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Rüstung in Kanada: Milliardenmarkt mit hohen Zugangshürden

Ottawa will Milliarden in die Modernisierung der Streitkräfte investieren. Neue Großprojekte erzeugen Druck auf die Lieferketten, doch der Marktzugang für Zulieferer bleibt schwer.

Von Heiko Steinacher | Toronto

Kanada rüstet auf – und das deutlich schneller als ursprünglich geplant. Die Regierung unter Premierminister Mark Carney will das NATO-Ziel von Verteidigungsausgaben in Höhe von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bereits 2025/26 erreichen.

Dafür steigt das Verteidigungsbudget bis 2026 um rund 70Prozent auf knapp 45Milliarden US-Dollar (US$). Treiber sind der Ukraine-Krieg, die strategische Bedeutung der Arktis und wachsende Spannungen im Indopazifik.

Kanadas Kompensationspolitik ist eine der strengsten weltweit

Im Zuge dessen investiert Kanadas Regierung Milliarden in neue U-Boote, Fregatten und Cyberabwehr. Das ist mehr als Sicherheitspolitik: Ottawa setzt auf technologische Souveränität und verlangt von internationalen Anbietern massive Investitionen in kanadische Lieferketten und Forschung. Diese Vorgaben sind Teil der ITB-Politik (Industrial and Technological Benefits): Anbieter müssen den Auftragswert vollständig in Kanada reinvestieren – durch lokale Fertigung, Technologietransfer und die Einbindung kanadischer Subunternehmer.

Wer hier punkten will, muss nicht nur Hightech liefern, sondern auch lokale Wertschöpfung schaffen. Besonders deutlich wird das beim milliardenschweren U-Boot-Programm, einem der größten und strategisch sensibelsten Beschaffungsvorhaben Kanadas. Die Victoria-Klasse, Kanadas derzeitige U-Boot-Flotte, ist veraltet. Geplant ist die Beschaffung von bis zu zwölf neuen Booten, arktistauglich und technologisch auf dem neuesten Stand. Hier gelten die ITB-Regeln nicht nur formal, sondern faktisch als entscheidendes Zuschlagskriterium: Ohne glaubwürdige Zusagen zur lokalen Wertschöpfung bleibt selbst modernste Technik chancenlos.

Das Prestigeprojekt: Neue U-Boote

Im Rennen: Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) aus Deutschland und Hanwha Ocean aus Südkorea. Für TKMS wäre es ein Milliardenauftrag – und ein Türöffner für deutsche Zulieferer. Doch die Anforderungen sind hoch, ohne frühzeitige Partnerschaften mit kanadischen Unternehmen, klare Roadmaps und oft hohe Vorleistungen geht nichts. Ohne glaubwürdige "Value Proposition" – Jobs, Forschung und Entwicklung sowie Technologie – gibt es keinen Zuschlag.

Deutsche Technik – lokal eingebunden

Thyssenkrupp Marine Systems ist nicht das einzige deutsche Unternehmen mit Chancen in Kanada. Auch Rheinmetall, das über eine eigene Tochtergesellschaft vor Ort verfügt, ist bereits erfolgreich im Markt aktiv – darunter mit Schutzsystemen für die Halifax-Fregatten oder digitalisierten Waffensystemen für die Armee. Hensoldt, spezialisiert auf Hochleistungssensorik und Elektronik, sondiert Möglichkeiten im Bereich Cyberabwehr und KI-gestützter Systeme.

Diese Beispiele zeigen: Der Markteintritt ist möglich – vorausgesetzt, es bestehen belastbare lokale Partnerschaften und ein klares Verständnis der ITB-Anforderungen.

Solche Großprojekte erzeugen Druck auf die bestehenden Lieferketten. Engpässe bei Tier-1-Zulieferern, neue Anforderungen in Bereichen wie Cybersecurity, künstliche Intelligenz (KI), emissionsarme Antriebe oder Unterwasserdrohnen sowie die Notwendigkeit zur Arktisfähigkeit der neuen Systeme schaffen Nischen für innovative Anbieter.

Nachgelagerte Lieferketten sind intransparent

Dennoch: Wer in Kanadas Verteidigungsmarkt Fuß fassen will, sieht sich mit strukturellen Hürden konfrontiert. Die Lieferketten sind komplex, stark beziehungsgetrieben und oft über Jahre hinweg etabliert. Zwar werden große Beschaffungsprogramme wie das U-Boot-Programm offiziell transparent ausgeschrieben – doch dies betrifft in erster Linie große Generalauftragnehmer wie Lockheed Martin, General Dynamics, BAE Systems oder TKMS.

