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Wirtschaftsumfeld | Russland | Arbeitsmarkt, Lohn- und Lohnnebenkosten

Arbeitsmarkt

Russische Firmen reagieren auf Covid-19, lassen ihre Mitarbeiter impfen und bieten Lohnerhöhungen sowie Telearbeit an. Der Fachkräftemangel spitzt sich zu.

Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau

Corona beeinflusst weiterhin den Arbeitsalltag russischer Unternehmen. Bei steigenden Infektionszahlen in der dritten Pandemiewelle delegiert die Regierung die Beschleunigung der stockenden Impfkampagne an die Regionen. Diese reagieren mit der Einführung einer De-facto-Impfpflicht.

Unternehmen müssen Impfpflicht umsetzen

Leidtragende sind die Arbeitgeber in 14 Wirtschaftsssektoren mit häufigem Kundenkontakt. Dazu gehören der Einzelhandel, das Bankengewerbe, das Gesundheitswesen, der öffentliche Dienst, die Gastronomie und weitere Servicebereiche wie Schönheitssalons. Sie müssen bis 15. August 2021 mindestens 60 Prozent ihrer Mitarbeiter impfen lassen, ansonsten drohen empfindliche Strafen. Bis zum 21. Juli 2021 hatten landesweit 36 Regionen eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen verhängt. Allein in der Hauptstadt Moskau sind 2,4 Millionen Arbeitnehmer betroffen. Die Firmen setzen auf Anreize wie zusätzliche freie Tage oder Gutscheine. Bei MAN erhalten impfbereite Mitarbeiter sogar Extra-Zahlungen.

Auch Mitarbeiter, die dauerhaft im Homeoffice arbeiten, sind nicht von der Impfpflicht ausgenommen. Bei einer Verweigerung der Corona-Impfung können Arbeitgeber Angestellte ohne Lohnfortzahlung freistellen, erklärte die Behörde für Arbeit und Beschäftigung Rostrud. Eine Kündigung ist hingegen nicht möglich. Rund jeder fünfte Angestellte berichtet jedoch von Entlassungen impfunwilliger Kollegen, ergab Mitte Juli 2021 eine Umfrage von Superjob. Jeder zehnte Arbeitnehmer ist sogar bereit, seinen Job zu kündigen, wenn der Arbeitgeber eine Corona-Impfung zur Pflicht macht, ermittelte das Jobportal Zarplata.ru. Jeder vierte Arbeitnehmer will sich aus Angst vor Nebenwirkungen nicht impfen lassen.

Hybrides Arbeitsmodell wird zur Regel

Die Arbeit im Homeoffice wird als Alternative zum Büroalltag immer konkurrenzfähiger. Bis zu 12 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung arbeiten bereits regelmäßig außerhalb des Büros. Bei einer Umfrage der Raiffeisenbank bewerteten 88 Prozent der befragten Arbeitnehmer ihre Erfahrungen mit Homeoffice positiv. Rund ein Drittel der Teilnehmer will dauerhaft von zu Hause aus arbeiten. Vor allem hoch qualifizierte Spezialisten schätzen die Vorzüge des Homeoffice. Am beliebtesten ist jedoch das Hybridmodell. Etwa die Hälfte aller russischen Unternehmen will ihren Mitarbeitern die Möglichkeit bieten, sowohl im Büro als auch von zu Hause aus zu arbeiten, ermittelte das Analysezentrum „Bitrix24“. Negative Auswirkungen auf die Arbeitseffizienz hat die Heimarbeit hingegen kaum, stellt die Personalagentur UNITY fest.

Am 1. Januar 2021 traten neue Vorschriften zur Telearbeit in Kraft. Geregelt werden Besonderheiten des Vertragsschlusses und der Arbeitsorganisation sowie der Schutz der Arbeitnehmer. So ist die Versetzung ins Homeoffice als Begründung für Lohnkürzungen nicht zulässig.

