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Belgien setzt auf Innovation im Verteidigungssektor
Der Verteidigungssektor in Belgien wächst mit starkem Fokus auf Innovation und internationaler Zusammenarbeit. Flanderns Ökosystem lockt Investoren.
05.09.2025
Von Michael Sauermost | Bonn
Belgiens Verteidigungsindustrie steht vor richtungsweisenden Investitionen. Bis zum Jahr 2033 soll sich das Investitionsvolumen der Rüstungsindustrie unseres Nachbarlandes gegenüber 2025 verdoppeln, kalkuliert der Technologieverband Agoria.
Entsprechend der NATO-Ziele strebt die Regierung an, die Rüstungsausgaben von derzeit 1,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP, also rund 8 Milliarden Euro) auf 2 Prozent bis 2029 zu erhöhen. Im Jahr 2034 sollen dann 2,5 Prozent des BIP in die Verteidigung fließen.
Um die Vorgaben der NATO zu erreichen, hat die Regierung zusätzlich zu den strukturellen Haushaltszuweisungen einen Verteidigungsfonds aufgesetzt. Bis 2029 sind zusätzliche, jährliche Verteidigungsausgaben von 4 Milliarden Euro erforderlich.
Bislang verfolgt Belgien den strategischen STAR-Plan (Sicherheit – Technologie – Ambition – Resilienz) zur Modernisierung des Verteidigungssektors. Vor dem Hintergrund des Ukrainekonflikts wird an einem neuen Verteidigungsplan gearbeitet, der die aktuellen Sicherheitsrealitäten widerspiegelt. Der Plan soll 2026 in Kraft treten und bis 2034 gelten. Für den Zeitraum 2026 bis 2034 soll sich Regierungsplänen zufolge der gesamte Verteidigungsaufwand auf insgesamt 139 Milliarden Euro belaufen.
Mit dem STAR-Plan strebt die belgische Regierung die Transformation der Streitkräfte in den operativen Bereichen Luft, Weltraum, Land, See und Cyberspace an. Als Beschaffungsprioritäten gelten bodengestützte Luftverteidigungssysteme zum Schutz kritischer Infrastrukturen und der Bevölkerung. Hinzukommen zusätzliche Ausrüstung zur vollständigen Einsatzbereitschaft der motorisierten Einheiten, eine zusätzliche Fregatte sowie zusätzliche Kampfflugzeuge.
Großen Einfluss auf die strategische Verteidigungsplanung Belgiens hat der weit verbreitete Einsatz von Drohnen, unbemannten Flugsystemen (UAS), Fähigkeiten zur Abwehr von UAS und Cyber-Know-how.
Luft- und Raumfahrt haben besonderen Status
Einer der traditionellen Schwerpunkte des belgischen Verteidigungssektors ist die Luft- und Raumfahrt. Die lokalen Unternehmen sind in verschiedenen Bereichen der Flugzeugwartung, -reparatur und -überholung (MRO) tätig. Die lokale MRO-Industrie ist unter anderem im Bereich der Depotwartung von F-16 und anderen Flugzeugen engagiert.
Im Waffensegment gilt das Unternehmen FN Herstal als international renommierter belgischer Produzent von Kleinwaffen. Die Einrichtung des "Cyber Command", einer militärischen, digitalen Kommandozentrale innerhalb der belgischen Streitkräfte, unterstreicht die wachsende Bedeutung der Cybersicherheit im Verteidigungssektor.
Neben Investitionen in Ausrüstung und Personal erwägt Belgien ebenfalls Investitionen in die Infrastruktur, die die logistischen Kapazitäten für NATO-Einsätze unterstützen. Angedacht ist beispielsweise die Modernisierung von Hafenanlagen und Verkehrsnetzen.
In Flandern entsteht ein sektorales Ökosystem
Die Region Wallonien verfügt über besondere Fachkenntnisse in den Bereichen Luft- und Raumfahrt, Raumfahrtantriebe, Herstellung von Klein- und Leichtwaffen, Panzerfahrzeugbau und Munitionsproduktion.
Flandern zeichnet sich hingegen durch ein lebendiges Ökosystem aus kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und Start-ups aus, die sich vor allem auf disruptive Dual-Use-Technologien und technologische Vielfalt, einschließlich der digitalen, konzentrieren.
