Wirtschaftsumfeld | Belgien | Arbeitsmarkt, Lohn- und Lohnnebenkosten
Arbeitsmarkt
Die Nachfrage nach Arbeitskräften nimmt zu. Um Talente müssen Unternehmen in Belgien immer stärker konkurrieren.
12.10.2023
Von Inge Kozel, Torsten Pauly | Berlin
Allgemeines zum Arbeitsmarkt
Nach einem Plus von rund 2 Prozent im Jahr 2022 soll sich das Wachstum der Beschäftigung in Belgien 2023 auf 0,6 Prozent verlangsamen. Für das Jahr 2024 erwartet die EU-Kommission in ihrer Frühjahrsprognose 2023 einen leichten Anstieg um 0,9 Prozent, was das wirtschaftliche Wachstum widerspiegelt.
Ein strukturelles Problem in Belgien ist die relativ hohe Langzeitarbeitslosigkeit. Im Jahr 2022 waren 41 Prozent der Erwerbslosen länger als zwölf Monate ohne Job. Diese Rate ist höher als etwa in Deutschland (33 Prozent). Ein Grund hierfür sind die großen regionalen Unterschiede der Wirtschaftskraft.
Das Königreich Belgien gliedert sich in drei Regionen mit hoher Autonomie. Diese sind das niederländischsprachige Flandern, das frankofone Wallonien und die zweisprachige Hauptstadtregion Brüssel. Auch weite Teile der sozialen Sicherung obliegen diesen drei Regionen sowie der deutschen Sprachgemeinschaft in Ostwallonien mit 80.000 Einwohnern. Unter anderem gibt es jeweils eigene Arbeitsagenturen.
Nicht zuletzt wegen der Sprachgrenzen ist auch die Neigung, aus beruflichen Gründen umzuziehen, eher gering ausgeprägt. Viele Menschen fühlen sich ihrem Umfeld eng verbunden, und Fahrtkostenzuschüsse stellen Anreize für lange Pendlerwege dar. Die Unterschiede der Sprachgemeinschaften sollten bei Einstellungen berücksichtigt werden.
Regionale Unterschiede bleiben bestehen
Die regionalen Unterschiede haben sich in den letzten Jahren nicht wesentlich verändert. Viele wallonische Gebiete durchlaufen einen anhaltenden Strukturwandel, da die einstigen Schwer- und sonstigen Traditionsindustrien in den letzten Jahrzehnten viele Stellen abgebaut haben.
So sind auch die Unterschiede im Bruttoinlandsprodukt pro Kopf regional sehr unterschiedlich. In der Hauptstadtregion liegt dieses bei 204 Prozent des EU-Durchschnitts. Die südlichen Provinzen Hennegau und Luxemburg dagegen kommen nur auf 75 Prozent. Antwerpen, Brabant-Wallonien und Flämisch-Brabant sowie West- und Ostflandern wiederum liegen über dem EU-Durchschnitt.
Hohe Arbeitslosigkeit in Brüssel
Die Arbeitslosenquote belief sich in Brüssel im 1. Quartal 2023 auf 11,4 Prozent, in Flandern auf 3,1 und in Wallonien auf 8,8 Prozent, so das belgische Statistikamt Statbel. Im Vergleich zum 1. Quartal 2022 ist die Quote in den drei Regionen leicht gestiegen.
Die Arbeitslosenquote in Wallonien ist mehr als doppelt so hoch wie in Flandern, wo annähernd Vollbeschäftigung herrscht. Brüssel weist trotz der starken Wirtschaftskraft eine besonders hohe Arbeitslosenquote auf. Dies liegt auch daran, dass dort wegen der hohen Kosten kaum noch Jobs für Geringqualifizierte im Sekundärsektor existieren. Die Arbeitslosenquote für Gesamtbelgien soll 2023 leicht von 5,5 auf 5,8 Prozent (2024: 5,7 Prozent) steigen.
Trotz einer starken Verlangsamung des Produktivitätswachstums bleibt die Arbeitsproduktivität vergleichsweise hoch. Sie liegt in Belgien pro Kopf bei 130 Prozent des EU-Durchschnitts.