Arbeitslosigkeit sinkt auf Vorkrisenniveau

Die Arbeitslosenquote ging im Mai 2021 auf 4,9 Prozent zurück. Insbesondere die Hauptstadt Moskau ist Jobmotor Nummer Eins. Während der Pandemie setzen Arbeitgeber eher auf Lohnkürzungen statt Stellenabbau. Firmen erhalten zudem Zuschüsse bis zum Dreifachen des Mindestlohns pro Mitarbeiter, wenn sie Arbeitslose einstellen. Dadurch sollen 220.000 Arbeitslose wieder in Lohn und Brot gebracht werden. Im Jahr 2020 waren vor allem Frauen von Entlassungen betroffen, da sie häufiger in Berufen arbeiten, die von der Pandemie stark in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Fachkräftemangel verstärkt sich

In Russland fehlen Arbeitskräfte jeglicher Qualifikation. Rund 70 Prozent der Firmen beklagen einen Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften. Der größte Bedarf herrscht auf dem Bau mit 1,5 Millionen, bei IT-Personal mit rund 700.000 und bei Ingenieuren mit 300.000 Vakanzen. Auf eine Stellenanzeige für Ingenieure gehen durchschnittlich nur zwei Bewerbungen ein, meldet die Personalagentur Headhunter.

Der Fachkräftemangel wird sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen. Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter sinkt bei steigendem Durchschnittsalter von derzeit 75 Millionen bis 2025 auf 72 Millionen. Rund die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung ist bereits älter als 40 Jahre. Die Babyboomer aus den geburtenstarken Jahrgängen in der Nachkriegszeit gehen sukzessive in den Ruhestand, während die geburtenschwachen Jahrgänge aus den 1990er Jahren nachrücken.

Die Regierung flexibilisiert die Regeln für hoch qualifizierte Spezialisten (HQS) aus dem Ausland. Bereits nach einem Aufenthalt von drei Jahren sollen HQS und ihre Angehörigen eine unbefristete Niederlassungserlaubnis (wid na schitelstwo) erhalten können. Im Jahr 2020 wurden 62.700 Arbeitslaubnisse an Ausländer erteilt (davon 20.000 HQS), meldet das Innenministerium. Das entspricht beinahe einer Halbierung der Zahl aus dem Vorjahr.

Häftlinge sollen Arbeitsmigranten ersetzen

Der Ausbruch der Coronapandemie, die verhängten Lockdowns und die seit Ende März 2020 geschlossenen Grenzen halbierten die Anzahl der Gastarbeiter beinahe von fast 11 Millionen auf 6 Millionen. Viele Migranten kehrten in ihre Heimatländer Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan zurück und fanden dort eine neue Beschäftigung. Zudem heuerte rund ein Drittel der Migranten, die am Bau gearbeitet hatten, während der Pandemie bei Kurierdiensten an, wo sie weniger schwer arbeiten und mehr Geld verdienen.

Die Regierung will den Abfluss von Arbeitskraft durch Strafgefangene ersetzen. Von den rund 483.000 Häftlingen kämen rund 180.000 für einen Arbeitseinsatz in Frage, gab Justizminister Konstantin Tschujtschenko bekannt. Hoher Bedarf herrscht vor allem im Wohnungsbau und bei Infrastrukturprojekten wie dem Ausbau der Baikal-Amur-Magistrale (BAM). Dennoch könne der Einsatz von Strafgefangenen den Arbeitermangel am Bau nicht vollständig beheben, räumte Marat Chusnullin ein. Der stellvertretende Ministerpräsident brachte deshalb die Reaktivierung von Rentnern ins Gespräch.

Allgemeine Arbeitsmarktdaten (2020)

Bevölkerung (in Mio.) 1)

146,2

Erwerbsfähige Personen (15 bis 72 Jahre, in Mio.)

75,0

Arbeitslosenquote, offizielle (in %, nach ILO-Definition)

5,8

Analphabetenquote (in %)

0,3

Universitätsabschluss (in %) 2)

27,0

1) Stand: 1. Januar 2021; 2) nach Angaben der Higher School of Economics, 2020; Anteil der Hochschulstudenten an der Bevölkerung im Alter von 17 bis 25 Jahren.Quelle: Föderaler Statistikdienst Rosstat

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