Special | Estland, Lettland, Litauen | Verteidigungswirtschaft
Baltische Staaten: Vorreiter bei Rüstungsinvestitionen
Estland, Lettland und Litauen investieren massiv in ihre Verteidigung und sichern so die NATO-Ostflanke. Auch Deutschland spielt dabei eine wichtige Rolle.
05.09.2025
Von Martin Gaber | Bonn
Die baltischen Staaten verfügen über eine mehr als 900 Kilometer lange Grenze zu Russland. Zusammen mit Norwegen, Finnland und Polen zählen die drei Länder zu den wenigen Mitgliedern der North Atlantic Treaty Organization (NATO), die direkt an Russland angrenzen. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind sie entschlossen, die nationale Verteidigung massiv auszubauen.
Investitionen in die Verteidigungsindustrie steigen
Lettland plant, 2025 über 1,6 Milliarden Euro in die Verteidigung zu investieren. Binnen der kommenden zwei Jahre soll dieser Betrag um etwa ein Fünftel steigen, ohne EU-Mittel eingerechnet. Auch Estland erhöht sein Budget deutlich: Für den Zeitraum 2026 bis 2029 sind rund 10 Milliarden Euro vorgesehen. Schon heute gibt Estland EU-weit am meisten pro Kopf für Verteidigung aus: Verteidigungsminister Hanno Pevkur spricht vom höchsten Sicherheitsbudget in der Geschichte des Landes. In Litauen erreicht der Verteidigungshaushalt ebenfalls ein Rekordniveau: Die ursprünglich geplanten 2,5 Milliarden Euro sollen bis Jahresende laut Verteidigungsministerium auf 3,2 Milliarden Euro steigen. Das entspricht knapp 4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP).
Die baltischen Staaten haben sich dem 5-Prozent-Ziel der NATO verpflichtet und gelten zusammen mit Polen als Vorreiter. Sie könnten das Ziel noch deutlich vor 2035 erreichen. Lettland und Estland haben zudem die Aufhebung der Schuldenbeschränkung im Rahmen des EU-Plans ReArm Europe beantragt.
Lettland konzentriert sich auf Drohnen und Militärfahrzeuge
Lettlands Vorzeigesparte der Verteidigungsindustrie – Drohnen – soll weiter wachsen, auch dank der Mit-Vorreiterrolle in der Drohnenkoalition zur Unterstützung der Ukraine mit modernen Drohnensystemen. Lettland lieferte 2024 rund 5.000 unbemannte Fluggeräte. Zuletzt erhielt ein nicht genanntes lettisches Unternehmen im Rahmen der Koalition einen Auftrag über 24 Millionen Euro. Die Branche wächst rasant: Firmen wie Belss, NEWT21 und Electrify entwickeln Flugdrohnen, Drohnenboote und Landroboter.
Eine gute Gelegenheit zur Vernetzung mit Politik, Entscheidern und potenziellen Partnern aus dem Baltikum bietet eine Konferenz zum Thema Verteidigung, die von der AHK Baltikum ausgerichtet wird. Sie findet am 25. November 2025 in der litauischen Hauptstadt Vilnius statt.
Ferner baut Lettland seine Fahrzeugproduktion aus. Ab 2027 will das Unternehmen VR Cars eigene Militärfahrzeuge herstellen, berichtet der lettische Rundfunk LSM. Seit 2024 laufen in einer Fabrik von Defence Partnership Latvia die ersten Patria-Schützenpanzer vom Band – eine Kooperation mit Finnland, Schweden und Deutschland.
Für 650 Millionen Euro entsteht zudem das Übungsgelände Sēlija Military Training Area für nationale und NATO-Streitkräfte – das größte im Baltikum und in den nordischen Ländern.
Estland plant Industriepark für Verteidigung
"Unser Ziel ist es, eine russische militärische Aggression gegen Estland undurchführbar zu machen",
sagt Estlands Premierminister Kristen Michal.
Dafür investiert Estland in moderne Luftabwehr, Langstreckenwaffen und Drohnentechnologie. Eine eigene Luftabwehrbrigade soll aufgebaut und Systeme wie IRIS-T angeschafft werden. Rund ein Viertel der Budgetmittel dient der Aufstockung von Munitionsvorräten.
Ein vom estnischen Verteidigungsministerium und dem Centre for Defence Investments RKIK gebauter Industriepark soll dank 52 Millionen Euro staatlicher Förderung ab 2027 Munition, Sprengstoffe und Komponenten für militärische Zwecke liefern. RKIK ist die zentrale estnische Beschaffungsbehörde, verantwortlich für strategische Planung, Ausschreibung und Koordination sämtlicher militärischer Investitionen – von Großprojekten wie Luftverteidigungssystemen bis hin zu Infrastruktur und Technologieentwicklung.
