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Branche kompakt | Ungarn | Chemische Industrie

Ungarns Chemieindustrie trotzt der Krise

Die Chemieindustrie profitiert von der dynamischen Entwicklung der Wirtschaft. Der Bedarf an Chemikalien wird weiter steigen. Das eröffnet Chancen für Lieferungen und Anlagenbau.

Von Waldemar Lichter, Marta Gömöry | Budapest

  • Markttrends

    Die Kfz-Industrie, der Bauboom und der strategische Ausbau wichtiger Industrien, gefördert vom Staat, sorgen für eine starke Nachfrage nach Chemieerzeugnissen.

    Chemieproduktion wächst aufgrund der Inlandsnachfrage

    Der ungarische Chemiemarkt wird in den nächsten Jahren weiter zulegen. Für die guten Aussichten sorgt zum einen die grundsätzlich günstige wirtschaftliche Entwicklung im Land. Die Coronapandemie und seit 2022 auch der Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Abschwächung in der EU bremsen zwar derzeit das Wachstum aus. Ab 2024 wird die ungarische Wirtschaft aber zu ihrem früheren Aufwärtstrend zurückkehren.

    Prognosen der Europäischen Kommission gehen für 2023 von einer Stagnation, für 2024 aber von einem kräftigen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 2,6 Prozent aus. Dabei wird das Land von einer wieder stärkeren Nachfrage aus dem Ausland profitieren. Die ungarischen Exporte werden, Prognosen der EU-Kommission zufolge, bereits 2023 um 3,5 und 2024 um 4,8 Prozent zulegen, jeweils gegenüber dem Vorjahr.

    Das wird das Wachstum der Industrieproduktion befeuern – vor allem in Exportzweigen, die zu wichtigen Abnehmern chemischer Erzeugnisse gehören, wie etwa in der Auto- und -zulieferindustrie. Mit kräftigem Zuwachs ist auch in der ungarischen Nahrungsmittel- und Pharmaindustrie zu rechnen. Deren ohnehin große Bedeutung für die ungarische Wirtschaft dürfte in den nächsten Jahren weiter zunehmen.

    Strategische Industriezweige werden entwickelt

    Denn die Erfahrungen der Coronakrise mit unterbrochenen Lieferketten und Versorgungsengpässen haben die ungarische Regierung dazu veranlasst, in einigen strategisch wichtigen Branchen Förderprogramme zum Ausbau eigener Produktionskapazitäten aufzulegen. Dazu gehören vor allem der Agrarsektor, die Nahrungsmittelproduktion sowie die Medizintechnik und Pharmaindustrie.

    Das lässt für die nächste Zeit eine Zunahme der Nachfrage etwa nach chemischen, agrarchemischen und pharmazeutischen Vorprodukten sowie Verpackungen und Verpackungsmaterial erwarten. In diesem Zweig wird bereits in Kapazitäten investiert, die nicht nur den lokalen Markt, sondern auch Exportmärkte bedienen. Dazu gehört beispielsweise der Bau eines Werkes für Verpackungsfolien in Rétság (71 Millionen Euro) durch das indische Unternehmen Uflex.

    Das bisher starke Wirtschaftswachstum ging einher mit einer hohen Zunahme der Löhne und der Kaufkraft. Hinzu kommt der Bauboom seit 2017 (Wachstum der Bauproduktion 2017 bis 2019 zwischen 18 bis 20 Prozent pro Jahr). Er wurde nur 2020 durch die Auswirkungen der Coronakrise unterbrochen. Bereits 2021 kletterte die Produktion im Bausektor wieder kräftig um 12,1 Prozent. Auch in den ersten zehn Monaten 2022 nahm sie um 3,8 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu. Die höhere Kaufkraft und die rege Bautätigkeit haben die Nachfrage nach Haushaltschemikalien und Baustoffen, Bauchemie sowie Dämmstoffen steigen lassen.

    Eine Reihe von Unternehmen aus dem Bereich Bauchemie hat in jüngster Zeit mit Investitionen in die Erweiterung ihrer Produktions- und Lagerkapazitäten begonnen, etwa zur Herstellung von EPS-Dämmstoffen. Besonders aktiv bei Investitionen in den Ausbau von Produktionskapazitäten für Dämmstoffe ist das ungarische Unternehmen Masterplast. 

    Wichtigste Impulse von der Automobilindustrie 

    Die stärksten Nachfrageimpulse für den Chemiemarkt dürften aber weiterhin von der Automobil- und -Zulieferindustrie ausgehen. Der wichtigste Industriezweig in Ungarns verarbeitendem Gewerbe erzielt Jahr für Jahr neue Produktions-, Umsatz- und Exportrekorde. Die Dynamik wird auch in nächster Zeit positiv bleiben, weil in der Branche einige große Neubauvorhaben auf dem Weg sind. Die Kapazitäten werden steigen und für eine höhere Nachfrage nach Chemieerzeugnissen sorgen.

