Interview | Syrien | Geschäftspraxis
Syrien: "Der Absatz ist nicht das Problem, Dollar sind da"
Nach dem langen Bürgerkrieg sind in Syrien Haushaltsgeräte gefragt. Ein Hersteller berichtet, wie seine Firma wieder in Gang kommt. Die Konkurrenz ist noch überschaubar.
09.09.2025
Von Ulrich Binkert | Bonn

Mit 17 Millionen US-Dollar (US$) Umsatz im Jahr 2024 sieht sich Ghassan Alkasem als Nummer 3 unter Syriens Herstellern von Haushaltsgeräten. Vor dem Krieg lag Ramco bei 120 Millionen US$. Nach dem Regimewechsel ziehen Produktion und Verkauf von Waschmaschinen, Mixern oder Ventilatoren wieder an.
Herr Alkasem, können Sie nach dem Regimewechsel im letzten Dezember wieder produzieren?
Ja, seit einem Stillstand in den ersten drei Monaten läuft es immer besser. Insgesamt werden wir 2025 wohl ähnlich viel umsetzen wie im Vorjahr. Für 2026 peilen wir eine Verdopplung des Umsatzes an.
Der Absatz ist kein Problem?
In Syrien gibt es einen großen Nachholbedarf. Viele Haushalte sind nach dem Krieg kaum ausgestattet. Die Konkurrenz ist gering. Für einen Saftmixer, den wir in Jordanien für 100 US$ verkaufen, erzielen wir hier 150 US$. Wegen der höheren Preise in Syrien liegt unsere Exportquote aktuell unter 20 Prozent. Im Jahr 2011 hatten wir noch 45 Prozent in Länder wie Jordanien, Libanon und Libyen verkauft.
Haben Sie keine Konkurrenz?
Doch, wir haben Konkurrenz – vor allem zwei weitere syrische Hersteller von Haushaltsgeräten. Im Gesamtmarkt sehen wir uns auf Rang 3, hinter dem Kühlschrankspezialisten Hafez bei Damaskus und der Firma Joud aus Latakia. Große internationale Marken trauen sich bislang noch nicht in den Markt zurück.

Und chinesische Marken?
Die Produkte sind tatsächlich erhältlich, bewegen sich jedoch überwiegend im unteren Marktsegment. Syrische Kunden kaufen gerne "made in Syria". Entscheidend ist jedoch: Unsere Kunden wissen, dass sie bei uns auf zuverlässigen Service zählen können. Seit 1993 sind wir mit eigener Produktion im Markt aktiv – mit Werkstätten im ganzen Land und viel Know-how.
Wie haben Sie Ihre Fabrik wieder in Gang gebracht?
Vor allem durch das Engagement meiner Mitarbeiter. Wir brauchen keine Techniker oder andere Spezialisten aus dem Ausland. Diese waren während der langen Kriegs- und Sanktionsjahre nicht verfügbar, ebenso Ersatzteile. Wir lernten also alles selbst zu machen. Meine aktuell 400 Mitarbeiter sind extrem kompetent und flexibel. Sie können unsere Maschinen selbst reparieren und auch sonst allfällige Probleme lösen.
Welche Löhne zahlen Sie?
Um die 200 US$ im Monat. Ich hoffe, ich kann das steigern. Vor dem Regimewechsel waren es umgerechnet nur 40 US$. Diese Kombination – hohe Leistung bei niedrigen Kosten – könnte Syrien auch zu einem Produktionspartner für deutsche Firmen machen. Ansätze dazu gab es schon früher, als es auch in Deutschland Kleidung aus Aleppo zu kaufen gab. Heute ist die Textilindustrie dort kaputt und Konkurrenten aus der Türkei und anderswo haben ihren Platz eingenommen.
Hat Syrien deutschen Partnern noch mehr zu bieten?
Marktkenntnis. Wir sind nahe dran an den Bedürfnissen der Kunden. Nicht nur in Syrien, sondern in ganz Nahost.
Ein Beispiel?
