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Wirtschaftsumfeld | Russland | Sanktionen

Russland: Die Zeichen stehen auf Eiszeit

Russland erkennt die politische Abspaltung der ostukrainischen Gebiete offiziell an. Eine neue Sanktionsspirale in Handel und Politik mit dem Westen droht.

Von Hans Peter Pöhlmann, Edda Wolf | Bonn

Präsident Putin erkannte am 21. Februar 2022 per Dekret die beiden von prorussischen Rebellen ausgerufenen Volksrepubliken Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten an. Zusätzlich wurden russische Truppen dorthin in Marsch gesetzt.

Chancen auf politische Lösung des Ukraine-Konflikts schwinden

Mit dieser Entscheidung zieht Moskau faktisch den Schlussstrich unter das Minsker Abkommen, das die Basis für Verhandlungen über den künftigen Status der Gebiete in der Ukraine bildete und damit eine politische Lösung offenhielt. Die russische Staatsführung, die bisher angab, keine Konfliktpartei zu sein, schaltet sich als Schutzmacht der separatistischen Gebiete unmittelbar in die weitere Auseinandersetzung ein. Die Schaffung militärischer Fakten verschlechtert die Basis für politische Verhandlungen mit der Ukraine, Europäischen Union (EU), USA und NATO.

Die Rede von Präsident Putin, die der Ukraine ihre Eigenstaatlichkeit in Abrede stellt, und der massive Aufmarsch russischer Truppen an der ukrainischen Nord- und Ostgrenze sowie auf der Halbinsel Krim lassen befürchten, dass der Konflikt weiter eskaliert. Als Reaktion darauf verhängten die EU, USA, Großbritannien, Kanada und Australien Sanktionen gegen Russland.

EU und USA reagieren mit Sanktionen

Am 23. Februar 2022 einigte sich der Rat der EU auf neue Strafmaßnahmen gegen Russland. Die Außenminister der 27 Mitgliedstaaten hatten bereits am Vortag bei einem Sondertreffen in Paris dem Vorschlag der EU-Kommission zugestimmt. Das Sanktionspaket beinhaltet:

  • Sanktionen gegen die 351 Mitglieder der russischen Staatsduma (Unterhaus des Parlaments), die für den Appell an Präsident Putin stimmten, die Unabhängigkeit der selbsternannten „Republiken“ Donezk und Luhansk anzuerkennen;

  • Sanktionen gegen weitere 27 Personen und Körperschaften, die zur Untergrabung oder Bedrohung der territorialen Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine beigetragen haben. Dazu gehören Regierungsmitglieder, die an den rechtswidrigen Entscheidungen beteiligt waren; drei Banken (Bank Rossiya, Promzvyazbank, VEB.RF); Geschäftsleute/Oligarchen, die die russischen Operationen in den Gebieten von Donezk und Luhansk finanziell oder materiell unterstützen oder von ihnen profitieren; hochrangige Militäroffiziere, die bei den Invasions- und Destabilisierungsaktionen eine Rolle spielen; und Personen, die für die Führung eines Desinformationskrieges gegen die Ukraine verantwortlich sind;

  • Beschränkungen der Fähigkeit des russischen Staates und der russischen Regierung zum Zugang zu den Kapital- und Finanzmärkten und -dienstleistungen der EU. Dies betrifft vor allem russische Staatsanleihen, um eine Refinanzierung des russischen Staates zu erschweren;

  • Beschränkungen der Wirtschaftsbeziehungen mit den nicht von der Kiewer Regierung kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Luhansk - Einfuhrverbot für Waren, Handels- und Investitionsbeschränkungen in Bezug auf bestimmte Wirtschaftssektoren, Verbot der Erbringung von Tourismusdienstleistungen, Ausfuhrverbot für bestimmte Waren und Technologien in diese Gebiete.

Von Personen, Organisationen und Unternehmen, die auf der Sanktionsliste stehen, werden sämtliche in der EU vorhandenen Konten und Vermögenswerte eingefroren. Es dürfen keine Geschäfte mit ihnen getätigt oder ihnen Gelder zur Verfügung gestellt werden. Zudem dürfen gelistete Personen nicht mehr in die EU ein- oder durchreisen.

Die neuen EU-Sanktionen gegen Russland wurden im EU-Amtsblatt vom 23. Februar 2022 veröffentlicht und treten unmittelbar in Kraft.

US-Präsident Joe Biden unterzeichnete bereits am 21. Februar 2022 eine Executive Order, die Investitionen in, den Handel mit und die Finanzierung der abtrünnigen Gebiete mit Sanktionen belegt. Er verkündete zudem umfassende Sanktionen gegen die großen russischen Banken VEB und Promsvyazbank zusammen mit 42 ihrer Tochtergesellschaften, den Handel mit russischen Staatsanleihen und Unterstützer des russischen Präsidenten. Nähere Details hat das US-Finanzministerium veröffentlicht.

EU und USA kündigten weitere Sanktionen gegen Russland an, falls russische Truppen über die von Separatisten gehaltenen Gebiete hinaus auf ukrainisches Territorium vordringen sollten. Dabei werde es um Wirtschaftssanktionen im Bereich Handel gehen, beispielsweise Exportkontrollen. Die EU arbeite seit Wochen an einem Sanktionspaket und könne daher schnell handeln - in Zusammenarbeit mit den USA, Großbritannien, Kanada und Australien.

