Interview | Syrien | Geschäftspraxis
"Die Verwaltung in Syrien muss komplett neu anfangen"
Syrien steht vor einem Neuanfang. Im Interview erzählt der Chef des drittgrößten Herstellers von Haushaltsgeräten, was das für sein Geschäft heißt.
09.09.2025
Von Ulrich Binkert | Bonn

Die syrische Firma Ramco produziert in der Nähe von Damaskus Haushaltsgeräte – wieder. Firmenchef Ghassan Alkasem spricht über neue Freiheiten und Unsicherheiten, "Spenden" anstelle von Steuern – und wie er seinen Fahrer von Assads Schergen freibekam.
Herr Alkasem, wie fühlen Sie sich im "neuen Syrien"?
Vor dem Sturz Assads hätte ich Ihnen dieses Interview nicht gegeben. Endlich können wir hier wieder frei sprechen. Und es ist richtig was los in Damaskus. Der Flughafen ist voll mit Geschäftsleuten. Hotels sind teurer als in New York: Ein vernünftiges Zimmer bekommen Sie nicht unter 300 US-Dollar (US$).
Der Regierungswechsel ist also eine Befreiung?
Ja, aber leider sind Leben und Geschäft auch sehr unsicher geworden. Abends herrscht in den Ausgehvierteln von Damaskus Partystimmung – während nebenan vielleicht gerade jemand entführt wird. Große Fragezeichen stehen auch hinter der weiteren politischen Entwicklung.
Man kann niemandem trauen?
Genau. Früher wusste man, wer die Bösen sind. Heute kann das jeder sein. Die neuen Leute von überall her haben viel Leben gebracht, ja, aber es ist auch alles durcheinandergeraten. In der Nachbarschaft unserer Fabrik wurde neulich eine Frau entführt und später ermordet, trotz der Zahlung von Lösegeld. Unser Firmengelände muss ich jetzt absichern lassen. Bitte, ich bin Geschäftsmann und kein Polizist!
Die neue Regierung kann Sicherheit nicht gewährleisten?
Die ganze Verwaltung, das ganze Land muss nicht nur von Grund auf neu anfangen, wir starten quasi unterirdisch. Die vorige Regierung hat alles kaputt gemacht, es ist kein Geld mehr da und keine Strukturen, nichts. Dies wieder in Gang zu bringen ist extrem schwierig. Vor diesem Hintergrund macht die Regierung einen sehr guten Job.
Wie läuft es mit Steuern oder Zöllen?
Es gibt kaum Regeln und noch weniger werden durchgesetzt. Anstelle von Steuern werden wir zu "Spenden" aufgefordert. Importzölle gibt es, wenn kontrolliert wird. Die Tarife gehen nach Gewicht, 1.000 US$ pro Tonne. Für uns als produzierender Betrieb gelten 200 US$.
Wie steht es mit der Korruption?
Unter Assad war sie schlimm, aber man kannte zumindest die Player. Die Hochzeit meines ältesten Sohnes damals feierten wir im Sheraton. Am nächsten Tag meldete sich der Geheimdienst. Sie hatten meinen Fahrer eingesperrt. Sie wussten, als Geschäftsmann bin ich ein Ziel. Mein Fahrer kam nur raus, weil ich 200.000 US$ zahlte und weitere 50.000 US$ an einen Mittelsmann.
Sie haben seit 2017 die kanadische Staatsbürgerschaft. Warum tun Sie sich das alles an?
Unser Familienunternehmen in Kanada gehört zu den zehn größten Immobilienfirmen in der Ostprovinz Nova Scotia. Meine fünf Kinder sind jetzt zwischen 16 und 34 Jahre alt. Ich möchte dazu beitragen, dass sie in ein sicheres und wohlhabendes Syrien zurückkommen können.
Haben Sie in Ihrer Fabrik bei Damaskus Strom? Haushalte bekommen ihn nur zwei Stunden am Tag.
Als produzierende Firma werden wir rund um die Uhr mit Strom versorgt, für derzeit 0,17 US$ pro Kilowattstunde. Künftig wollen wir die Hälfte unseres Bedarfs mit den Solarpaneelen decken, die wir gerade auf unseren Dächern montieren. Die Wasserversorgung ist ebenfalls kein Problem.
Syrien ist nicht ans internationale Bankensystem angeschlossen. Wie wickeln Sie Zahlungen ab?
Problemlos, allerdings alles in bar. Wir können tatsächlich nicht per Bank Geld ins Ausland überweisen, um dort Vorprodukte einzukaufen. Unsere Vertriebspartner in Jordanien oder Irak können das aber. Und bei uns in Syrien funktioniert das über Wechselstuben. In 24 Stunden ist das Geld in Beijing, Taipei oder woanders. Es gibt in Syrien viel Konkurrenz in diesem Geldtransfergeschäft, wir zahlen nur 0,05 Prozent Kommission.
Woher kommen die Dollar?
Wir fakturieren ausschließlich in US-Dollar, im Export und auch bei unseren Kunden in Syrien. Keine Ahnung, wo das Geld herkommt, jedenfalls gibt es in Syrien viele Dollar. Über die Verfügbarkeit von Devisen und den Zahlungsverkehr mit dem Ausland mussten wir uns noch nie Gedanken machen.
Leidet Ihr Geschäft noch unter den langjährigen Sanktionen gegen Syrien?
Ja. Sie wurden zwar aufgehoben, aber wir spüren keine Änderung. Der koreanische Elektrokonzern LG beispielsweise beliefert uns weiterhin nicht nach Latakia. Ich bin auch an Partnern aus Europa interessiert. Im Jahr 2024, als die Sanktionen noch galten, sprach ich während der IFA-Messe in Berlin potenzielle Kandidaten an. Es wollte aber niemand mit uns kooperieren. Die Sanktionen zwangen syrische Hersteller, langjährige europäische Partner zugunsten chinesischer Firmen aufzugeben.
Hat sich der Markt durch den Umsturz verbessert?
Die Nachfrage ist enorm gestiegen. Andererseits konnte ich früher zum Beispiel eine bestimmte Klimaanlage für 850 US$ verkaufen, heute nur noch für 275 US$. Die alte Regierung hatte den Markt abgeschottet, heute gibt es auch von außen mehr Konkurrenz. Es kommt viel Schmuggelware rein, vor allem über Erbil und dann über die irakische Grenze, die die Regierung noch nicht unter Kontrolle hat. In Syrien übernehmen dann Clans die Weiterverteilung der Ware.
Steigt der Bedarf für Waschmaschinen oder Ventilatoren auch durch die Milliardenunterstützung, die einige Golfstaaten Syrien zugesagt haben?
Wir brauchen tatsächlich Hilfe von außen, Technik aus Europa und Geld vom Golf. Aber an dieses Geld glauben die Leute erst, wenn sie davon etwas sehen. Das ist bisher nicht der Fall.
Auch nicht im Wohnungsbau und der sonstigen Bauwirtschaft?
Da gibt es nur kleine Investitionen von Privatleuten und keine Großprojekte mit Geld aus Katar oder Saudi-Arabien. Noch fehlt es auch dafür an vielem: Maschinen, Baustoffe, alles. Zudem glauben viele, dass für die Hilfe Gegenleistungen erwartet werden.
In einem weiteren Interview gibt Ghassan Alkasem einen Einblick zur Marktentwicklung in Syrien.