zu Buche, zuzüglich Umlagen und Gebühren. Die Kosten der Preisbremse schätzt Polens Regierung laut Angaben der Tageszeitung Rzeczpospolita auf 4,5 Milliarden Euro.
Die Obergrenze liegt deutlich unter den aktuellen Angeboten der Energieunternehmen. Der polnische Stromversorger ENEA verlangt von gewerblichen Abnehmern je nach Leistungsprofil rund 490 Euro je Megawattstunde. Städte und Gemeinden berichten, sie hätten Angebote in Höhe von 530 Euro je Megawattstunde erhalten.
Richtig ist aber auch, dass die Strompreisbremse deutlich über den Kosten liegt, die viele Abnehmer derzeit zahlen. Beispielsweise hat die Stadt Krakau laut Rzeczpospolita einen bis Jahresende 2022 laufenden Stromvertrag. In dessen Rahmen werden 91 Euro je Megawattstunde berechnet.
Umverteilung stößt auf Kritik
Das Gesetz nimmt Energieerzeuger und Stromhändler in die Pflicht, um die Finanzierung des Preisdeckels sicherzustellen. Die Erzeuger verkaufen ihren Strom über verschiedene Kanäle, beispielsweise an der Strombörse. In Zukunft wird es Preisobergrenzen geben. Liegt der Verkaufspreis über einem bestimmten Wert, muss der Energieproduzent den finanziellen Überschuss an eine staatliche Verrechnungsgesellschaft abführen. Eine noch ausstehende Verordnung legt die jeweiligen Höchstpreise für unterschiedliche Stromquellen fest.
Die Einnahmen der Verrechnungsgesellschaft sollen die Kosten der Energieversorger decken. Stromlieferanten müssen Energie teuer am Markt einkaufen, dürfen sie dann aber für nur maximal 147,50 Euro je Megawattstunde an Privathaushalte, oder zum Preis von 167 Euro je Megawattstunde an öffentliche Einrichtungen und KMU weitergeben. Dieses Minusgeschäft will der neue Umverteilungsmechanismus ausgleichen.
Dort setzt die Kritik von Branchenorganisationen an. Skeptisch sind unter anderem der polnische Windenergieverband (Polskie Stowarzyszenie Energetyki Wiatrowej; PSEW), die Vereinigung Erneuerbare Energien (Stowarzyszenie Energii Odnawialnej; SEO) sowie der Stahlverband (Hutnicza Izba Przemysłowo Handlowa; HIPH). In einer gemeinsamen Stellungnahme heißt es, der neue Umverteilungsmechanismus würde nicht alle Kosten berücksichtigen, die bei den Versorgern anfallen. Insbesondere kleinere Energielieferanten könnten ins Minus rutschen.
Langfristige Lieferverträge möglicherweise betroffen
Laut Industrievertretern bestünde außerdem die Gefahr, dass Verträge zwischen Erzeugern erneuerbarer Energien und industriellen Abnehmern unattraktiv werden. Die sogenannten Corporate Power Purchase Agreements (CPPA) werden immer beliebter. Auch deutsche Unternehmen wie die VSB Gruppe verkaufen in Polen ihren Strom über langfristige Lieferverträge. Denn in der Regel gibt es in Polen keine direkte Stromleitung zwischen Kraftwerk und gewerblichen Kunden. Stattdessen verkauft der Erzeuger an der Energiebörse. Ebenso beziehen industrielle Abnehmer ihren Strom oft vom Großhandel. Der Preis je Kilowattstunde im CPPA liegt meistens unter dem Börsenpreis. Der Erzeuger erstattet dem Industriekunden die Differenz zwischen Börsen- und CPPA-Preis.
Laut PSEW schließt das Gesetz nicht aus, dass CPPA-Anbieter doppelt zur Kasse gebeten werden. Der Verband fürchtet, Anlagenbetreiber müssten nach dem Verkauf an der Strombörse einen Betrag an die Verrechnungsgesellschaft abführen und ihren industriellen Kunden zusätzlich die Differenz zwischen Börsenpreis und CPPA-Preis erstatten. Damit könnten Erneuerbare-Energien-Anlagen unwirtschaftlich werden. Die rechtlichen Unsicherheiten schrecken nach Angaben von PSEW neue Investoren und Kapitalgeber ab.
Für Anlagen, die an den staatlichen Energieauktionen teilnehmen, gäbe es eine Ausnahme. Im Rahmen der Versteigerung erhalten Energieerzeuger einen garantierten Fixpreis für eine bestimmte Energiemenge. Liegt der Marktpreis an der Strombörse unter dem Fixpreis, zahlt der polnische Staat die Differenz. PSEW kommentiert in einer Stellungnahme: "Das Gesetz diskriminiert marktwirtschaftliche Verträge gegenüber den zwischen Staat und Erzeugern geschlossenen Verträgen."
Energieintensive Großbetriebe warten auf neue Gelder
Offen ist, welche Hilfen große Unternehmen erhalten. Energieintensive Betriebe können seit einer Gesetzesänderung von 2019 staatliche Subventionen auf die Stromrechnung aus dem Vorjahr beantragen. Hintergrund der Reform: Polen wollte die Wettbewerbsfähigkeit mehrerer Industriezweige angesichts steigender Energiepreise sichern.
Als energieintensiv gelten beispielsweise Metallhersteller, Keramikbrennereien und Papierwerke. Polens Wirtschaftsminister Waldemar Buda verkündete im November 2022, dass 92 Betriebe rund 170 Millionen Euro Unterstützung für ihre Energierechnung 2021 erhalten werden. Zusätzlich hat das Wirtschaftsministerium angekündigt, noch im laufenden Jahr 2022 eine weitere Milliarde Euro für energieintensive große Unternehmen bereitzustellen. Einzelheiten will die Regierung im November 2022 vorstellen.