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Markttrends
Der ukrainische Nahrungsmittelmarkt wächst, die Lebensmittelimporte steigen. Die Nahrungsmittelindustrie leidet jedoch unter den Ernteeinbußen von 2020 und strukturellen Problemen.
15.07.2021
Von Fabian Nemitz | Kiew
Nahrungsmittelindustrie bietet langfristig großes Potenzial
Dank der umfangreichen Agrarressourcen, des Binnenmarkts mit rund 40 Millionen Verbrauchern und der weltweit steigenden Nachfrage nach Nahrungsmitteln verfügt die ukrainische Lebensmittelindustrie über sehr gute Entwicklungschancen. Die Branche kam im Vergleich zu konjunkturabhängigeren Wirtschaftszweigen relativ gut durch die Coronakrise. Die Ukraine verzeichnete 2020 jedoch dürrebedingte Ernteeinbußen bei Getreide und Ölsaaten. Die geringeren Erträge belasten die Entwicklung der Nahrungsmittelindustrie im Jahr 2021.
Reale Veränderung der Produktion von Nahrungsmitteln, Getränken und Tabakwaren (gegenüber der Vorjahresperiode in Prozent)
2016 | 2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 1. Quartal 2021 |
---|---|---|---|---|---|
7,4 | 6,3 | -1,3 | 3,3 | -0,8 | -9,1 |
Umsätze im Lebensmitteleinzelhandel steigen
Die Einzelhandelsumsätze bei Lebensmitteln weisen mit der Erholung nach der schweren Krise 2014/15, steigenden Realeinkommen und dem Trend zum modernen Einzelhandel in den letzten Jahren ein deutliches Wachstum auf. Diese Tendenz setzte sich trotz Coronakrise auch 2020 fort. Der Absatz von Nahrungsmitteln im Einzelhandel stieg real um 9,6 Prozent auf 14,2 Milliarden US-Dollar (US$). Auch die Lebensmittelimporte verzeichneten nach Angaben des Statistikamtes Derzhstat 2020 ein Plus von nominal 13,2 Prozent auf einen Umfang von 6,5 Milliarden US$. Deutliche Einbußen musste hingegen die Gastronomie hinnehmen.
Der Aufwärtstrend dürfte sich weiter fortsetzen. In ihrem Inflationsausblick vom April 2021 rechnet die Nationalbank für 2021 und 2022 mit einem realen Zuwachs des privaten Konsums um 7,5 beziehungsweise 6,0 Prozent. Bereits im 1. Quartal 2021 legten die Einzelhandelsumsätze real um 7,5 Prozent zu.
In der Ukraine weisen viele Produkte langfristig ein großes Aufholpotenzial auf. Der Pro-Kopf-Verbrauch zahlreicher Nahrungs- und Genussmittel liegt deutlich unter dem Niveau von Westeuropa. Hemmfaktoren sind die geringe durchschnittliche Kaufkraft und die sinkende Einwohnerzahl. Die Trends hin zu einer gesunden Ernährung und zu neuartigen Produkten werden sich fortsetzen. Wegen der fortschreitenden Urbanisierung sehen die Marktforscher von Pro-Consulting ein weiteres Wachstumspotenzial bei Convenience-Produkten und Snacks.
Bild vergrößernUmsatzentwicklung ausgewählter Warengruppen im Einzelhandel (Angaben in Milliarden US$; Veränderung real in Prozent)
Produkte | 2020 *) | Veränderung 2020/19 |
---|---|---|
Lebensmittel, darunter | 14,25 | 9,6 |
Fleisch | 0,65 | 15,0 |
Fleischwaren | 0,99 | 7,5 |
Fisch | 0,69 | 18,1 |
Milch, Molkereiprodukte | 1,64 | 9,6 |
Backwaren | 1,11 | 0,3 |
Zuckerwaren | 1,05 | 5,3 |
Alkoholische Getränke | 2,22 | 9,7 |
Mineralwasser, Säfte, Softgetränke | 0,77 | 5,1 |
Homogenisierte Lebensmittelzubereitungen und diätetische Lebensmittel (einschließlich Kindernahrung) | 0,23 | 11,7 |
Coronapandemie bremst Investitionen in Nahrungsmittelindustrie
Die Bruttoanlageinvestitionen brachen 2020 in der Ukraine real um 24,4 Prozent ein. Auch die Nahrungsmittel-, Getränke- und Tabakindustrie blieb von dieser Entwicklung nicht verschont. Nach Angaben des Statistikamts Derzhstat gingen die Investitionen in die Branche im Jahr 2020 nominal sogar um 38,1 Prozent auf rund 762 Millionen US$ zurück. Damit umfasste der Wirtschaftszweig rund 29,6 Prozent der Investitionen in das verarbeitende Gewerbe.
Im Jahr 2021 werden die Investitionen wieder steigen. Die Nationalbank rechnet für das laufende Jahr und für 2022 mit realen Zuwächsen der Bruttoanlageinvestitionen um 7,5 beziehungsweise 9,2 Prozent. Die für Anfang 2022 geplante Einführung von Investitionsanreizen soll zu einer positiven Stimulierung führen. Laut Aussage von Serhij Ziwkatsch, Leiter von UkraineInvest, erhielt die Investitionsförderagentur seit Anfang 2021 Anfragen von fünf Agrarverarbeitern mit einem Projektvolumen von 363 Millionen US$.
Die ukrainische Nahrungsmittelindustrie verfügt über ein großes Potenzial zur Ausweitung der Wertschöpfung. Hemmschuhe für das Investitionswachstum sind Mängel im Investitionsklima und hohe Finanzierungskosten. Die seit Jahren sinkenden Bestände an Kühen und Schweinen behindern die Entwicklung der Milch- und Fleischwirtschaft.
