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Hochbau: Nachhaltiges Bauen und Energieeffizienz
Höhere Stromkosten und Förderprogramme stimulieren Energieeffizienz in der Bauwirtschaft. CO2-neutrale Gebäude werden zum Thema.
27.05.2025
Von Gloria Rose | São Paulo
Ökologische Nachhaltigkeit und Energieeffizienz spielen im brasilianischen Bausektor bislang eine untergeordnete Rolle. Die lokalen Wohnungsbaugesellschaften bauen sehr konservativ. Neue Techniken und Materialien setzen sich nur langsam durch. Zudem ist die Preissensibilität auch bei Haushalten mit mittlerem Einkommen hoch.
Globale Trends zu energieeffizienten Gebäuden und umweltbewusstem Bauen spiegeln sich noch nicht in der Marktnachfrage wider. Nachhaltige Produkte kommen in der Regel nur im Hochpreissegment zum Einsatz. Beispielsweise bei Projekten internationaler Konzerne, die globale Net-Zero-Ziele verfolgen.
Energieeffizienz ist bislang keine Priorität, gewinnt aber an Bedeutung
Gebäude stehen für etwa die Hälfte des brasilianischen Stromverbrauchs: 27,5 Prozent des Verbrauchs entfallen auf Wohngebäude, 16,5 Prozent auf Geschäftsgebäude und 7,4 Prozent auf öffentliche Bauten. Der Staat setzt Anreize für Energieeffizienz durch Zertifizierungen, Vergünstigungen bei Krediten sowie Steuern und Abgaben.
Steigende Stromkosten führen ebenfalls zu einem allmählichen Umdenken und fördern den Absatz von modernen Klimaanlagen und Automatisierungstechnik. Smart-Home-Technologien stehen allerdings noch am Anfang ihrer Marktdurchdringung.
Auch bei zertifizierten Gebäuden gibt es Energieeinsparpotenziale, da in der Regel nur die Mindestanforderungen erfüllt werden. Zunehmendes Interesse an effizienten Technologien zeigen die Betreiber von Gewerbeimmobilien und Einkaufszentren.
Bisher konzentrieren sich die Investitionen vor allem auf energieeffiziente Gebäudetechnik. Das liegt auch daran, dass die Behörden die Anforderungen an Elektrogeräte sowie Klima- und Lüftungstechnik verschärfen, die Gebäudedämmung aber nur wenig regulieren. Angesichts immer öfter auftretender Hitzeperioden und verschärfter Standards könnte die Wärmedämmung in Zukunft an Bedeutung gewinnen.
Förderprogramm animiert Dienstleister im Bereich Energieeffizienz
Der Verband der Energieeffizienzdienstleister Abesco begrüßt das von Präsident Lula im Januar 2025 verabschiedete Förderprogramm zur Beschleunigung der Energiewende PATEN (Programa de Aceleração da Transição Energética). Als besonders wichtig gilt der geplante "Grüne Fonds" (Fundo Verde), den die Entwicklungsbank BNDES verwalten soll.
Darüber hinaus garantiert PATEN Finanzmittel für das Programa de Eficiência Energética (PEE) der Stromregulierungsbehörde ANEEL, das unter anderem spezielle Kreditlinien zur zinsgünstigen Finanzierung von Energieeffizienzprojekten ermöglicht.
Auf Energieeinsparung spezialisierte Dienstleistungsunternehmen bieten Energy Performance Contracting (EPC) an. Diese sogenannten "Empresas de Serviços de Conservação de Energia" (ESCO) stellen interessante Vertriebskanäle für deutsche Technologien und Baulösungen dar. Der Branchenverband Abesco zählt rund 90 Dienstleister.
Zertifizierungen und Förderungen am brasilianischen Markt
Büro- und Geschäftsgebäude sowie AAA-Logistikhallen verfügen in Brasilien in der Regel über die LEED-Zertifizierung des U.S. Green Building Council. Daneben gibt es auch brasilianische Zertifikate und Einstufungen.