    Dazu gehören etwa der Bau des zweiten Mercedes-Werkes in Kecskemét und einer neuen BMW-Fabrik in Debrecen. Das zieht Investitionen in neue und in die Erweiterung bestehender Kapazitäten in der Kfz-Zulieferindustrie nach sich. Ausländische Unternehmen dominieren den großen Sektor. Durch die Erweiterungen wird der Bedarf an Produkten der chemischen Industrie, wie Kunststoffe und Kunststofferzeugnisse oder Lacke, steigen.

    Das spiegelt sich bereits in der Entwicklung der Produktion der einzelnen Sparten der ungarischen Chemiebranche wider. Während die Erzeugung der gesamten chemischen Industrie sowie in der bedeutenden Pharmabranche starke Schwankungen aufweist, zeigen die Ergebnisse in der Sparte Kunststoff- und Kautschukerzeugnisse seit Jahren stetig und kräftig nach oben. In diesem Bereich ist in den nächsten Jahren mit einer weiteren Expansion zu rechnen. 

    MOL-Konzern mit umfangreichen Investitionen in der Petrochemiesparte

    Die größten Veränderungen wird die Chemie- beziehungsweise die Kunststoffindustrie durch die umfangreichen Investitionsvorhaben in Höhe von etwa 4,2 Milliarden Euro erfahren, die der Mineralölkonzern MOL bis 2030 durchzuführen beabsichtigt. MOL gehört zu den größten Unternehmen des Landes. Er möchte die Wertschöpfungskette in seinem Petrochemiebereich erweitern und seine Bedeutung für die Automobilzulieferbranche erhöhen. 

    Milliardenschwere Investitionen finden auch in einer neuen Sparte der Chemieindustrie statt – in die Fertigung von Antriebsbatterien für E-Autos. Neben der Produktion von Batteriezellen, etwa durch Samsung SDI, SK Innovation oder CATL, steigen auch zahlreiche fernöstliche Zulieferer von Komponenten für die Batterieherstellung mit Fabriken in den Markt ein. 

    Ausgewählte Investitionsprojekte der chemischen Industrie in Ungarn

    Akteur/Projekt

    Investitionssumme (in Mio. Euro)

    Projektstand

    Anmerkungen

    Mineralölkonzern MOL: Investitionen im Rahmen eines mittelfristigen Programms bis 2030+

    4.200 (bis 2030)

    Diverse Projekte auf dem Weg; Verträge über Lizenzen und Anlagen unter anderem mit Thyssenkrupp und Evonik

    Diversifikation der Produktion, Stärkung der Petrochemie

    MOL: Bau eines Polyol-Werkes in Tiszaújváros; Kapazität: 200.000 jato

    1.300

    Verzögerungen durch Corona; Fertigstellung bis Ende 2022 geplant

    EPC-Vertrag mit Thyssenkrupp Industrial Solutions

    BorsodChem; Anilin-Anlage in Kazicbarcika; Kapazität: 200.000 jato

    142

    Planung

    Regierung bezuschusst mit 45 Mio. Euro (in 142 Mio. enthalten)

    Quelle: Unternehmens- und Pressemeldungen, Recherchen von Germany Trade & Invest

    Von Waldemar Lichter, Marta Gömöry | Budapest

  • Branchenstruktur

    Chemieindustrie stieg zum zweitwichtigsten Zweig des ungarischen verarbeitenden Gewerbes auf.

    Mehr als zwei Drittel der Chemieproduktion werden exportiert

    Der Produktionswert der chemischen Industrie (NACE-Gruppen 20, 21, 22) erreichte 2021 nach Angaben des ungarischen Statistikamtes (KSH) umgerechnet 17 Milliarden Euro. Hinzu kommt die mineralölverarbeitende Industrie mit einem Produktionswert von 5,2 Milliarden Euro.

    Wichtiger als der Inlandsmarkt ist für die ungarischen Chemieunternehmen das Auslandsgeschäft. Der Anteil der Exporterlöse am Gesamtumsatz der chemischen Industrie lag 2021 bei 72,7 Prozent. Über dem Durchschnitt lag dieser Wert in der Kautschuk- (94,6 Prozent) und in der Pharmaindustrie (84,1 Prozent, darunter pharmazeutische Grundstoffe 90,2 Prozent). Recht hoch war das Gewicht der Ausfuhren bei Grundstoffen der organischen Chemie (89,6 Prozent), agrarchemischen Produkten (85,7 Prozent), Wasch-, Pflege- und Reinigungsmitteln (81,1 Prozent) und bei Kunststoffvorprodukten (73,3 Prozent).

    Bedeutendste Sparte der Chemieindustrie ist die Grundstoff- und Chemikalienerzeugung mit einem Anteil von 35,9 Prozent (2021) an der Produktion des gesamten Zweiges. Es folgen Kunststoffwaren mit 26,6 Prozent, Medikamentenerzeugnisse mit 15,8 Prozent und die Kautschukindustrie mit 14,9 Prozent. Die Agrarchemie ist (Düngemittel: 2,5 Prozent, Pflanzenschutzmittel: 0,7 Prozent) von untergeordneter Bedeutung, auch wenn es in der Sparte mit dem Unternehmen Nitrogénművek Zrt (Bige Holding) einen großen Hersteller von Mineraldünger gibt (einziger Produzent von Stickstoffdüngemittel in Ungarn).


    Produktion ausgewählter chemischer Erzeugnisse in Ungarn (in Millionen Euro; Veränderung und Marktanteil in Prozent)

    Sparte (NACE)

    2021

    Veränderung 2021/2020 

    Anteil

    Chemieprodukte (20, 21, 22)

    17.008

    32,1

    100

    Chemikalien und Chemieprodukte (20)

    7.219

    56,7

    42,4

    Kunstdünger (2015)

    419

    74,1

    2,5

    Pflanzenschutzmittel (2020)

    126

    18,8

    0,7

    Farben und Lacke (2030)

    221

    7,7

    1,3

    Pharmazeutische Grundstoffe (21)

    2.834

    3,3

    16,7

    Pharmapräparate (212)

    2.684

    2,3

    15,8

    Kunststoff- und Kautschukprodukte (22)

    6.995

    25,8

    41,1

    Kautschukprodukte (221)

    2.434

    17,3

    14,3

    Kunststoffprodukte (222)

    4.521

    30,8

    26,6

    Quelle: Statistikamt KSH

    Führende Unternehmen im Bereich Körperpflege-, Kosmetik- und Reinigungsmittel sind Henkel Magyarország Kft. (Umsatz 2021: 228 Millionen Euro) und Reckitt Benckiser Tatabanya Kft. (2020: 64 Millionen Euro). Henkel ist Marktführer auf dem ungarischen Markt für Reinigungsmittel, Haarkosmetik und Klebstoffe. Das Unternehmen betreibt zwei Werke im Land - in Körösladány (Wasch- und Reinigungsmittel) und in Tatabánya-Környe (wasserbasierte Klebstoffe für die Verpackungs- und die Elektronikindustrie).

    Zahlreiche internationale Unternehmen in der Pharmaindustrie tätig

    Ein Schwergewicht innerhalb der Chemiebranche ist die Pharmaindustrie mit einem Anteil von 16,7 Prozent. Führender Hersteller ist das ungarische Unternehmen Gedeon Richter. Ein weiterer wichtiger Akteur, Egis, wurde 2013 zum französischen Unternehmen Servier übernommen. Bereits seit 1995 gehört der bedeutende Hersteller von Pharmaingredienzien, Biogal Gyógyszergyár Debrecen, zum israelischen Pharmaunternehmen Teva (jetzt: Teva Gyógyszergyár). Mit F&E-Aktivitäten und Fertigung sind in Ungarn ferner MSD Pharma (Merck Group of America) und GlaxoSmithKline (Impfstoffe) vertreten.

    Die Mineralölkonzern MOL, eines der größten Unternehmen des Landes, will mit seinem Investitionsprogramm zum führenden Chemie-Player in Mittel- und Osteuropa aufsteigen. Mit dem Ausbau der Polyol-Kapazitäten auf 1,4 Millionen Jahrestonnen wird der Konzern zu den bedeutenden Herstellern in Europa gehören. Nach Angaben von MOL war dieses Projekt die größte Investition überhaupt. Zudem übernahm MOL die deutsche Auroragruppe, die auf die Verarbeitung recyclebarer Kunststoffe spezialisiert ist. Dadurch erweitert das Unternehme sein vorhandenes Portfolio an Polypropylenen und Polyethylenen um hochqualitative Polyamide, Polypropylen und andere Verbundwerkstoffe auf Rezyklatbasis. Im Oktober 2020 wurde im Rahmen des Investitionsprogramms bereits das Kautschuk-Bitumen-Werk in Zalaegerszeg fertiggestellt.