Internationale Geber sind eine wichtige Stütze für Investitionen. Perspektiven bietet seit Ende 2019 das mit 400 Millionen Euro ausgestattete Programm "Agri-Food Value Chain Project" der EIB. Weitere wichtige Geber sind EBWE und IFC.
Auch die Anpassung von Standards an Richtlinien der Europäischen Union (EU) im Rahmen des Assoziierungsabkommens erfordert Investitionen. Rund 70 Prozent der Ausrüstungen der Betriebe sind veraltet, schreibt die US-Außenhandelsmission.
Ausgewählte Projekte in der ukrainischen Nahrungsmittelindustrie (Investitionssumme in Millionen US$)
Projektbezeichnung | Investitionssumme | Projektstand | Projektträger |
---|---|---|---|
Bau eines Werks zur Weiterverarbeitung von Mais im Gebiet Ternopil | 600 (1. Stufe: 200) | Gespräche mit der Gebietsverwaltung Ternopil im Februar 2021 | Fufeng Group (China) |
Erweiterung der Geflügelfarm Vinnytsia Poultry Complex (2. Phase, 4. Linie) | 200 bis 220 | Pläne verzögern sich laut Ratingagentur Fitch wegen finanzieller Einbußen im Jahr 2020 | |
Bau eines Pflanzenölwerks (Verarbeitungskapazität: 1 Mio. Tonnen/Jahr) in Starokostjantyniw (Gebiet Chmelnyzkyj) einschließlich Biomasse-Kraftwerk | 130 | in Umsetzung; geplante Fertigstellung: bis Ende 2021 | |
Erweiterung und Modernisierung der Tabakwarenfabrik in Krementschuk | 45 | geplante Umsetzung: 2021 bis 2022 | |
Bau eines Geflügelzuchtkomplexes im Rajon Turijsk (Gebiet Wolhynien) | 38 Mio. Euro | in Umsetzung; geplante Fertigstellung bis Ende 2022 | |
Bau eines Werks zur Produktion hefebasierter Lebensmittelzusätze in Lemberg (Lwiw) | 26 Mio. Euro | in Umsetzung; geplante Inbetriebnahme: 1. Quartal 2022; Information über Unterstützung der EBWE im Dezember 2020 | |
Erweiterung von Schweinezuchtanlagen | 25 | in Umsetzung | Nyva Pereyaslavshchiny; Finanzierung mit Mitteln der EBWE und IFC |
Bau einer Fabrik zur Weiterverarbeitung von Kartoffeln (bis zu 50.000 Tonnen/Jahr) in Hlynjany (Gebiet Lemberg/Lwiw) | 7 | in Vorbereitung; Gespäche mit der Verwaltung des Gebiets Lemberg im März 2021 | |
Bau einer Fabrik für Backwaren in Fastiw (Gebiet Kiew); Fertigung für den Bedarf einer großen Fast-Food-Kette | 30 | in Diskussion; Information über Gespräche mit Investitionsförderagentur UkraineInvest wurden Anfang März 2021 bekannt | Bimbo QSR Ukraina (Tochter der mexikanischen Grupo Bimbo); im Oktober 2017 hat Grupo Bimbo bereits die Großbäckerei East Balt in Dnipro übernommen |
Bau einer Anlage zur Weiterverarbeitung von Mais (500.000 Tonnen/Jahr) zu Futtermitteln und Bioethanol | k. A. | Unterzeichnung eines Memorandums mit der US-amerikanischen Marquis Energy Mitte April 2021 |
Milchproduktion weiter rückläufig
Der Bestand an Milchkühen ist in den letzten Jahrzehnten drastisch zurückgegangen. Auch aktuell setzt sich dieser Trend fort, besonders in kleinen Nebenwirtschaften. Der Bestand bei professionellen Betrieben bleibt dagegen stabil. Die Milchproduktion sank 2020 um 4,2 Prozent auf 9,2 Millionen Tonnen. Für 2021 erwartet das Wirtschaftsministerium einen weiteren Rückgang auf 9,1 Millionen Tonnen.
Die Milchwirtschaft klagt über zunehmende Importe und unfaire Wettbewerbsbedingungen im Vergleich zu subventionierten Herstellern in der EU. Der Verband der Milcherzeuger hat ein Entwicklungsprogramm für den Sektor erstellt.
Geflügelfleisch dominiert den Binnenmarkt und die Fleischexporte
Wegen der günstigen Preise entfällt der größte Teil des Fleischkonsums in der Ukraine auf Geflügel. Das Land verfügt über eine wettbewerbsfähige Geflügelindustrie, die ihre Kapazitäten in den vergangenen Jahren stark ausgebaut hat. Künftig wird sich dieser Trend abschwächen. Der Branchenprimus MHP rutschte 2020 in die roten Zahlen.
Stark rückläufig ist aktuell die Produktion von Eiern. Ein Grund hierfür liegt in finanziellen Problemen der Firma Avangard, gegen deren Eigner die Antikorruptionsbehörden ermitteln.
Zuckerproduktion sinkt
Der Anbau von Zuckerrüben und die Herstellung von Zucker gehen seit einigen Jahren zurück. Die Produktion sank 2020 um ein Drittel auf rund 980.000 Tonnen. Fachleute erwarten für die Zukunft eine Trendwende. Einige Produzenten investieren in die Modernisierung der Anlagen, meldet der Verband Ukrsugar.
Laut einer Untersuchung von Pro-Consulting investieren die Hersteller von Pflanzenöl ständig in die Modernisierung der Werke und die Ausweitung der Produktion von raffiniertem Öl.
Stand: Mai 2021