Panasonic verkauft seinen Fleischwolf im Irak aktuell für 100 US$, wir unseren für 125 US$. Dabei ist unser Gerät eine Kopie des Panasonic-Modells. Wir haben es aber an die Bedürfnisse einer Familie in Syrien angepasst. Diese ist, wie auch im Irak, größer als die typische japanische Kleinfamilie. Der Fleischwolf wird also viel mehr beansprucht. Wir haben deshalb das Getriebe verstärkt. Das japanische Modell ist für die hiesigen Märkte dagegen zu wenig robust.
Sie bauen also ausländische Modelle nach?
Das haben wir lange getan. Angesichts knapper Mittel kauften wir gebrauchte Fertigungslinien und Werkzeuge für die Herstellung vorhandener oder bereits ausgelaufener Modelle. Inzwischen arbeiten wir auch an Modellen mit unserem eigenen Design und an eigenen Werkzeugen für die Produktion.
Sie sind also kein bloßer Monteur ausländischer Teile?
Nein, wir arbeiten weder nach dem Completely-Knocked-Down- (CKD) noch nach dem Semi-Knocked-Down-Prinzip (SKD). Stattdessen importieren wir Komponenten und Vorprodukte – etwa aus Korea oder vom saudi-arabischen Kunststoffspezialisten SABIC. Unsere Lieferanten kommen zudem aus Europa, Taiwan und weiteren internationalen Märkten.
Welche Fertigungstiefe haben Sie?
Aktuell knapp 45 Prozent. Wir produzieren die meisten Kunststoffe und Metallteile selbst und beschichten sie auch, mit Maschinen aus Taiwan und China. Bei unserer aktuellen Doppelwannenwaschmaschine kommen wir schon auf 80 Prozent. Sie besteht ganz überwiegend aus Kunststoff. Wir importieren dafür nur den Motor.
Wie wurden Sie zum Hersteller von Haushaltsgeräten?
Ich begann mit dem Import von Elektronik und später Teilen für Haushaltsgeräten aus Fernost. Dafür war ich 1984 das erste Mal in China. 1993 fing ich mit einer eigenen Produktion in Damaskus an. Den Anfang machten Mixer, später erweiterten wir das Sortiment um Ventilatoren, Wasserspender, Waschmaschinen, Klimageräte und weitere Haushaltsprodukte. Im Jahr 2010 – kurz vor Ausbruch des Krieges – erzielten wir mit einer Produktionsfläche von einem Hektar einen Umsatz von 120 Millionen US$, darunter allein 600.000 produzierte Ventilatoren.
Hatten Sie unter dem Krieg zu leiden?
Leider. Ende 2013 wurde unsere Fabrik komplett zerstört, Totalverlust. Ab 2012 begannen Profiteure damit Teile und Geräte aus China zu importieren und diese mit unserem Label zu versehen. Ein Service fehlte, das beschädigte unsere Marke. 2014 eröffnete ich eine Fabrik in Jordanien – ein Fehler, den ich 2017 mit Verlust beendete. Der Markt dort funktioniert schlicht anders.
Wann begannen Sie mit dem Wiederaufbau der Produktion in Syrien?
Mit dem Wiederaufbau der Produktion begannen wir im April 2014 – die Wiedereröffnung erfolgte erst 2021. Trotz großer Herausforderungen konnten wir aus früheren Fehlern wertvolle Lehren ziehen. Heute sind wir mit 4 Hektar Fläche, 24 Spritzgussmaschinen, 30 Pressen und acht Fertigungslinien deutlich größer aufgestellt als zuvor. Unser Markenimage ist wieder etabliert, und die Jahre vor dem Umsturz Ende 2024 verliefen geschäftlich erfolgreich. Wir sind bereit für weiteres Wachstum.
In einem weiteren Interview spricht Ghassan Alkasem über die aktuelle Geschäftslage, die Stimmung im Land – und über die Herausforderungen, mit denen Unternehmer in Syrien heute konfrontiert sind.