Innovative Therapien gegen komplexe Krankheiten bleiben Umsatztreiber - während Biosimilars neue Chancen bieten. Hohe Gewinne versprechen Medikamente gegen Übergewicht.
Das Wachstum der US-Pharmabranche verliert etwas an Tempo. Laut dem IQVIA-Institut sollen die Umsätze mit Arzneimittel bis 2029 die Marke von 600 Milliarden US-Dollar (US$) überspringen. Dies entspricht zwar einem durchschnittlichen Plus von 4,7 Prozent pro Jahr - ist aber geringer als die 7,3 Prozent im Zeitraum 2020 bis 2024. "Zusätzlich zu auslaufenden Patenten wirken auch gesetzgeberische Maßnahmen zur Begrenzung der Medikamentenpreise dämpfend", erklärte Jamie Pritchett, Associate Research Director von IQVIA bei der Vorstellung der Prognose.
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Mrd.
definierte Tagesdosen wurden 2024 in den USA verabreicht. Ein Anstieg um insgesamt 13,7% seit 2019.
Angetrieben wird das Wachstum durch Innovation. In den nächsten 5 Jahren dürfte die Food and Drug Administration (FDA) jeweils etwa 50 bis 55 neue Medikamente zulassen. Die Pipeline umfasst viele neue Wirkstoffe für Krebs-, Immun- und Nervenerkrankungen sowie zur Behandlung von seltenen Krankheiten - ergänzt durch neue Therapien für lebensstilbedingte Leiden wie Übergewicht.
Was viele neue Arzneimittel eint, ist der hohe Preis. Der Median der jährlichen Therapiekosten neu zugelassener Medikamente liegt bei rund 350.000 US$. Entsprechend macht der Anteil dieser hochpreisigen Spezialtherapien am Gesamtmarkt bereits 54 Prozent aus und wächst weiter an. Dies geschieht zulasten klassischer Präparate, die zwar größere Patientengruppen erreichen, jedoch deutlich niedrigere Preise aufweisen.
Hohe Therapiekosten tragen dazu bei, dass der tatsächliche Medikamentenbedarf in den USA häufig nicht gedeckt wird. Rund 27 Prozent der Rezepte werden nicht eingelöst – vor allem wegen hoher Zuzahlungen oder weil Versicherungen die Kostenübernahme ablehnen. Bei neuen Spezialmedikamenten sind es laut IQVA sogar 52 Prozent.
Zahl neuer Krebstherapien steigt weiter
Die Onkologie bleibt das dynamischste Wachstumsfeld: Bis 2029 werden mehr als 100 neue Medikamente erwartet. Präzisionsmedizin und Biomarker, die genetische und molekulare Eigenschaften des Tumors erfassen, ermöglichen zunehmend maßgeschneiderte Therapien und treiben die Entwicklung hochspezifischer Wirkstoffe voran.
Pharmariese Pfizer setzt stark auf die Krebsforschung und treibt zahlreiche klinische Studien im fortgeschrittenen Stadium voran. Bis 2030 will der Konzern mindestens acht umsatzstarke Blockbuster im Portfolio haben. Mit AstraZeneca, Merck, Johnson & Johnson und Bristol-Meyers gibt es starke Konkurrenz in der Onkologie.
Eng mit der Onkologie verknüpft ist das Wachstumsfeld der Gen- und Zelltherapien. Bei diesen innovativen Verfahren werden veränderte Zellen oder DNA in den Körper eingeführt, um die Ursachen schwer behandelbarer Erkrankungen zu bekämpfen.
Weltweit sind rund 100 solcher Therapien verfügbar, davon knapp die Hälfte (46) in den USA. Aufgrund geplanter Richtlinien der FDA zur beschleunigten Zulassung erwartet die Branche, dass bis 2030 rund 30 bis 50 neue Gen- und Zelltherapien auf den US-Markt kommen könnten.
In der Immunologie wächst die Konkurrenz durch Biosimilars
Auch Behandlungen gegen Autoimmunkrankheiten wie Neurodermitis oder Psoriasis bleiben ein Wachstumsfeld. Im Jahr 2024 wurden rund 1,4 Milliarden definierte Tagesdosen (Defined Daily Doses, DDD) für immunologische Medikamente verabreicht.
Das Volumen dürften in den nächsten Jahren weiter steigen - doch steigender Wettbewerb durch Biosimilars bremst das wertmäßige Wachstum. Neben dem Entzündungshemmer Humira, lange das umsatzstärkste Medikament weltweit, haben mittlerweile auch andere immunologische Blockbuster wie Actemra und Stelara Konkurrenz durch Biosimilars bekommen.