Bevölkerung (01.01.2023, in Mio.), darunter in | 11,7 |
Flandern | 6,8 |
Wallonien | 3,7 |
der Hauptstadtregion Brüssel | 1,2 |
Erwerbspersonen (Bevölkerung von 18 bis 64 Jahren, 2022, in Mio.) | 7,1 |
Erwerbstätige (2022, in Mio.) | 5,1 |
Arbeitslosenquote (Juni 2023, in %) | 5,7 |
Durchschnittliche Wochenarbeitszeit (2022, in Stunden) | 36,7 |
Universitäts- oder sonstiger tertiärer Abschluss (2019, in % der 15- bis 64-Jährigen) | 39,6 |
Fachkräftemangel verstärkt sich
In den nächsten Jahren wird sich der Fachkräftemangel noch erheblich verschärfen. Zwar will auch Belgien das reguläre Renteneintrittsalter bis 2030 schrittweise von 65 auf 67 Jahre erhöhen. Dennoch gehen zwischen 2020 und 2026 etwa 700.000 Arbeitnehmer in Ruhestand. Dabei können sie laut der Personalvermittlungsagentur Robert Half nur zu 80 Prozent durch inländische Neueinsteiger ins Berufsleben ersetzt werden.
Der Arbeitskräftemangel und das Missverhältnis zwischen Nachfrage und Angebot haben weiter zugenommen. Ende 2022 erreichte die Quote der unbesetzten Stellen etwa 4,5 Prozent. Damit war sie eine der höchsten in der EU.
Darüber hinaus erschweren starre Regelungen auf dem Arbeitsmarkt und bei den sozialen Sicherungssystemen den Neu- oder Wiedereinstieg ins Berufsleben. Anders als in Deutschland ist es in Belgien in den letzten Jahren dabei nicht zu bedeutenden Veränderungen gekommen. Zahlungen an Arbeitslose sind im EU-Vergleich hoch und langfristig angelegt.
Es besteht ein zunehmender Mangel bei niedrig und hoch qualifizierten Berufen in allen Regionen. Der Bedarf ist groß, insbesondere im Gastgewerbe, Gesundheitswesen, im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie sowie bei wissenschaftlichen und technischen Berufen. Die Zahl der MINT-Absolventen bleibt unter dem EU-Durchschnitt, während die Nachfrage in diesen Bereichen besonders hoch ist. Ende 2022 meldeten knapp 30 Prozent der belgischen Arbeitgeber im Dienstleistungsbereich einen Fachkräftemangel.
Tipps für die Personalsuche
Zur Mitarbeitersuche eignen sich die auch online verfügbaren Stellenmärkte führender Printmedien. Hier sind vor allem die französischsprachigen Tageszeitungen Le Soir und L‘Echo sowie auf Niederländisch die Gazet van Antwerpen, De Tijd und De Standaard zu nennen.
Online-Stellenbörsen sind ebenfalls bedeutend. Auch die AHK in Brüssel unterstützt in Personalfragen. Zeitarbeitsfirmen sind im Internet unter dem niederländischen Stichwort "Uitzendbureau België" zu finden. Die Gebühren der Personalvermittler hängen vom Jahresgehalt der vermittelten Kandidaten ab.
Rund die Hälfte der Arbeitnehmer sind Mitglieder von Gewerkschaften
Gewerkschaften übernehmen in Belgien auch einige öffentliche Aufgaben und sind unter anderem berechtigt, Arbeitslosengeld auszuzahlen und staatlich anerkannte Kranken- und Berufsunfähigkeitsversicherungen anzubieten. Die christlich orientierte Gewerkschaft ACV/CSC ist mit 1,7 Millionen meist flämischen Mitgliedern die größte Arbeitnehmervereinigung. Die sozialistisch ausgerichtete FGTB/ABVV zählt 1,5 Millionen überwiegend wallonische Mitglieder. In der tendenziell liberal eingestellten ACLVB/CGSLB haben sich 290.000 Arbeitnehmer zusammengeschlossen. Insgesamt ist etwa die Hälfte der belgischen Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert.