Boomende Start-up-Szene in Singapur

Von Werner Kemper | Kuala Lumpur

Singapur ist ein wahres Vorzeigeland für Innovation und performt ständig weit über seiner „Gewichtsklasse“. Es hat nicht nur regional inzwischen eine enorme Reputation als offener und bedeutsamer asiatischer Hub. Die sehr unternehmensfreundliche Wirtschaftspolitik gepaart mit einer großzügigen Besteuerungspraxis zieht massive Investitionen an. Kein Wunder also, dass der Stadtstaat ein Unicorn nach dem anderen hervorbringt.

Im Global Startup Ecosystem Index 2022 von StartupBlink landet der Stadtstaat auf Platz 7, vor Australien und hinter Deutschland. Im Raum Asien-Pazifik liegt Singapur unangefochten auf Rang 1.

Zahl der Acceleratoren und Inkubatoren nimmt zu

Das singapurische Ökosystem bietet eine wachsende Zahl an Acceleratoren und Unterstützungsmöglichkeiten. Es gibt mehr als 500 Investoren und über 100 Acceleratoren und Inkubatoren in Singapur.

Die staatliche Wirtschaftsförderagentur Enterprise Singapore bietet diverse Accelerator-Programme für Seed- und pre-Seed-Start-ups an. Die Fördereinrichtung Startup SG bietet mit ihrem Internetauftritt einen Überblick über das gesamte Start-up-Ökosystem in Singapur. Darin werden alle staatlichen Initiativen und Programme dargestellt. Darüber hinaus sind sämtliche Universitäten in der Start-up-Szene involviert und fungieren unter anderem auch als Inkubatoren.

Der öffentliche Sektor unterstützt Start-ups mit großem Engagement. Allerdings besteht dabei auch immer die Gefahr, dass die jungen Unternehmen zu abhängig von der staatlichen Unterstützung werden.

Weil Singapur ein sehr kleiner Markt ist, richten die meisten Start-ups von Anfang an ihren Blick ins Ausland. Dieser Aspekt gibt dem singapurischen Ökosystem eine globale Perspektive und trägt dazu bei, das Land als regionalen Hub zu positionieren.

Mehr und mehr Unicorns

Bis Ende 2022 hat Singapur insgesamt 22 Einhorn-Unternehmen (mit einem Kapitalwert von über 1 Milliarde US-Dollar; US$) hervorgebracht. Die Anzahl der neuen Unicorns war jeweils von Jahr zu Jahr unterschiedlich und legt tendenziell zu.

Die ersten - und auch bekanntesten - waren 2014 Grab (auch wenn das Unternehmen streng genommen aus Malaysia stammt) und Lazada, das inzwischen zur Alibaba-Gruppe gehört. Im Jahr 2018 kam TauRx hinzu. Ein Pharma-Unternehmen, das auf neurodegenerative Krankheiten spezialisiert ist und eine führende Rolle in der Alzheimer-Forschung inne hat. Danach folgten 2019 Zilingo (Technologieplattform), Trax (cloudbasierte Lösungsansätze für den Einzelhandel) und Arconis (cloudbasierte Cybersicherheit). HyalRoute und PropertyGuru wurden 2020 zu Einhörnern.

Ein Rekord mit neun neuen Unicorns konnte 2021 verzeichnet werden. Hinzu kamen PatSnap, CARRO, Bolttech, NIUM, Matrixport, EMERITUS, Carousell, Ninja Van und Multichain. Mit Insider, Coda Payments, Biofourmis und Livspace schafften 2022 vier weitere Unternehmungen den Sprung in den exklusiven Club besonders wertvoller Start-ups.

FinTech, E-Commerce sowie Transport und Logistik führen das Feld an

Einer der wichtigsten Sektoren für Start-ups in Singapur ist ConsumerTech, dabei allen voran FinTech. Derzeit gibt es über 1.000 FinTech-Unternehmen in Singapur. Sie beschäftigen mehr als 10.000 Menschen. Laut Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG flossen im Jahr 2021 Investitionen in Höhe von fast 3 Milliarden US-Dollar in diese Unternehmen. Aber auch E-Commerce, EdTech, MediaTech und EnterpriseTech spielen immer größer werdende Rollen.

Nicht zuletzt während der Coronapandemie war die Performance großer Teile des ConsumerTech-Sektors herausragend. Ein starkes Wachstum in diesem Wirtschaftsfeld kommt in der Regel auch dem Transport- und Logistiksektor zugute. Selbst wenn man den Branchenprimus Grab außer Betracht lässt, ist der rasante Anstieg der Investitionen in Start-ups dieser Branche nicht von der Hand zu weisen. Datenanalytik und künstliche Intelligenz als Querschnittsbereiche der digitalen Wirtschaft stoßen ebenfalls auf wachsendes Interesse, sowohl bei Firmengründern als auch Investoren.