Zwischen 2025 und 2034 verlieren in den USA 118 biologische Wirkstoffe ihren Patentschutz. Laut IQVIA ergibt sich daraus ein theoretisches Marktpotenzial für Biosimilars von etwa 232 bis 234 Milliarden US$ .
Bislang hat die FDA 76 Biosimilars für verschiedene Therapiebereiche zugelassen (Stand: Oktober 2025). In Bereichen, in denen Biosimilars bereits mit Originalpräparaten konkurrieren, hatten diese im Jahr 2024 einen mengenmäßigen Anteil von 24 Prozent.
Aus Deutschland ist Boehringer Ingelheim mit dem Humira-Biosimilar Cyltezo im US-Markt vertreten. Auch die bayerische Formycon AG ist aktiv: Ihr Stelara-Biosimilar Otulfi wurde 2024 von der FDA zugelassen, für das Eylea-Biosimilar wird eine weitere FDA-Zulassung für 2026 erwartet. Auch Fresenius Kabi engagiert sich auf dem US-Markt.
Mittel gegen Übergewicht boomen
Eine besondere Dynamik geht von den GLP-1-Medikamenten zur Gewichtsreduktion aus. Die zugelassenen Produkte Zepbound von Eli Lilly und Wegovy von Novo Nordisk vereinen hohe Preise mit hoher Nachfrage - eine Kombination die im Pharmamarkt selten ist.
„Wir erwarten, dass die Umsätze mit Abnehmmedikamenten bis 2029 auf mindestens 60 Milliarden US$ steigen. Ein Unsicherheitsfaktor ist jedoch, in welchem Umfang diese Therapien künftig von Kostenträgern erstattet werden“, erklärt Jamie Pritchett. Sollten staatliche Systeme wie Medicare und private Versicherer die Mittel breit in ihre Leistungskataloge aufnehmen, wären bis 2029 sogar bis zu 84 Milliarden US$ möglich.
Das Marktpotenzial ist enorm: Rund 40 Prozent der US-Bevölkerung sind übergewichtig, doch nur etwa 4 Prozent erhielten 2024 ein Rezept für GLP-1-Therapien. Der nächste Schub dürfte durch einfach zu verabreichende GLP-1 Tabletten kommen. Die ersten Zulassungen für Novo Nordisk und Eli Lily stehen kurz bevor.
Regierung hält an Preisverhandlungen fest
Ein ständiges Thema in den USA sind hohe Preise für Arzneimittel. Im Vergleich zum Durchschnitt der OECD-Staaten sind diese fast dreimal so hoch. Um gegenzusteuern, führte die Regierung von Joe Biden mit dem Inflation Reduction Act (IRA) verbindliche Preisverhandlungen für Arzneimittel im staatlichen System Medicare ein. Ziel ist es, die Medikamentenpreise um 25 bis 60 Prozent zu senken – abhängig vom Einzelfall.
Für die ersten zehn Pharmazeutika (außerhalb des Patentexklusivitätsrechts) treten die verhandelten Preise ab 2026 in Kraft. Die Trump-Regierung schloss die Verhandlungen für eine zweite Gruppe von 15 Medikamenten ab, deren Preise ab 2027 gelten. Eine dritte Verhandlungsrunde ist für 2028 geplant.
Most Favored Nation Pricing und TrumpRx - neue Strategien für günstigere Medikamentenpreise
Die US-Regierung hält an den durch den Inflation Reduction Act eingeführten Medicare- Preisverhandlungen fest. Präsident Trump setzt jedoch zusätzlich auf ein weiteres Instrument, das bereits aus seiner ersten Amtszeit bekannt ist: das Most-Favored-Nation (MFN)-Prinzip. Damit sollen US-Arzneimittelpreise an das niedrigste Preisniveau anderer Industriestaaten gekoppelt werden.
Anstatt mit verpflichtenden Preisfestsetzungen zu starten, verfolgt Trump aber zunächst freiwillige Verhandlungen. Erste Deals wurden mit Pfizer und AstraZeneca geschlossen: Beide verpflichten sich, Medikamente für Medicaid und über das neue Direktkauf-Portal TrumpRx zu MFN-Preisen anzubieten. TrumpRx soll Anfang 2026 starten und Verbrauchern den Direktbezug zu deutlich reduzierten Preisen ermöglichen.
Eli Lily und Novo Nordisk verpflichten sich zudem, die Preise für GLP-1 Schlankmacher zu senken. Die deutsche EMD Serano (Merck KGaA) liefert künftig In-vitro-Diagnostika zu günstigeren Konditionen.
Von Heiko Stumpf
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San Francisco