Special | Finnland | Verteidigungswirtschaft
Finnland: Verteidigungsausgaben sollen mehr als verdoppelt werden
Nach dem NATO-Beitritt will Finnland ein wichtiger Eckpfeiler der Ostflanke werden. Dazu wird in Ausrüstung, Infrastruktur und Innovationen investiert.
05.09.2025
Von Michał Woźniak | Berlin
Finnland hat von allen EU-Ländern die längste Landesgrenze mit Russland. Entsprechend hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zu einem tiefgreifenden Wandel in der Verteidigungspolitik geführt. Das Land stellte zusammen mit Schweden im Eilverfahren einen Antrag auf Mitgliedschaft in der North Atlantic Treaty Organization (NATO) und trat dieser im April 2023 bei.
Darüber hinaus plant Finnland die Verteidigungsausgaben mittelfristig deutlich zu erhöhen: von 2,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes 2024 auf 3 Prozent 2029 und 5 Prozent 2032 – auf dann etwa 11,5 Milliarden Euro. "Ich freue mich, dass es in Finnland über die Parteigrenzen hinweg einen fast einhelligen Konsens gibt", erklärte nach dem NATO-Gipfel im Sommer 2025 Ministerpräsident Petteri Orpo. Dadurch könnten sich auch deutschen Firmen Geschäftschancen eröffnen. "Ich glaube, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Finnland gut funktioniert. Aber im Verteidigungsbereich könnte sie deutlich vertieft werden", sagt Christian Ladurner, Finanzchef des Unternehmens Helsing.
Breit angelegte Investitionen
Wie in den neuen NATO-Ausgabezielen vorgesehen, werden die zusätzlichen Mittel auch in die Infrastruktur fließen. Das bei weitem größte Projekt könnte den Bahnsektor betreffen. Laut der Verkehrsministerin Lulu Ranne entscheidet die finnische Regierung bis Mitte 2027, ob das Schienennetz in russischer Breitspur auf die in Europa übliche Normalspur von 1.435 Millimetern umgestellt wird.
Das knapp 6.000 Kilometer lange Schienennetz umzustellen, galt lange als unrentabel. Bisher standen auf der Plus-Seite, dass Finnland ins transeuropäische Netz TEN-T eingebunden wäre und Zugang zu Fördermitteln aus Brüssel erhielte.
Nun kommen Sicherheitsaspekte hinzu: die Gewährleistung militärischer Mobilität über Grenzen hinweg und die Steigerung der Versorgungssicherheit. "Natürlich sind wir sehr pragmatisch und realistisch – das können wir nicht in fünf Jahren schaffen. Allein die Planung wird bis zum Ende des Jahrzehnts andauern. Vielleicht können wir 2032 mit dem Bau beginnen", erklärte Ministerin Ranne auf einer Pressekonferenz Mitte Mai 2025.
Verbot von Landminen ist gefallen
Finnland ist zusammen mit Estland, Lettland, Litauen und Polen Mitte 2025 aus der Ottawa-Konvention über das Verbot des Einsatzes von Antipersonenminen ausgetreten. Die Ländern hatten einen 200 Kilometer langen Grenzzaun zu Russland gebaut und verfolgen Überlegungen zu einem gemeinsamen Drohnen-Schild entlang der Ostgrenze der baltischen und nordischen Länder.
Im Umfeld des 10 Milliarden Euro großen Auftrags für den Kauf von F-35-Kampfflugzeugen investiert die finnische Armee ferner knapp 580 Millionen Euro in die für die Flieger benötigte Infrastruktur, darunter die Stützpunkte in Rovaniemi und Rissala. Insgesamt haben die Ausgaben für verteidigungsrelevante Immobilien in den letzten drei Jahren drastisch zugenommen und belaufen sich 2025 auf 400 Millionen Euro.
Investitionsbereich | Projektbeschreibung | Realisierungszeitraum |
---|---|---|
Infrastruktur | Bau und Modernisierung von Unterkünften, Schutzanlagen, Lagerkapazitäten | bis 2029 |
Begleitinfrastruktur für F-35 Jagdflugzeuge (Hangars, Wartung, Logistik) | bis 2029 | |
Umsetzung der Verteidigungskooperationsvereinbarung mit den USA (gemeinsame Infrastruktur) | seit 2024 | |
Logistik | Ausbau der militärischen Mobilität, inkl. Transportinfrastruktur in Lappland | 2025 bis 2030 |
Lagerausbau für Material und Ausrüstung | seit 2025 | |
Entwicklung medizinischer Unterstützungssysteme | seit 2025 | |
Technologie | Entwicklung autonomer Systeme, KI, Quantentechnologie | 2024 bis 2030 |
Beteiligung an Forschungsprogrammen im Rahmen von NATO-DIANA und EU | seit 2024 | |
Landverteidigung | Modernisierung von Panzern, Artillerie, Fahrzeugen, Kommando- und Kontrollsystemen | seit 2025 |
Cybersicherheit | Ausbau von Cyberabwehr, Informationsschutz, strategischer Kommunikation | 2024 bis 2030 |
ABC-Schutz | Entwicklung von Fähigkeiten zur Abwehr chemischer, biologischer und nuklearer Bedrohungen | ab 2025 |
Beschaffungen für die finnische Armee führt das Defence Forces Logistics Command durch. Ausschreibungen werden auf dem Tender-Portal Hilma veröffentlicht.
