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Klimaschutz-AtlasKlimastrategie: Argentinien schöpft sein Potenzial kaum aus
Argentinien hat das Pariser Klimaabkommen ratifiziert. Für die Umsetzung der 2022 vorgelegten Klimaschutzstrategie erwartet das devisenklamme Land auch Hilfe vom Ausland.
04.09.2023
Von Stefanie Schmitt, Carl Moses | Santiago de Chile, Buenos Aires
Im Ranking des Climate Change Performance Index (CCPI) lag Argentinien 2022 auf Rang 47 von 64 untersuchten Ländern weltweit. Die Regierung in Buenos Aires hat ambitionierte Klimaziele erklärt. Deren konkrete Umsetzung ist aber weiter unklar. Immerhin wurde die seit Langem erwartete Präsentation des "Nationalen Plans zur Anpassung und Eindämmung des Klimawandels bis 2030" zur UN-Weltklimakonferenz (COP 27) im November 2022 im ägyptischen Sharm El-Sheikh präsentiert. Dieser Plan bündelt politische Maßnahmen zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen und befasst sich überdies mit der Anpassung von gefährdeten Gebieten, Ökosystemen, Sektoren und Gemeinschaften an die Folgen des Klimawandels.
Indikator | Argentinien | Deutschland |
---|---|---|
Bevölkerung (in Mio.) | 45,8 | 83,2 |
Ranking des Landes im Climate Change Performance Index (CCPI) 1) | Rang: 49 Punktezahl: 41,19 | Rang: 16 Punktezahl: 61,11 |
Anteil des Landes an den weltweiten Treibhausgasemissionen (in Prozent) 2) | 0,5 | 1,5 |
CO2-Ausstoß gesamt (in Mio. t/Jahr) | 187 | 675 |
CO2-Ausstoß pro Kopf (in t CO2/Kopf und Jahr) | 4,2 | 8,1 |
Emissionsintensität der Wirtschaft (in kg CO2/BIP 3)) | 0,2 | 0,2 |
Energieintensität der Wirtschaft (in MJ 4)/2017 US$ PPP 5)) 2) | 3,35 | 2,76 |
Argentinien fordert finanzielle Unterstützung reicher Länder
Zu den Grundzügen der argentinischen Klimastrategie zählt, dass bei allen angedachten Klimaschutzmaßnahmen der sozialen und industriellen Entwicklung des Landes hohe Bedeutung zukommt. Angesichts der angespannten wirtschaftlichen und sozialen Lage drängt Argentinien in internationalen Foren immer wieder auf die stärkere Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen durch die entwickelten Länder. Das Land fordert insbesondere den Tausch von Auslandsschulden gegen Klimaschutzmaßnahmen, ohne allerdings konkrete Pläne für die Verwendung der Mittel vorzulegen.
Exploration von Öl und Gas im Fokus
Konkreter als die Strategie für die Entwicklung einer grünen Wasserstoffwirtschaft sind dagegen die Pläne für eine noch stärkere Nutzung fossiler Energien, vor allem durch die Erschließung der großen Schieferöl- und -gasreserven des Landes. Insbesondere verfügt Argentinien mit Vaca Muerta in der Provinz Neuquén über eines der größten Ölschiefervorkommen der Welt. Die U.S. Energy Information Administration beziffert die förderbaren Reserven auf 16,2 Milliarden Barrel Öl und 8,7 Billionen Kubikmeter Erdgas. Bislang fehlt es jedoch an Infrastruktur, um größere Mengen an Gas zu exportieren − oder auch nur im Inland nutzen zu können, um Devisen für bisher nötige Öl- und Gasimporte einzusparen. Zumindest befindet sich aber jetzt endlich eine Pipeline im Bau. Mit den umfangreichen Gasreserven ließen sich überdies große Mengen an blauem Wasserstoff herstellen.