    Wichtiges Unternehmen in der Chemieindustrie ist außerdem BorsodChem (Kazincbarcika; gehört der Wanhua Industrial Group/VR China). Es ist der einzige Hersteller von PVC und Isocyanaten in Ungarn und produziert zudem kaustische Soda, die Polyurethan-Ausgangsstoffe TDI und MDI sowie Polystyrol. 


    Wichtige Branchenunternehmen in Ungarn (Umsatz in Millionen Euro)

    Unternehmen

    Sparte

    Umsatz 2021

    BorsodChem Zrt. (Wanhua/VR China)

    Produktion und Verarbeitung von Kunststoffen, Polyurethan, PVC

    2.530

    MOL Petrolkémia Zrt. (MOL-Konzern)

    Ethylen, Propylen, Polyethylen, Polypropylen

    1.015 (2020)

    Richter Gedeon Nyrt.

    Pharmaindustrie

    1.759

    Chinoin Zrt. (Sanofi-Aventis)

    Pharmaindustrie

    1.287

    Hankook Tire Magyarorszag Kft. (Korea Rep.)

    Reifen

    717

    Egis Gyogyszergyar Zrt. (Servier)

    Pharmaindustrie

    546

    Pannonia Bio Zrt.

    Bioethanol

    449

    Nitrogénművek Zrt. (gehört zur Bige Holdung Group.)

    Kunstdünger

    261 (2019)

    ContiTech Fluid Automotive Hungária Kft

    Kautschuk- und Kunststoffprodukte (Schläuche, Bänder)

    181 (2020)

    DUNASTYR Polisztirolgyarto Zrt. (Gehört zur Versalis S.p.A. group)

    Polystyrol-Produkte

    182

    Quelle: EMIS Unternehmensdatenbank 2022

    Produktionskapazitäten der petrochemischen Industrie in Ungarn*

    Erzeugnis

    2021

    2026

    Ethylen

    440

    440

    Propylen

    220

    345

    Benzol

    120

    120

    Butadien

    130

    130

    HDPE

    410

    410

    LDPE

    65

    65

    PE

    475

    475

    Polypropylen

    320

    320

    Vinylchlorid

    400

    400

    PVC

    440

    440

    * 1.000 Tonnen pro Jahr; 2026: PrognoseQuelle: Fitch Solutions

    Von Waldemar Lichter, Marta Gömöry | Budapest

  • Rahmenbedingungen

    Für die Zulassung von Medikamenten ist auf nationaler Ebene das Nationale Pharma- und Ernährungsinstitut (Országos Gyógyszerészeti és Élelmezés-egészségügyi Intézet; OGYÉI) zuständig. Für gefährliche Chemikalien ist das Nationale Institut für Chemiesicherheit (Országos Kémiai Biztonsági Intézet; OKBI) zuständig. Das OKBI arbeitet als Kontroll-, Forschungs-, Zulassungs- und Beratungsstelle in diesem Bereich.

    Im innergemeinschaftlichen Warenverkehr der Europäischen Union (EU) sind die Regelungen des Umsatzsteuerkontrollverfahrens in der EU zu beachten. Informationen hierzu finden sich auf der Internetseite des Bundeszentralamtes für Steuern. Hinsichtlich der Normierung gelten die einschlägigen EU-Richtlinien (siehe etwa die Website des Deutschen Instituts für Normung e.V.).

    Die GTAI stellt ausführliche Informationen zum Wirtschafts- und Steuerrecht sowie zu Einfuhrregelungen, Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen zur Verfügung.


    Von Waldemar Lichter, Marta Gömöry | Budapest

  • Kontaktadressen

    Bezeichnung

    Anmerkungen

    Germany Trade & Invest

    Außenhandelsinformationen für die deutsche Exportwirtschaft

    Deutsch-Ungarische Industrie- und Handelskammer DUIHK (AHK Ungarn)

    Anlaufstelle für deutsche Unternehmen

    Ministerium für Finanzen

    Zuständig auch für Investitionszuschüsse

    Magyar Vegyipari Szövetség

    Fachverband der ungarischen Chemieindustrie

    Magyar Műanyagipari Szövetség (MMSZ) 

    Verband der ungarischen Kunststoffindustrie

    Magyar Festékgyártók Országos Szövetsége

    Verband der Farbenhersteller

    Magyar Gumiipari Szövetség

    Verband der Gummihersteller

    Polimerek

    Monatszeitschrift des Verbandes der Kunststoffindustrie

    Hungarian Journal of Industry and Chemistry

    Wissenschaftliches Periodikum zu Chemie, Biotechnologie, Umwelttechnologie und anderen

    Diverse Fachmessen des Messeveranstalters Hungexpo/Budapest

    Zum Beispiel: „Industry Days“ (allgemeine Industriemesse), „Construma“ (Bauwirtschaft, auch Bauchemie)


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