Litauen als regionales Verteidigungszentrum
Mit der Initiative Vytis will Litauen zu einem regionalen Zentrum der Verteidigungsindustrie werden. Das vom Wirtschaftsministerium und der Innovationsagentur gestartete Programm stellt rund 300 Millionen Euro für die Unterstützung von Unternehmen bei der Entwicklung, der Erprobung und dem Export moderner Verteidigungstechnologien bereit.
Durch Förderung zur Marktreife
Die Miltech Sandbox ist eine neue Fördermaßnahme im Rahmen der Vytis-Initiative, die sich gezielt an Unternehmen mit verteidigungsbezogenen Prototypen richtet. Insgesamt stehen 100.000 Euro bereit, um den Zugang zu Testinfrastruktur, Laboren und Expertenberatung zu ermöglichen. Ziel ist es, innovative Technologien unter realen Bedingungen zu erproben und zur Marktreife zu führen.
Ausländische Unternehmen profitieren in Litauen zudem vom Programm Green Corridor, das 20 Jahre lang Steuerfreiheit, beschleunigte Genehmigungsverfahren sowie bevorzugten Zugang zu staatlichen Flächen bietet. Im Rahmen der Initiative wurden bereits 14 Großprojekte mit einem Investitionsvolumen von über 1,3 Milliarden Euro und rund 4.000 Arbeitsplätzen vereinbart. Darunter befinden sich Munitionsprojekte von Rheinmetall aus Deutschland und Northrop Grumman aus den USA.
Deutschland kooperiert beim Schutz der Ostflanke
Ein Großteil der litauischen Verteidigungsausgaben fließt in Infrastrukturprojekte: allein rund 4 Milliarden Euro bis 2029 für den Bau von Kasernen, Logistikzentren und Truppenstützpunkten. Mit Unterstützung der Europäischen Investitionsbank entsteht bei Rūdninkai ein neuer Militärstützpunkt, der bis Ende 2027 rund 4.000 deutsche Soldaten einer Panzerbrigade sowie 750 zivile Beschäftigte aufnehmen soll.
Rail Baltica wird zur Verteidigungsinfrastruktur
Die baltischen Staaten bauen auch ihre Verkehrsinfrastruktur aus: Mit dem Schienenprojekt Rail Baltica sollen die Länder an Polen und damit das westeuropäische Schienennetz angebunden werden. Dafür wird auch deutsches Know-how benötigt.
Um die eigene Einsatzfähigkeit im NATO-Rahmen zu stärken, baut Litauen auch seine erste Infanteriebrigade auf. Zudem ist das Land dem multinationalen CV90-Schützenpanzer-Programm mit dem Ziel beigetreten, 2030 über eine voll einsatzfähige Division zu verfügen – inklusive Ausbau industrieller Kooperationen und Wartungsstrukturen vor Ort.
Lokale Fertigung und internationale Kooperation
Lettland will die lokale Wertschöpfung in der Verteidigungsindustrie deutlich steigern. Derzeit deckt die heimische Industrie 10 Prozent des Militärbedarfs ab. Der Anteil soll bis 2028 verdoppelt werden und bis 2036 sogar 30 Prozent erreichen. Auch hier schafft die Regierung einen Grünen Korridor mit beschleunigten Genehmigungen und Innovationsförderung. Zudem müssen bei Aufträgen mit einem Volumen von über 50 Millionen Euro 30 Prozent der Produktion in Lettland erfolgen.
Um ihre Erfolgschancen zu steigern, sollten deutsche Unternehmen deswegen lettische Partner suchen. Dabei genießt "Made in Germany" einen guten Ruf in der Region, wie nicht zuletzt die gemeinsame Beschaffung des Luftverteidigungssystems IRIS-T SLM von Diehl Defence durch Estland und Lettland zeigt.
Ansprechpartner | Anmerkungen |
---|---|
Germany Trade & Invest | Wirtschafts- und Brancheninformationen zu den Baltischen Staaten |
AHK Baltikum (Deutsch-Baltische Handelskammer) | Dienstleistungen und Vernetzung vor Ort |
Estnisches Verteidigungsministerium | Zuständiges Ministerium in Estland |
Invest in Estonia | Investitionsagentur Estlands |
Lettisches Verteidigungsministerium | Zuständiges Ministerium in Lettland |
Invest in Latvia | Deutsches Büro der lettischen Investitionsagentur |
Litauisches Verteidigungsministerium | Zuständiges Ministerium in Litauen |
Invest Lithuania | Investitionsagentur Litauens |