
Special | Produktionsstandorte
Deutsche Unternehmen suchen neue Standorte
Die Erschließung von Auslandsmärkten erfordert Präsenz, Handelskonflikte treiben die Lokalisierung zusätzlich an. GTAI zeigt, wie sich die deutsche Wirtschaft positioniert.
25.06.2025
Von Dominik Vorhölter, Achim Haug | Bukarest, Bonn
Die Weltwirtschaft ist im Umbruch, der Protektionismus nimmt zu, Lieferketten reißen und bewährte Geschäftsmodelle werden auf den Prüfstand gestellt. Unternehmen müssen im internationalen Geschäft resilienter werden und dafür neue Märkte und Wertschöpfungsnetzwerke erschließen.
Germany Trade & Invest (GTAI) hat zentrale Standortindikatoren ausgewertet und zeigt in einer aktuellen Analyse, welche Länder zukünftig stärker in den Fokus rücken werden. Neue Standorte punkten mit Dynamik, niedrigen Kosten und verbesserten Rahmenbedingungen – etwa bei Infrastruktur und Freihandelsabkommen.
Dabei zeichnen sich drei Ländergruppen ab:
- Produktions-Asse: etablierte Produktionszentren mit großem verarbeitenden Gewerbe und guten Werten bei den meisten Indikatoren, aber meist geringen Wachstumsraten
- Wachstums-Stars: Länder mit bereits guter industrieller Grundlage und mittlerer bis hoher Investitionsdynamik
- Produktions-Joker: aufstrebende, neue Produktionsstandorte mit hoher Dynamik, aber Schwächen bei den Rahmenbedingungen – sie stehen noch wenig im Fokus deutscher Firmen
Standortwahl: Geopolitik wird wichtiger
Geopolitische Konflikte und Abschottung erhöhen den Druck auf Firmen, stärker zu lokalisieren. Gleichzeitig setzen Länder Anreize durch industriepolitische Förderprogramme. In einer von Deloitte durchgeführten Unternehmensumfrage im April 2025 geben deutsche Manager geopolitische Spannungen als wichtigsten Einflussfaktor für die Planung grenzüberschreitender Investitionen an.
Dabei suchen Unternehmen nicht zuletzt Alternativen zu China und ziehen anderswo Fabriken hoch. Zwischen 2022 und 2024 zählte der Datendienstleister fDi Markets allein in Mexiko 562 und in Indien 426 Greenfield-Projekte. In China waren es nur 311 Projekte. Nicht weit dahinter kam Vietnam, das im betrachteten Zeitraum mit 263 Projekten die meisten in der Region Südostasien anzog und als typischer “China + x”-Standort gilt. In Europa bleiben die Viségrad-Staaten, also Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei, bei Investoren beliebt. Dort wurden 412 Projekte erfasst, die Hälfte davon in Polen. Das waren fast so viele wie in Deutschland.
Je nach Gewichtung der Kriterien und der eigenen Unternehmensstrategie müssen Firmen Standorte bewerten und auswählen. Denn den einen perfekten Standort gibt es nicht. Ein kritischer Faktor bleibt der Marktzugang, insbesondere in regulierten oder politisch instabilen Märkten. Ebenso rückt die Verfügbarkeit von Vorprodukten und Rohstoffen stärker ins Blickfeld, da Lieferkettenstörungen direkte Auswirkungen auf Margen und den Zeitraum der Produktentwicklung haben. Unternehmen sollten daher ihre Standortwahl strategisch an geopolitische, ökologische und logistische Entwicklungen anpassen.
Wo investieren deutsche Unternehmen?
Für deutsche Unternehmen lohnt sich ein Blick darauf, in welchen Ländern und Branchen andere Firmen aus Deutschland investieren. Denn zum einen gibt es dort besonders gute Chancen als Ausrüster von neuen Fabrikanlagen oder als Zulieferer für die Fertigung. Zum anderen können gerade kleine und mittlere Unternehmen Rückschlüsse ziehen, wo sich für sie selber in der Zukunft eine Ansiedlung lohnen könnte, auch wenn Deutschland selber ein attraktiver Investitionsstandort bleibt.