Kapazitätsausbau der heimischen Verteidigungsindustrie notwendig
Die finnische Verteidigungsindustrie wächst sowohl dank in- wie ausländischer Aufträge kräftig. Um der Nachfrage nachzukommen, werden Kapazitäten ausgebaut. Im Frühjahr 2025 gab Patria, der größte Rüstungskonzern des Landes, bekannt, 40 Millionen Euro in sein Werk in Hämeenlinna zu investieren. Dank neuer Produktions- und Oberflächenbehandlungsanlagen sowie der Modernisierung bestehender Kapazitäten soll die Produktion ab 2027 verdoppelt werden – auch weil die Bundeswehr bis zu 3.500 gepanzerte Transporter des Typs Patria 6x6 kaufen könnte.
Patria hat im Juni 2025 ein anderes Großprojekt abgeschlossen: Ihre neu eröffnete Produktionslinie für F-35-Vorderrümpfe gehört zur offiziellen Lieferkette des US-amerikanischen Jagdfliegers.
Der Sprengstoffspezialist Forcit plant, mehr als 200 Millionen Euro in den Bau einer TNT-Produktionsanlage im finnischen Pori zu investieren. Nammo Lapua will die Produktion von Nitrocellulose und Treibladungspulver verdoppeln und investiert 250 Millionen Euro in Werke in Jyväskylä, Lapua und Vihtavuori. Wegen einer Verdreifachung der Umsätze binnen eines Jahres will auch die finnische Beretta-Tochter Sako 27 Millionen Euro in den Kapazitätsausbau investieren.
Firma | Geschäftsfeld | Umsatz | Veränderung 2024/23 | Beschäftigte (Anzahl) |
---|---|---|---|---|
Patria | Verteidigungs- und Sicherheitstechnologien | 826 | 13 | 3.662 |
Scania Suomi | Lkw | 371 | 14 | 606 |
Forcit | Sprengstoff, -technik | 276 | 29 | 620 |
Insta Group | Automatisierung für die Industrie, Digitalisierung, Verteidigung, Cybersicherheit | 176 | 1 | 1.146 |
Airbus Defence and Space | Software, -entwicklung | 139 | 3 | 369 |
Sako | Handfeuerwaffen, Munition | k.A. | k.A. | k.A. |
Nammo Lapua | Munition, -komponenten | 115 | 19 | 333 |
Kooperationen bei Drohnen und Satelliten
Die finnischen Streitkräfte wollen ihre Überwachungsfähigkeiten steigern. Dazu sollen ein Weltraumkommando und ein nationales Raumfahrtzentrum gegründet werden. Bis in die 2030er Jahren soll in Zusammenarbeit mit dem Anbieter von Satellitentechnik ICEYE ein Aufklärungsnetzwerk in der Erdumlaufbahn installiert, Fachpersonal rekrutiert und ausgebildet sowie Kommunikationsinfrastruktur aufgebaut werden. Dabei sollen Kooperationen sowohl innerhalb der NATO als auch der EU und in den nordischen Ländern intensiviert werden.
Zudem ist geplant, die Drohnenkapazitäten im Rahmen bereits bestehender Projekte zu erhöhen. Patria setzt dazu auf eine Zusammenarbeit mit dem schwedischen Unternehmen ACC Innovation. Die auf bis zu 800 Kilogramm Startgewicht ausgelegte Militärdrohne Thunder Wasp GT soll sich vor allem durch ihre Anpassung an arktische Bedingungen von der Konkurrenz abheben.
Nokia setzt ebenfalls auf Partnerschaften zur Drohnenentwicklung. Der Konzern gab während des Mobile World Congress 2025 in Barcelona bekannt, ein Projekt im Rahmen der EU-Initiative CHIPS zu leiten. Das 90 Millionen Euro teure Vorhaben mit einer Laufzeit von drei Jahren hat zum Ziel, mit unbemannten Drohnen die Energie- und Telekommunikationsinfrastruktur sowie Datenzentren zu überwachen. Diese Technologie soll langfristig auch militärischen Zwecken dienen, so Vertreter von Nokia.
Das ist bereits das zweite internationale Kooperationsvorhaben von Nokia binnen kürzester Zeit. Ende 2024 schloss sich die Firma mit Motorola Solutions (USA) zusammen, um eine "KI-gestützte, schlüsselfertige und automatisierte Drone-in-a-Box-Lösung auf den Markt zu bringen", die bei Rettungsdiensten und in der Industrie Kunden finden soll.
Aktivitäten einheimischer Akteure ziehen auch ausländische Investitionen an. Die US-Firma Skydio kündigte Mitte 2025 an, ihr erstes Forschungs- und Entwicklungszentrum in Europa im finnischen Tampere errichten zu wollen. Dieses soll vor allem in den Bereichen Bildgebung und Kameratechnologien tätig sein und die Ressourcen des Kompetenzclusters der dortigen Universität nutzen.