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Hochbau: Nachhaltiges Bauen und Energieeffizienz
Damit Indien seine ehrgeizigen Klimaschutzziele erreichen kann, muss der Spagat zwischen zunehmender Nachfrage nach Wohnraum und der Reduktion des Energieverbrauchs gelingen.
10.11.2025
Von Werner Kemper | New Delhi
Bis 2070 will Indien klimaneutral sein. Um das Netto-Null-Ziel zu erreichen will Indien in den kommenden Jahren unter anderem auch Maßnahmen ergreifen, um den Energieverbrauch von Gebäuden von der wachsenden Anzahl an neuen Wohnungen zu entkoppeln. Derzeit entfallen etwa 40 Prozent des städtischen Energieverbrauchs auf den Sektor. Die Internationale Energieagentur IEA schätzt, dass sich der Stromverbrauch von Wohngebäuden in den Städten bis 2050 verdreifachen dürfte.
Gebäudesektor bietet Einsparungspotenzial
Der Anteil von Gebäuden an den gesamten CO2-Emissionen in Indien liegt bei 32 Prozent. Bis 2050 soll sich der CO2-Ausstoß von Gebäuden im Vergleich zu 2005 versiebenfachen. Vor allem Klimaanlagen treiben den Energieverbrauch im Gebäudesektor in die Höhe. So soll sich bis 2038 der Anteil der klimatisierten Wohnfläche auf 40 Prozent vervierfachen.
Sich nur auf den CO2-Ausstoß bestehender Gebäude zu konzentrieren, wird aber nicht ausreichen. Schätzungen zufolge entfallen zwischen 50 und 70 Prozent der Emissionen auf die Zeit, bevor das Gebäude fertig ist. Etwa 85 bis 90 Prozent davon gehen auf das Konto der Herstellung der benötigten Materialien, 7 bis 10 Prozent auf Transport der Materialien und weitere 3 bis 5 Prozent auf die Errichtung des Gebäudes.
Das wahre Einsparpotenzial Indiens beim CO2-Ausstoß liegt in der noch nicht existenten Infrastruktur: Schätzungen zufolge müssen etwa 70 Prozent der urbanen Versorgungseinrichtungen bis 2030 erst noch errichtet werden. Dazu zählen Trinkwasserversorgungs- und Sanitäranlagen, Abwassersysteme, Strom- und Gasverteilung, urbaner Transport und primäre Gesundheitsdienste.
Gesetzgeber fordert und fördert nachhaltiges Bauen
Mit dem 2017 verabschiedeten Energy Conservation Building Code (ECBC) will Indien den Energieverbrauch von gewerblichen und öffentlichen Neubauten bis 2030 um bis zu 50 Prozent gegenüber 2017 reduzieren. Dadurch ließen sich bis zu 250 Millionen Tonnen CO2 einsparen, so die Berechnung des Bureau of Energy Efficiency (BEE).
Für Wohngebäude ab einer angeschlossenen Leistung von 100 Kilowatt gilt seit 2018 der ECBC-Residential-Kodex. Laut BEE verbrauchen die nach ECBC-Vorschriften errichteten Bauten zwischen 17 und 42 Prozent weniger Energie. Über ihr National Building Energy Efficiency Programme fördert die Regierung die energetische Sanierung öffentlicher Bestandsbauten.
Mit dem Green Rating for Integrated Habitat Assessment (GRIHA) gibt es seit 2007 ein staatlich anerkanntes Effizienzlabel für Gebäude. GRIHA ist ein Bewertungssystem für umweltfreundliche Gebäude, das vom The Energy and Resources Institute entwickelt und vom Ministerium für Neue und Erneuerbare Energien unterstützt wird. GRIHA verwendet ein sternenbasiertes Bewertungssystem. Fünf Sterne zeigen die höchste Zertifizierungsstufe an. Basierend auf der Anzahl der Punkte, die ein Projekt erreicht, indem es verschiedene Kriterien in Bezug auf Energie- und Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und andere Nachhaltigkeitsaspekte erfüllt, werden verschiedene Zertifizierungsstufen vergeben. Die Zahl der tatsächlich bewerteten Gebäude ist im Vergleich zu den registrierten Gebäuden noch gering. Allmählich wird eine Zunahme deutlich.
Bei der Anzahl der Zertifizierungen von Gebäuden nach LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) des US Green Building Council lag Indien 2024 auf Rang drei hinter China und Kanada. Inzwischen sind indienweit über 2.200 Gebäude mit einer Gesamtfläche von über 212 Millionen Quadratmetern nach LEED zertifiziert.
Das Indian Green Building Council zertifizierte Stand 2024 bereits 3.080 Gebäude nach ihrem eigenen Standard. Insgesamt gibt es in Indien eine beträchtliche Anzahl von grünen Gebäuden, was die wachsende Bedeutung nachhaltiger Baupraktiken widerspiegelt.
Indische Baubranche ist sehr preissensibel
Um die Klimaschutzziele zu erreichen, muss Indien das Einsparpotenzial im Gebäudesektor viel stärker aktivieren als bisher. Mit jeder Verschärfung der energetischen Bauvorschriften eröffnen sich wachsende Geschäftschancen entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Bausektor. Zwar sind sich Branchenunternehmen und zum Teil auch die Kunden – vor allem bei gewerblichen und öffentlichen Bauten – der Thematik bewusst. Die Preissensibilität ist im Bausektor allerdings auch sehr ausgeprägt und Bauherren werden eher selten über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehen.
Bei Gewerbebauten kann die Aussicht auf einen potenziellen Imagegewinn für das Unternehmen durch eine grüne Fabrik oder Bürohaus die Preissensibilität aushebeln. Bei Wohngebäuden hingegen ist die Priorität in der Regel nicht Energieeffizienz, sondern Kostensenkung. Im Hochpreissegment liegt der Fokus zudem auf Annehmlichkeiten wie einem Swimmingpool, was eher konträr zu den Klimazielen steht. Mit dem Argument einer langfristigen Energiekosteneinsparung durch den Einsatz effizienter Baumaterialien kann ein Hersteller oft nicht punkten, da die meisten indischen Bauherren eher kurzfristige Finanzierungshorizonte anpeilen.
Bewusstsein für grünes Bauen wächst auf niedrigem Niveau
Langsam findet ein Umdenken statt. Waren beispielsweise doppelt oder dreifach verglaste Kunststofffenster in Indien vor zehn Jahren noch Exoten, kommen sie zumindest im Hochpreissegment inzwischen verstärkt zum Einsatz. Auch werden immer öfter zentrale Klimaanlagen eingebaut, statt wie bislang Einzelgeräte in jedem Zimmer.
Der Absatz von Smart-Home-Technik, mit denen sich der Energieverbrauch senken lässt, wächst auch in Indien. Bis 2029 könnte sich dieser von derzeit knapp über 7 Milliarden US-Dollar (US$) auf fast 10 Milliarden US$ erhöhen, so eine Prognose von Statista.