Für neue Tier-2- oder Tier-3-Zulieferer ohne lokale Präsenz oder bestehende Netzwerke bleibt der Zugang dagegen oft schwierig: Die Lieferketten sind geprägt von langjährigen Beziehungen, hohen Sicherheitsanforderungen und strengen Zertifizierungen wie ISO, AQAP oder ITAR. Viele Rahmenverträge laufen über Jahrzehnte – Änderungen sind selten, da Verzögerungen in sicherheitsrelevanten Projekten unbedingt vermieden werden sollen.

Zwar unterstützt die Branchenorganisation CADSI mit ihrer digitalen Gateway Suite – einem Werkzeugpaket für Geschäftsanbahnung, Marktinformationen und Netzwerkaufbau. Besonders das Modul "Gateway: Intel" bietet ausländischen Unternehmen einen ersten Überblick über den kanadischen Verteidigungsmarkt.

Dennoch gilt: Der Aufbau von Vertrauen und belastbaren Partnerschaften ist ein langfristiger Prozess. Gerade für kleinere Anbieter ohne lokale Präsenz ist es entscheidend, frühzeitig Kontakte zu knüpfen und sich in relevanten Netzwerken zu positionieren.

Kleinere Zulieferer punkten mit Spezialtechnik und lokaler Einbindung

Großprojekte wie U-Boote oder Fregatten ziehen naturgemäß große Generalauftragnehmer an. Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aus Deutschland gibt es zwar ebenfalls Chancen – aber eher indirekt. Denn die ITB-Politik verpflichtet Hauptauftragnehmer, den Auftragswert vollständig in Kanada zu reinvestieren und dabei KMU einzubinden.

Deloitte schätzt, dass 85Prozent der kanadischen Verteidigungsunternehmen weniger als 250 Mitarbeitende haben ein Hinweis auf die Bedeutung kleiner Zulieferer. Besonders interessant sind Nischen mit hoher Spezialisierung, in denen kanadische Anbieter Lücken haben – etwa bei Hochleistungssensoren, Automatisierung oder emissionsarmen Antrieben. Kanada will im Rahmen seiner ITB-Politik in folgenden Technologiebereichen gezielt Know-how aufbauen: Digitale Technologien, Luft- und Raumfahrt, maritime Systeme, Systemintegration und Sensorik, Simulation und Ausbildung sowie saubere Technologien. In diesen Bereichen haben auch ausländische Anbieter die besten Chancen.

Direkte Vergaben an ausländische KMU sind selten, aber möglich, wenn sie eine kanadische Präsenz aufbauen oder Partnerschaften mit lokalen Unternehmen eingehen. Besonders gefragt sind Komponenten, Elektronik, Sensorik, Software, Cybersecurity und additive Fertigung.

ITB greift nicht bei jedem Großauftrag – Ausnahmen sind möglich

Die ITB-Pflicht gilt für Beschaffungen von Verteidigungsgütern und Ausrüstung für die Küstenwache über 100 Millionen kanadische Dollar (kan$; umgerechnet etwa 71 Millionen US$) – sofern die Vergabe nicht unter internationale Handelsabkommen fällt oder die nationale Sicherheitsausnahme greift. In der Praxis sind die meisten Rüstungsaufträge von Handelsabkommen ausgenommen.

Doch Ausnahmen und Interpretationsspielräume führen dazu, dass selbst bei großen Projekten ITB-Verpflichtungen nicht immer konsequent eingefordert, vereinbart oder dokumentiert werden: Laut dem Audit des kanadischen Rechnungshofs vom Dezember 2024 erfüllten 10 von 60 untersuchten Großprojekten trotz Überschreitung der Schwelle von 100 Millionen kan$ nicht vollständig die ITB-Vorgaben.

Einstieg in Kanadas Verteidigungsmarkt: So kann er gelingen

🔍 Projekte frühzeitig erkennen:

Nutzen Sie den Defence Capabilities Blueprint (DCB) – die zentrale Datenbank für geplante Beschaffungen, Budgets und Projektpartner.

🤝 Marktzugang aktiv gestalten:

  • Teilnahme an Messen wie CANSEC (Ottawa)
  • Besuch von Industry Days und B2B-Events, organisiert von Public Services and Procurement Canada (PSPC) und regionalen Entwicklungsagenturen
  • Kooperation mit kanadischen Engineering-Dienstleistern und Systemintegratoren
  • Frühzeitige Ansprache europäischer OEMs mit Kanada-Fokus (z. B. TKMS, Navantia)

📋 ITB-Partner werden:
Generalauftragnehmer (Prime Contractors) können im Rahmen ihrer ITB-Verpflichtungen geeignete Zulieferer als sogenannte "Eligible Donors" vorschlagen. Voraussetzungen sind die strategische Relevanz, ausreichende Kapazitäten und die Bereitschaft, sich an den Projektzielen zu beteiligen. Interessierte Unternehmen sollten frühzeitig den Kontakt zu Prime Contractors suchen – z. B. über Messen, B2B-Events oder CADSI-Netzwerke.

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