Gut ein Drittel der deutschen Direktinvestitionen im Ausland entfällt laut Deutscher Bundesbank auf das verarbeitende Gewerbe, 2023 lagen die Bestände bei rund 554,5 Milliarden Euro. In allen Weltregionen stiegen die deutschen Investitionen in neue Fabriken in den vergangenen Jahren deutlich, mit 29 Prozent im Vergleich zum Jahr 2020 am stärksten in den EU-Nachbarn, auf ähnlichem Niveau in Asien.
Zwar fließt das meiste Kapitel nach wie vor in die USA und China. Allerdings sinkt dort die Investionsbereitschaft, zeigt der AHK World Business Outlook der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) vom Mai 2025. Nach Kontinenten bleibt Amerika die Region mit den meisten deutschen Direktinvestitionen, mit rund 35 Prozent der gesamten Auslandsbestände, drei Viertel davon in den USA. Ein deutliches Wachstum wiesen aber Mexiko mit fast 70 Prozent und Brasilien mit 51 Prozent zwischen 2020 und 2023 auf.
In Europa ist Polen der bedeutendste ausländische Produktionsstandort deutscher Unternehmen – mit wachsender Tendenz: Im Jahr 2023 lagen die Investitionen dort um 45 Prozent höher als noch 2020. In Asien profitierte insbesondere Indien, wo die deutschen Investitionen im verarbeitenden Gewerbe in den letzten Jahren um 39 Prozent zunahmen. Mit einem Bestand von 14 Milliarden Euro bleibt Indien jedoch deutlich hinter China zurück, wo deutsche Unternehmen rund 84 Milliarden Euro investiert haben.
Wachstums-Stars bei hiesigen Investoren beliebt
Mit Blick auf die oben genannten Länderkategorien wird klar: Deutsche Firmen investieren vermehrt in die "Wachstums-Stars" – Länder, die bereits über eine fortgeschrittene Industrialisierung verfügen und gleichzeitig attraktive Bedingungen für neue Investitionsprojekte bieten. Beispiele für solche Ziele sind die Visegrád-Staaten, Mexiko, Brasilien und Indien.
Spannend wird es in der Kategorie "Produktions-Joker": Hier finden Unternehmen Standorte mit einem hohen Entwicklungspotenzial, müssen aber auch bestimmte Aspekte stärker beachten. "Hier sind die Fragezeichen zur Lieferantenverfügbarkeit und Transportmöglichkeiten in der Regel größer", sagt Kai Philipp Bauer von Rothbaum Consulting. Dafür punkten die Länder mit schnellerer Verfügbarkeit von Arbeitskräften und niedrigeren Kosten. Beispiele für "Produktions-Joker" liegen in der europäischen Nachbarschaft auf dem Westbalkan oder in Nordafrika in Ägypten und Marokko. Das Maghreb-Land Marokko entwickelt sich zum zentralen Nearshoring-Standort der europäischen Kfz-Zulieferindustrie. In Zentralasien lohnt ein Blick auf Usbekistan: Dort schätzt etwa der Hersteller von Berufskleidung, Teamdress, das Angebot an jungen, lernwilligen und motivierten Arbeitskräften.
In Argentinien sorgt eine zum Teil auch schmerzhafte Reformpolitik unter Präsident Javier Milei für neues Interesse. Sollten sich positive Trends stabilisieren, hätte das Land das Potenzial, sich in einzelnen Branchen wie der Automobilindustrie, Metallurgie und der Energiewirtschaft zu einem neuen Produktionsstandort zu entwickeln.