Deutschland stoppt Zertifizierung von Nord Stream 2

Die Bundesregierung hat das Genehmigungsverfahren für Nord Stream 2 "bis auf weiteres“ ausgesetzt. Nachdem das deutsch-russische Gaspipelineprojekt nun auf Eis liegt, bringen die USA doch Sanktionen gegen die Betreibergesellschaft und deren Top-Manager auf den Weg. Das kündigte US-Präsident Joe Biden am 23. Februar 2022 in einer schriftlichen Mitteilung an. Bislang hatte Biden aus Rücksicht auf Deutschland auf einen solchen Schritt verzichtet.

Schärfste Pfeile bleiben noch im Köcher

Umfangreiche Finanz- und Wirtschaftssanktionen dürften die westlichen Staaten verhängen, wenn russische Truppen auf ukrainisches Territorium vordringen, das bislang unter Kontrolle der Regierung in Kiew steht.

Als härteste Sanktionsmaßnahme und finanzpolitische Ultima Ratio gilt ein Ausschluss Russlands vom internationalen Banken-Kommunikationsnetzwerk SWIFT. Über 11.000 Finanzinstitutionen in mehr als 200 Ländern nutzen das internationale Zahlungsverkehrssystem, das als Rückgrat für den globalen Geldfluss dient. Russland hat mit SPFS zwar ein eigenes nationales Zahlungssystem errichtet, dennoch würde eine Aussperrung von SWIFT kurzfristig zu erheblichen Störungen im internationalen Zahlungsverkehr mit Russland führen. Kurzfristig müssten Finanztransaktionen über Bargeldkuriere und Internetplattformen gewährleistet werden, mittel- und längerfristig über Drittländer wie Kasachstan, die einen Zugang sowohl zum russischen als auch zum internationalen Zahlungssystem haben. Die USA drohen zudem damit, direkt die Zentralbank der Russischen Föderation zu sanktionieren und damit deren Möglichkeit zum US-Dollar-Clearing.

Weitere Sanktionen könnten den Hochtechnologiesektor treffen. Obwohl Russland in den letzten Jahren die Importsubstitution vorangetrieben hat, ist das Land weiter abhängig von Hightech-Lieferungen aus dem Westen, darunter Hardware, Microchips, Elektronikteilen sowie Automatisierungs- und Steuerungstechnik.

Nicht nur in russischen Schlüsselindustrien war in den letzten Jahren eine zunehmende Konzentration staatlicher Unternehmungen und Beteiligungen zu verzeichnen. Unternehmensgebundene Sanktionen gegen einzelne Staatskonzerne dürften im internationalen Handel zu deutlichen Beeinträchtigungen führen.

Kreml hat sich bereits auf Sanktionen vorbereitet

Russlands Regierung hat in den vergangenen Jahren massiv Geld auf die Seite gelegt, um die Folgen westlicher Sanktionen abfedern zu können. Zu nennen sind neben umfangreichen Devisenreserven von 560 Milliarden Euro (Stand: 11. Februar 2022) der Nationale Wohlstandsfonds mit umgerechnet 152 Milliarden Euro (Stand: 31. Dezember 2021). Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2021 importierte Russland Waren im Wert von rund 248 Milliarden Euro. Das entspräche einer Importdeckung für zwei Jahre.

Das dicke Finanzpolster verschafft dem Land kurzfristig einen bedeutsamen ökonomischen Freiraum zur Abfederung von umfangreichen westlichen Sanktionen. Diese dürften bereits in das Kalkül des Kremls einbezogen sein, wie Präsident Putin in seiner Ansprache vom 21. Februar 2022 andeutete.

Zu befürchten ist eine neue politische Eiszeit gegenüber dem Westen, die mit zunehmend repressiven Maßnahmen in Russland einhergeht, sei es im Umgang mit ausländischen Institutionen, sei es im Hinblick auf die inländische zivilgesellschaftliche Entwicklung. Protektionistische Tendenzen werden vor diesem Hintergrund zunehmen.

Ein weiterer Effekt besteht in einer deutlichen Hinwendung im Außenhandel zu China als zunehmend wichtigem Handelspartner und zur Stärkung des Handels innerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion. Dieser Prozess befindet sich bereits im Gang, dürfte nun aber intensiviert werden.

Auch energiepolitisch wird sich Russland zunehmend nach China orientieren. Das Reich der Mitte spielt als Abnehmer für russisches Erdgas im Jahr 2020 mit 11 Milliarden Kubikmeter im Vergleich zu Europa mit 169 Milliarden Kubikmeter noch eine untergeordnete Rolle. Jedoch sollen sich Russlands Erdgaslieferungen nach China mittelfristig auf jährlich 100 Milliarden Kubikmeter verzehnfachen.

Zwar hat Präsident Putin angekündigt, die Gas- und Öllieferungen ins Ausland nicht stoppen zu wollen, jedoch treibt die Sorge vor einer weiteren Eskalation des Konflikts die Energiepreise weltweit kurz- und mittelfristig nach oben.

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