Neben den genannten Sektoren gehören auch Advanced Manufacturing, HealthTech (inklusive Pharma) und BioTech zu den stark wachsenden Bereichen innerhalb der Start-up-Szene. In Zukunft an Bedeutung gewinnen dürfte außerdem AgriTech. Die Regierung hat das erklärte Ziel, bis zum Jahr 2030 einen Anteil von 30 Prozent des Nahrungsmittelbedarfs der Bevölkerung lokal zu produzieren. Ohne einen massiven Ausbau dieses Sektors dürfte das nicht möglich sein.

SWITCH fand erstmals wieder live statt

Eine der wichtigsten Veranstaltungen für junge Unternehmen ist SWITCH (Singapore Week of Innovation and TeCHnology). Sie fand vom 25. bis 28. Oktober 2022 erstmals seit der Pandemie live im Resorts World Convention Centre statt. Besucht wurde die Veranstaltung von mehr als 9.000 Teilnehmenden, rund 350 Vortragenden und mehr als 300 Ausstellenden.

Das Event verteilte sich auf drei Bühnen: "SWITCH Beyond" nahm aktuelle Trends und Innovationsmöglichkeiten in Asien in den Fokus. "SWITCH Global" konzentrierte sich auf grenzüberschreitende Kollaborationsmöglichkeiten. Auf der Hauptbühne fand "SLINGSHOT" statt. Hier konnten sich die Top-50 Start-ups aus Asiens bedeutendstem Deep Tech Start-up-Wettbewerb live Investoren und Jury-Mitgliedern präsentieren.

Siegreich hervor ging das singapurische Start-up Peptobiotics, das ein Verfahren entwickelt, um in der Landwirtschaft auf Antibiotika verzichten zu können. Auf Rang 2 folgte E3A Healthcare und Platz 3 belegte Wasna. Beide sind im Gesundheitswesen und in der Biomedizin aktiv.

Von Werner Kemper | Kuala Lumpur

Den lokalen Start-ups gelang es, 2021 rund 10,6 Milliarden US-Dollar (US$) an Wagniskapital (Venture Capital, VC) einzusammeln. Bereits in den ersten neun Monaten 2022 waren es über 8 Milliarden US$. Seit 2014 wurde die Hälfte aller Investitionen in Start-ups in der ASEAN-Region in Singapur getätigt.

Staatliche Fördermaßnahmen

Damit diese Erfolgsgeschichte so weitergeht, stellt die Regierung eine Vielzahl an Förderprogrammen und Investitionstöpfen für Start-ups bereit. Zu den wichtigsten staatlichen Einrichtungen gehören:

• Enterprise Singapore
  Neben diversen Programmen in Singapur hat Enterprise Singapore auch sogenannte "Landing-pads" in Sydney, Stockholm und Kapstadt. Neu hinzu kommen werden 2023 Abu Dhabi und Seoul. Es wurden bereits 780 Unternehmen unterstützt.
• SGInnovate
  Unterstützt finanziell sowie mit Mentoring-Programmen Firmengründungen im Bereich des sogenannten „Deep Tech“. Darunter fallen Unternehmen, die Technologien entwickeln und zur Marktreife bringen wollen, die viel Forschung und Entwicklung (F&E) erfordern.
• Startup SG
  Alle bisherigen Programme und Fördermittel des Standards, Productivity and Innovation Board (SPRING) wurden unter dem Programm "Startup SG" zusammengefasst. Dazu gehören:
  • Startup SG Equity
    Dies ist ein Investment Fonds, der gemeinsam von SPRING, Seeds Capital und SGInnovate verwaltet wird. In ihm co-investiert die singapurische Regierung zusammen mit elf privaten Investitionsgesellschaften in Start-ups, die relativ hohe Investitionen und aufgrund des hohen Forschungsaufwands auch viel Zeit benötigen, um auf eigenen Beinen stehen zu können. Start-ups, die bereits existierende Technologien verbessern, erhalten in einer ersten Investitionsrunde bis zu 180.000 US$. Davon übernimmt der Staat 70 Prozent. Danach finanziert die Regierung ebenso viel, wie von privaten Investoren bereitgestellt wird, maximal jedoch rund 1,5 Millionen US$. Bei Start-ups, die unter die Klassifizierung „Deep Tech“ fallen, kommt die Regierung in der ersten Runde für 70 Prozent von 360.000 US$ auf. Danach investiert sie die gleiche Summe wie die privaten Investoren bis zu einer Höhe von knapp 3 Millionen US$.
  • Startup SG Tech
    Hierbei werden Unternehmen gefördert, die Technologien entwickeln, die zu Disruptionen in bestehenden Märkten führen oder gänzlich neue Märkte schaffen können. Sowohl Proof-of-Concept-(POC)- als auch Proof-of-Viability-(POV)-Projekte werden gefördert. POC-Projekte, die die wissenschaftliche Plausibilität und technische Anwendbarkeit einer neuen Technologie prüfen, erhalten bis zu 180.000 US$. POV-Projekte, die den kommerziellen Erfolg einer bereits im Labor funktionierenden neuen Technologie testen, können Fördermittel in Höhe von bis zu 360.000 US$ erhalten.
  • Startup SG Founder
    Dieses Programm ist für Neu-Unternehmungen mit innovativen Geschäftsmodellen gedacht. Bis zu einer Höhe von knapp 22.000 US$ legt der Staat auf jeden erhaltenen Dollar Wagniskapital 3 Dollar drauf. Außerdem können die Gründenden an einem in Singapur niedergelassenen Inkubator teilnehmen.