Deutsche Kfz-Industrie hat am meisten im Ausland investiert
Die deutsche Industrie ist auf internationale Märkte angewiesen. Neben Exporten sind Auslandinvestitionen eine Säule der Markterschließung, vor allem die Kfz-Industrie, die Chemie und der Maschinenbau haben hohe Anlagen im Ausland. Von den Ende 2023 insgesamt 555 Milliarden Euro Direktinvestitionen des verarbeitenden Gewerbes im Ausland standen Kfz- und Teilehersteller für ein Viertel. Diese Branche hat gleichzeitig die Investitionen in den Jahren seit 2020 um 36 Prozent am stärksten gesteigert. Der Maschinenbau legte um 30 Prozent auf 57,6 Milliarden Euro ebenfalls kräftig zu, aber auch Chemie, Mess-/Regeltechnik und Medizintechnik sind um rund 20 Prozent jeweils deutlich gewachsen.
Die regionale Verteilung ist dabei zwischen den Branchen unterschiedlich: Während die Kfz-Branche vor allem in Asien engagiert ist – rund 30 Prozent des weltweiten Bestandes allein in China – hat die Chemieindustrie fast die Hälfte der Auslandinvestitionen in den USA getätigt. Noch deutlicher ist der Fokus auf die USA in der Gruppe Mess-/Regeltechnik und Medizintechnik, die über 60 Prozent des Anlagevolumens Ende 2023 dort hatte. Dagegen lag in der Elektroindustrie mit fast ein Fünftel des weltweiten Auslandskapitals deutscher Firmen der Fokus auf dem Reich der Mitte. Dies ist gleichzeitig die Branche, die noch den stärksten Schwerpunkt in der EU hat: 42 Prozent der Direktinvestitionen lagen 2023 dort.
"Das Bauchgefühl ist wichtig"

Kai Philipp Bauer ist Managing Director von Rothbaum Consulting und berät Firmen bei der Suche nach neuen Standorten, auch für die Produktion.
Herr Bauer, wie gehen deutsche KMU bei der Standortauswahl für eine Produktion vor?
Zum Teil gibt es schon strategische Vorüberlegungen, welche Märkte bedient werden sollen oder zur Lieferantenbasis. Zusammen mit dem Unternehmen erarbeiten wir einen Katalog von Kriterien, je nachdem ob zum Beispiel ein eher einfaches oder ein technologisch anspruchsvolles Produkt gefertigt werden soll. Diese Liste füllen wir mit Daten zunächst auf Länderebene und dann geht es in einer zweiten Runde auf die regionale Ebene. Da spielt dann auch die Verfügbarkeit von Flächen/Immobilien eine Rolle. Mit den KMU grenzen wir das in einem Workshop auf einzelne Standorte ein, die wir mit den Unternehmen dann besuchen und die Auswahl treffen. Der persönliche Eindruck vor Ort – das Bauchgefühl – ist sehr wichtig.
Welche Kriterien sind das?
Wichtig für KMU ist Stabilität, das heißt wir bewerten die politische und soziale Situation. Dann muss die Infrastruktur passen, also Transportwege, Strom- und Wasserversorgung. Und natürlich die Frage, bekomme ich die passend qualifizierten Mitarbeiter? Da kann es langfristig auch um Ausbildung gehen. Dazu kommen monetär bewertete Faktoren wie Löhne und Abgaben, Energiepreise, Immobilienkosten, Transportkosten und die Unternehmensbesteuerung. Zum Teil ziehen wir statistische Daten und Indizes heran, bei manchen Kriterien können wir das nur aus unseren Erfahrungen bewerten.
Welche Rolle spielen Subventionen?
Da habe ich zwei Arten von Unternehmen kennengelernt: die einen, die sehr viel Wert darauf legen. Das sind meist kapitalmarktorientierte beziehungsweise investorengetriebene Unternehmen. Und die andere Gruppe, meist Familienunternehmen, die das zwar gerne annehmen, aber erst nachdem sie schon die grundsätzliche Auswahl nach den anderen Kriterien getroffen haben.