Das Ökosystem in Flandern bietet laut Invest in Flanders zahlreiche Geschäfts- und Kooperationsmöglichkeiten für ausländische Unternehmen. Unter anderem haben sich dort Hexagon (Schweden), Scioteq, ACB, Exosens (alle Frankreich), Elbit (Israel), Montana Aerospace (Österreich), ST Engineering (Singapur) oder Flir/Teledyne (USA) angesiedelt.
Auch für unbemannte Luftfahrzeuge (UAV) bietet Flandern zahlreiche Entwicklungsmöglichkeiten. Beispielsweise ist dies im Rahmen der Partnerschaft des Droneport West-Vlaanderen der Fall. Drohnen-Hub-Initiativen wurden in Koksijde, Ostende und Zeebrugge entwickelt. Besonders am Standort Koksijde sind zahlreiche Investitionen vorgesehen. Dort findet sich ein ideales Umfeld für Forschungs- und Testaktivitäten – sowohl am Boden als auch im Luftraum.
KMU prägen die Branchenstruktur
Derzeit agieren im Kerngeschäft der belgischen Verteidigungsindustrie etwas mehr als 80 Unternehmen. Diese kommen zusammen auf einen Jahresumsatz von 2 Milliarden Euro und beschäftigen etwa 5.000 Mitarbeiter. Unter Berücksichtigung von indirekt mit dem Sektor verbundenen Geschäftsfeldern kommt Agoria für 2024 auf fast 900 Unternehmen mit Umsätzen von insgesamt 5 Milliarden Euro und 16.300 Arbeitsplätzen.
Knapp ein Drittel der Arbeitsplätze des Sektors entfällt auf Waffensysteme, Munition und Landfahrzeuge. Digitale Dienste und Cybersicherheit folgen dicht dahinter mit 20 Prozent, während die Kategorie Ausrüstung für die Luftwaffe 16 Prozent beiträgt. Weitere wichtige Segmente sind Elektronik, Weltraumtechnologien, Mechanik, Drohnen und Materialien wie Verbundwerkstoffe, Metalle und Textilien sowie Forschungszentren.
Die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie besteht überwiegend aus KMU. Etwa drei Viertel der Unternehmen verfügen über weniger als 50 Mitarbeiter.
Agoria beklagt die, trotz Veränderung der Rahmenbedingungen, weiterhin bestehende Zurückhaltung der Geschäftsbanken gegenüber dem Sektor. Außerdem benötige Belgien einen flexibleren und berechenbareren Exportrahmen, da die Ausfuhrvorschriften derzeit strenger seien als in vielen anderen europäischen Ländern.
Großteil der Produktion wird exportiert
Dennoch sind mehr als zwei Drittel der belgischen Rüstungsproduktion für den Export bestimmt. Europa bleibt mit einem Anteil von etwas mehr als 70 Prozent die wichtigste Zielregion. Frankreich (17,5 Prozent), das Vereinigte Königreich (15,2 Prozent) und Deutschland (14,9 Prozent) führten 2024 das Länderranking an. Immerhin 12 Prozent der belgischen Verteidigungsexporte gingen nach Nordamerika. Asien (11,7 Prozent) hat sich zu einer Wachstumsregion für Rüstungsexporte entwickelt.
Bezeichnung | Anmerkungen |
---|---|
Ministère de la Défence | Belgisches Verteidigungsministerium |
Belgium Security & Defence Industry | Der Verband der belgischen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BSDI), Teil des Technologieverbands Agoria. |
Service public régional de Bruxelles SPRB/GOB | Genehmigungsstelle für Waffen und Dual-Use-Güter des regionalen öffentlichen Dienstes Brüssel |
Flanders Investment and Trade | Wirtschaftsförderungsagentur der flämischen Regierung |
Flanders SCGU | Kontrollstelle für strategische Güter Flandern |
Flanders Space | Cluster von Raumfahrtindustrie- und Weltraumforschungsorganisationen |
Skywin | Cluster für Wettbewerbsfähigkeit in der Luft- und Raumfahrt der Region Wallonien, auch: „space4defence“ |
EWA | Wallonischer Luftfahrtverband für die Zivilluftfahrt und auch Verteidigung |
Personal Armour Systems Symposium (PASS) | Branchenveranstaltung; kommender Termin: 22. bis 26. Dezember 2025 in Brügge |