Alle genannten Programme unterliegen genau spezifizierten Zugangsvoraussetzungen und sind zum Teil nur für bestimmte Sektoren vorgesehen.

Aufstrebender Markt für Venture Capital

Verglichen mit den USA und Europa ist der VC-Markt in Singapur noch recht jung und überschaubar. Schätzungen gehen von 400 bis 600 VC-Unternehmen im Stadtstaat aus. In den ersten neun Monaten des Jahres 2022 wurden insgesamt 517 Finanzierungsgeschäfte geschlossen. Das waren 6 Prozent mehr als in der Vorjahresperiode. Allerdings betrug die Investitionssumme 8,1 Milliarden US$, während sie im gleichen Zeitraum 2021 noch 8,2 Milliarden US$ erreicht hatte. Im Vergleich zu 2020 sind das sehr gute Werte. Damals waren es 416 Finanzierungen mit einem Wert von 3,5 Milliarden US$.

Zu den bedeutendsten in- und ausländischen VC-Fonds, die in Singapur investieren, zählen: Singtel Innov8, Vulpes Ventures, KK Fund, East Ventures, Golden Gate Ventures, Fenox Venture Capital, IMJ Investment Partners, Ardent Capital, Jungle Ventures, Sequoia Capital, 500 Startups und Life.SREDA.

Wichtigste Netzwerke der Business Angels

Viele der in Singapur ansässigen Angel-Investoren haben sich in Gruppen zusammengeschlossen. Zu nennen wären das Business Angel Network South East Asia (BANSEA), das Business Angel Scheme (BAS) und das Singapore Angel Network (SGAN). Ihnen allen ist gemein, dass sie sich in einer möglichst frühen Phase an Start-ups beteiligen wollen.

Globale Verwerfungen wirken sich bei Start-up-Investitionen aus

Die politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten auf den Weltmärkten machen auch vor den singapurischen Start-ups nicht halt. Gerade bei Investitionen in spätere Wachstumsphasen (ab Serie C) sind Anleger 2022 zurückhaltender geworden. Der Rückgang betrug 25 Prozent im Vergleich zum Jahr 2021. Damals waren diese Investitionen noch die Wachstumstreiber.

Dafür legten die Investitionen in ganz junge Unternehmen (bis Serie B) deutlich zu - auf rund 4 Milliarden US$ in den ersten neun Monaten 2022. Das war ein wertmäßiger Anstieg um 45 Prozent und ein Plus von 14 Prozent bei der Zahl der Geschäfte. Inflation und höhere Zinsen machen das Leben der Start-ups keinesfalls leichter. Dennoch werde die staatliche Unterstützung auf jeden Fall fortgesetzt, so Regierungsvertretende.

Genau darin sehen einige Fachleute allerdings auch eine Gefahr. Lediglich 19 Prozent aller Start-ups nahmen 2010 an Förderprogrammen der Regierung teil. Im Jahr 2017 waren es bereits 69 Prozent - Tendenz steigend. Es stellt sich die Frage, wie viele dieser jungen Unternehmen ohne staatliche Unterstützung am Markt überleben können.

Ein weiteres Problem, das weltweit alle Sektoren betrifft, ist der Fachkräftemangel. Hierbei macht sich auch die wachsende regionale Konkurrenz aus Indonesien und Vietnam bemerkbar, deren Start-up-Ökosysteme ebenfalls stark an Bedeutung gewonnen haben.

Von Werner Kemper | Kuala Lumpur