Das "Programa Procel Edifica" setzt Standards für die Zertifizierung "Etiqueta Nacional de Conservação de Energia" (ENCE), die die Energieeffizienz von Neubauten in Bezug auf Gebäudehülle, Beleuchtung und Klimatisierung abbildet. Seit 2014 müssen öffentliche Gebäude in allen drei Kategorien Höchstnoten erreichen. Die Zertifizierung ist kostenlos, läuft aber nur sehr schleppend an. Procel Edifica und das Brasilianische Zentrum für Energieeffizienz in Gebäuden (CB3E) haben die Methodik zur Bewertung der Energieeffizienz von Gebäuden überarbeitet und 2022 die neuen Inmetro-Normen INI-C und INI-R veröffentlicht, die ab November 2024 die Grundlage für die ENCE-Zertifizierung bilden.
Die staatliche Bank Caixa Econômica, die rund zwei Drittel aller Wohnungsbaukredite in Brasilien vergibt, gewährt besonders günstige Kreditlinien für nachhaltige Bauprojekte. Für das bankeigene Zertifikat Selo Casa Azul legte Caixa 2020 neue Standards fest.
Eine wachsende Zahl von Städten bietet für nachhaltige Gebäude Vergünstigungen bei den Grundsteuern an, die als "IPTU verde" (grüne Grundsteuer) bekannt sind. Dabei legen die Stadtverwaltungen selbst die Kriterien fest. Zu großen Städten mit IPTU verde zählen Rio de Janeiro, Salvador, Manaus, Guarulhos, Curitiba, Florianópolis, Balneário Camboriú, Maringá und Goiânia.
Erste Schritte zur Dekarbonisierung des Bauwesens
Brasilien hat noch keine Politik oder ein Programm zur aktiven Förderung von CO2-neutralen Gebäuden, sogenannten Net-Zero-Gebäuden. Doch im aktuellen Budget 5º PAR 2024/2025 des Programms zur Einsparung elektrischer Energie (Procel) finden sich verschiedene Initiativen, darunter:
- die Plattform ProjetEEE für den Austausch von Technologien und Erfahrungen
- die Entwicklung eines Systems zur Zertifizierung der Energieeffizienz in bereits errichteten Gebäuden
- Studien zur Gebäudehülle in den acht Klimazonen Brasiliens, die die Mindeststandards für den sozialen Wohnungsbau MCMV festlegen sollen
- Förderung des studentischen Gebäude‐Energie‐Wettbewerbs "Solar Decathlon"
Bis zum 9. Mai 2025 führt Procel eine öffentliche Anhörung für Retrofit-Projekte durch, die öffentliche Gebäude klimaneutral machen. Vier Pilotprojekte werden bereits zu "Near Zero Energy Buildings" umgerüstet. Diese befinden sich in Rio de Janeiro, Brasília, Pelotas und Foz do Iguaçu.
Weitere Initiativen
Das Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Innovation (MCTI) fördert CO2-neutrale Gebäude. Die größten Herausforderungen für Net-Zero-Gebäude in Brasilien sieht MCTI
- im Einsatz großer Mengen an Materialien mit hohem Wasser- und Energieverbrauch sowie an Abfällen in den Bauprozessen,
- in der mangelnden Berücksichtigung der bioklimatischen Bedingungen und
- in der ineffizienten Ausstattung und Wartung der Gebäude.
Laut MCTI-Angaben ist der Bau- und Gebäudesektor in Brasilien für 6 Prozent der landesweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Das entspricht etwa 139 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Bis 2029 fördert MCTI Forschung, Technologieentwicklung und Innovation sowie innovative Finanzierungsinstrumente über ein Projekt, das einen Zuschuss von 10 Millionen US-Dollar vom Globalen Umweltfonds GEF erhielt.
Seit April 2022 stellt das Energieministerium MME die Plattform SIDAC bereit, die die CO2-Emissionen verschiedener Baustoffe erfasst und mit welcher der CO₂-Fußabdruck von Bauprojekten berechnet werden kann. Brasiliens Hersteller von Baumaterialien investieren in die Dekarbonisierung ihrer Produktion. Von einem beschleunigten Trend zu CO2-Neutralität könnten insbesondere innovative Holzbauweisen profitieren. Die Plattform SIDAC wurde in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) entwickelt. Die GIZ unterstützt die Regierung auch bei dem Programm EEDUS, welches auf Energieeffizienz im Sozialwohnungsbau abzielt.