Blauer Wasserstoff wird mittels Dampfreformierung aus Erdgas und Wasser hergestellt. Das dabei entstehende Kohlendioxid wird abgeschieden und in unterirdischen Speichern verpresst. |
Auch die Offshore-Exploration von Öl und Gas wird vorangetrieben: Gegenwärtig laufen Untersuchungen an den Blöcken Nord- und Austral-Marina sowie Malvinas-West. Bei dem Gebiet handelt es sich um eine in 18 Lose unterteilte Fläche von rund 230 Quadratkilometern mit einer Tiefe von 100 bis 4.000 Metern. Die Ausschreibung erfolgte bereits 2018. Damals gewannen 13 Unternehmen. Neben dem heimischen Erdölkonzern YPF waren dies: Qatar Petroleum, Equinor (ex-Statoil), ExxonMobil, Total, Shell, Pluspetrol, Tecpetrol, Wintershall, BP, Mitsui, ENI und Tullow. Insgesamt verpflichteten sich die Firmen zu Investitionen in Höhe von fast 1 Milliarde US-Dollar (US$) für die Exploration. Die Förderung könnte dann in den nächsten drei Jahrzehnten bis zu 3,5 Prozentpunkte zum Bruttoinlandsprodukt beisteuern. Argentinien würde dann nicht nur seine Ölproduktion erhöhen, sondern überdies zu einem ernstzunehmenden Exporteur werden und entsprechend seine Devisenbilanz verbessern.
Gewaltiges Potenzial zur Produktion von Wasserstoff
Argentinien verfügt über ein gigantisches Potenzial zur Wasserstoffproduktion. Nach Analysen von YTEC, dem Thinktank der argentinischen Energiewirtschaft, könnte das Land allein bis zu 1 Milliarde Tonnen grünen Wasserstoffs pro Jahr erzeugen. Das geplante Wasserstoffgesetz wird laut Stand des aktuellen Entwurfs allerdings nicht nur grünen und blauen, sondern zum Beispiel auch grauen (das heißt mit konventionellen Energieträgern erzeugten) oder pinken (aus Kernkraft) beinhalten.
Dies hat die staatliche Ölgesellschaft YPF dazu veranlasst, mit anderen privaten Akteuren das Wasserstoffkonsortium H2ar zu gründen. Aktuell produziert YPF grauen und blauen Wasserstoff, die lokal verbraucht werden und circa 36 Prozent der gesamten argentinischen Produktion ausmachen. Auch deutsche Firmenvertreter vor Ort befürworten mit Blick auf die großen Schiefergasreserven in Vaca Muerta neben grünem die Nutzung von blauem Wasserstoff zur Umsetzung der Energiewende. Mit dem größeren Reifegrad der Technologien für grünen Wasserstoff und effizienterer Produktion würden die in der Folge sinkenden Kosten für grünen Wasserstoff quasi automatisch die Nachfrage nach blauem zugunsten von grünem zurückgehen lassen.
Dabei kann Argentinien bei der Produktion von grünem Wasserstoff durchaus auf lange Erfahrungen zurückgreifen: Seit 2008 produziert die Firma Capex mit "Hychico" aus eigener Windkraft grünen Wasserstoff, wobei sowohl die Windparkanlage als auch die Elektrolyseure an das Stromnetz angeschlossen sind, und speichert seit 2010 grünes Methangas.
Gebremst werden Fortschritte beim Ausbau der Erneuerbaren durch die Bürokratie. Energiefirmen bemängeln eine zunehmende Intransparenz von Umweltverträglichkeitsprüfungen etwa bei neuen Windparks. Jede Provinz verfahre anders, die Genehmigungen dauerten zwei bis drei Jahre − mit Tendenz nach oben.
Energiepartnerschaft mit Deutschland im Gespräch
Im Rahmen des bilateralen Zukunftsforums Foro Futuro Argentina-Alemania soll die Entwicklung der grünen Wasserstoffwirtschaft einen Schwerpunkt der strategischen Zusammenarbeit mit Deutschland bilden. Mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) laufen Gespräche über die Vereinbarung einer Energiepartnerschaft. Beim Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Buenos Aires im Januar 2023 unterzeichneten beide Länder eine Absichtserklärung zur verstärkten Zusammenarbeit bei der Energiewende und zur Fortsetzung des Energiedialogs