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Wirtschaftsumfeld | Vietnam | Investitionsklima

Ungewohnt viele Stromausfälle beeinträchtigen die Wirtschaft

Die zahlreichen Stromausfälle in Vietnam betreffen auch Industrieparks und Häfen. Mittlerweile hat sich die Stromversorgung stabilisiert, es gibt aber noch keine Entwarnung.

Von Peter Buerstedde | Hanoi

Stromausfälle sind keine völlige Ausnahmeerscheinung in Vietnam. In den heißesten Monaten Juni und Juli kommt es landesweit regelmäßig zu kurzen Engpässen. Die Situation ist in diesem Jahr aber ungleich kritischer. So begannen die Ausfälle bereits im Mai und traten bis Ende Juni öfter und langanhaltender auf als in den Vorjahren. Auch gibt es meist keine Vorwarnung. Zum Teil erfahren die Unternehmen am Morgen eines Tages, dass am Nachmittag der Strom abgeschaltet wird.

Im Süden gingen die Stromausfälle nicht über das übliche Maß hinaus. Betroffen war in erster Linie der Norden des Landes, insbesondere die dortigen Industrieparks. Wichtige Großinvestoren wie Samsung, Canon und LG mussten ebenso die Produktion unterbrechen wie kleinere Firmen. Im einzigen Tiefseehafen im Norden in Haiphong standen streckenweise die Kräne still. Angesichts von Stromausfällen in Hotels und Vergnügungsparks sollen in einigen Fällen Touristengruppen ihre Reisen abgesagt haben.

Hitzewellen wirken sich auf Stromverbrauch und -erzeugung aus

Für die Häufung von Ausfällen in diesem Jahr ist ein Zusammenspiel von Faktoren verantwortlich. Das Wetterphänomen El Niño hat Vietnam 2023 besonders starke und frühe Hitzewellen beschert. Anfang Mai wurde mit über 44 Grad Celsius ein neuer Hitzerekord aufgestellt. Entsprechend frühzeitig hatte die Bevölkerung die Klimaanlagen angeworfen und der Strombedarf stieg schon im Mai stark an. In den Sommermonaten Juni und Juli soll die Durchschnittstemperatur um 0,5 bis 1 Grad Celsius höher liegen als normalerweise.

Vorausgegangen waren relativ trockene Monate. Dadurch ist das Wasser in den Staudämmen auf kritische Tiefstände gefallen. Im Norden des Landes mussten elf Wasserkraftwerke im Juni den Betrieb stoppen, um die Anlagen nicht zu gefährden. Dadurch fielen in der Region etwa drei Viertel der Wasserkraftkapazitäten aus.

Der Norden des Landes hängt stark von der Wasserkraft ab. Aber auch die Kohlekraftwerke standen nicht vollständig zur Verfügung. Die staatliche Vietnam Electricity Group (EVN) hatte es zum Teil versäumt, ausreichend Kohle zu beschaffen. Gleichzeitig sind einige Kraftwerksblöcke, die zu lange unter extremen Temperaturen betrieben wurden, im Juni zeitweise ausgefallen. 

Die Situation erholt sich, aber es gibt noch keine Entwarnung

Mit frischeren Temperaturen und starken Regenfällen im Norden des Landes hat sich die Stromversorgung gegen Ende Juni stabilisiert. Die Wasserstände in den Staudämmen liegen wieder knapp oberhalb der kritischen Marken. Aber das bedeutet noch keine Entwarnung. Weitere Hitzewellen sind 2023 noch mindestens bis August zu erwarten und EVN verfügt im Norden über keine zusätzlichen Reservekapazitäten. Stromimporte und Zuleitungen aus dem Süden haben die Netzkapazitäten ausgereizt. Daher müssen Unternehmen in den kommenden Wochen mit weiteren Stromausfällen rechnen. 

Energieexperten warnen für die kommenden zwei Jahre vor größeren Engpässen in den Sommermonaten. Der Bau einiger Kohle- und Gaskraftwerke hat sich stark verzögert und der Ausbau erneuerbarer Energien stockt, seit günstige Einspeisetarife 2021 ausgelaufen sind. Währenddessen steigt der Verbrauch stetig an. Die Regierung müsse den Ausbau der Erzeugungskapazitäten beschleunigen und die Industrie die Energieeffizienz verbessern. Damit der Ausbau wieder stärker Fahrt aufnehmen kann, muss die Regierung ihren neuen Energieplan bis 2030, den Power Development Plan 8 (PDP 8) umsetzen, den sie mit zwei Jahren Verspätung Mitte Mai verabschiedet hat. Es soll zudem die Möglichkeit von direkten Abnahmeverträgen zwischen privaten Stromerzeugern und großen Abnehmern geschaffen werden. Damit könnten Unternehmen künftig die Risiken von Ausfällen verringern. 

Der Ausbau ist auch wichtig, weil die Anreize fürs Energiesparen angesichts niedriger Strompreise gering sind. Im März 2023 hatte die Regierung nach vier Jahren Pause eine geringe Strompreiserhöhung um 3 Prozent vorgenommen, um den hoch verschuldeten Stromkonzern EVN zu entlasten. Günstige Preise haben dazu beigetragen, dass energieintensive Branchen ihre Produktion in den letzten Jahren ausgeweitet haben. Vietnam ist inzwischen für Zement, Stahl und Düngemittel zu einem wichtigen Exportstandort geworden.

Konsequenzen hätten schlimmer sein können

Die Abschaltungen dürften die schwache Konjunkturentwicklung zusätzlich belastet haben. Nach vorläufigen Daten ist die Wirtschaft im 1. Halbjahr 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nur um 3,7 Prozent gewachsen. Das Regierungsziel von 6,5 Prozent Wachstum im Jahr 2023 erscheint vor dem Hintergrund der Stromausfälle unerreichbar.

Die finanziellen Auswirkungen sind schwer zu beziffern. Sie hätten aber schlimmer ausfallen können, hätte die Wirtschaft alle ihre Kapazitäten ausgelastet. Seit Jahresmitte 2022 leiden Exportsektoren des Landes wie Textilien, Schuhe, Möbel und Elektronik unter starken Nachfrageeinbrüchen auf den wichtigsten Auslandsmärkten USA und Europa. Die Industrieproduktion ist dadurch im 1. Halbjahr 2023 deutlich zurückgegangen, zusätzlich hatten Zement- und Stahlwerke nur wenige Öfen in Betrieb. Damit schwächte sich auch der Strombedarf der Unternehmen ab.

Investoren könnten abgeschreckt werden

Ein wichtiger Faktor sind aber die Reputationsrisiken. Die Regierung hatte für den Investitionsstandort Vietnam das Argument ins Feld geführt, dass Ausfälle eher selten sind. In China hatten ungewohnte Abschaltungen 2021 Investoren verschreckt. Von einer starken Investitionszurückhaltung im Zusammenhang mit den Stromausfällen ist in Vietnam zwar bisher nichts zu spüren. Aber sie sind kein gutes Signal nach außen - besonders zu einem Zeitpunkt, zu dem laut Unternehmensberatern eine neue Welle an Ansiedlungen in der Elektronik auf das Land zurollt. Der EVN und die Provinzregierungen sind daher bemüht, große Industrieunternehmen vor längeren Stromausfällen zu schützen.

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