Die Chemiebranche schlägt angesichts unsicherer Zukunftsaussichten Alarm. Das Wettbewerbsumfeld bleibt auch im Jahr 2025 schwierig. Unternehmen fordern staatliche Rückendeckung.
Für 2025 erwartet der Branchenverband France Chimie nach einem bereits schwachen Jahr 2024 ein weiteres Abrutschen des Sektors in die Krise. Im Jahr 2024 hat die Gesamtbranche zwar ein leichtes Wachstum von 1 Prozent erzielt. Dieses Wachstum ist allerdings von einer vergleichsweise starken Entwicklung des Bereichs pharmazeutische Feinchemie getragen worden. Segmente wie die organische Chemie und die Basischemie rutschten ins Minus.
Das wirtschaftliche Umfeld gestaltet sich anhaltend schwierig. Die internationale Nachfrage bleibt ohne Impulse, chinesische Überkapazitäten überschwemmen den europäischen Markt und die hohen Energiepreise belasten den Sektor. Auch die Schwäche wichtiger Abnehmerindustrien wie der Bau- und Kfz-Branche behindert nach wie vor einen kräftigen Aufschwung. Die von US-Präsident Donald Trump angedrohten Zölle würden die französische, exportorientierte Chemiebranche stark treffen.
15.000
Arbeitsplätze
in der Chemiebranche sind im Jahr 2025 laut Branchenverband France Chimie bedroht.
Stellenabbau droht
Das Niveau der Auftragseingänge lag im Dezember 2024 laut Statistikamt INSEE auf dem tiefsten Niveau seit Anfang der Coronapandemie. Die Kapazitätsauslastung erreichte laut Banque de France im 4. Quartal 2024 lediglich 72 Prozent. Damit stagnieren die Auslastungen bereits seit dem 1. Quartal 2022 unter der Grenze von 75 Prozent. Die Rentabilität von Unternehmen ist gefährdet und damit auch Arbeitsplätze. Ende 2024 haben laut France Chimie 80 Prozent der Branchenunternehmen Sparpläne aufgelegt, 30 Prozent der Branchenunternehmen rechnen mit Entlassungen im laufenden Jahr 2025. Etwa 15.000 bis 20.000 Stellen, warnt der Branchenverband, könnten in diesem Jahr wegfallen.
Doch die Lage der französischen Chemieindustrie ist nicht in allen Sparten schlecht. Die Segmente pharmazeutische Feinchemie und Sprengstoffe wachsen zweistellig. Die Branchengrößen Arkema und Air Liquide konnten selbst im schwierigen Jahr 2024 Umsätze und Gewinne steigern. Zudem werden in Frankreich nach wie vor Großprojekte umgesetzt. So hat sich das Unternehmen FertigHy mit Siemens zusammengeschlossen, um im nördlichen Frankreich eine dekarbonisierte Düngemittelproduktion aufzubauen, eine Investition von 1,3 Milliarden Euro. Das Luxemburger Unternehmen Livestro plant in Le Havre 1 Milliarde Euro in eine Lithiumrecyclinganlage zu investieren. Darüber hinaus dürften erwartete Großinvestitionen in die Verteidigungsindustrie auch in Teilen der Chemieindustrie im Jahr 2025 für Impulse sorgen.
EU-Erleichterungen gehen nicht weit genug
Die Branche fürchtet an Konkurrenzfähigkeit gegenüber asiatischen und nordamerikanischen Wettbewerbern zu verlieren. Angesichts der starken ausländischen Konkurrenz und Kostennachteile beginnen Unternehmen ihr Vertrauen in den französischen Markt zu verlieren und denken über Abwanderung an günstigere Produktionsstandorte nach. Gerade die USA ziehen verstärkt Investitionen – auch französischer – Branchenunternehmen an.
Die EU-Kommission hat mit dem Clean Industrial Deal Ende Februar 2025 ein Maßnahmenpaket vorgestellt, dass die Belastungen der Industrie kurzfristig verringern soll. Hier stehen niedrigere Energiepreise und die Entbürokratisierung im Fokus. Den Branchenunternehmen gehen die Lösungen nicht weit genug.
Investitionen bleiben notwendig
Angesichts der schwachen Konjunktur überdenkt die Mehrheit der Branchenunternehmen geplante Investitionsvorhaben, so der Branchenverband France Chimie. Unternehmen beschränken sich angesichts schwacher Wachstumsaussichten auf Investitionen in Wartung und Instandhaltung. Auch Investitionen, die erforderlich sind, um regulative Vorgaben einzuhalten, erfolgen weiterhin. Die Branche müsste aber weitere Innovation anstoßen, auch um international nicht weiter an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren.
Der Marktanalyst Xerfi sieht die Chemiebranche vor einer tiefgreifenden Transformation. Der Chemiesektor wird sich auf Nachfrageveränderungen einstellen müssen, die die Energiewende und die Elektrifizierung von Prozessen in der Wirtschaft mit sich bringen. Bereits jetzt orientieren sich erste Branchenunternehmen auf Geschäftsfelder wie das chemische Recycling von Wertstoffen, Metallen und seltenen Erden. Die Regierung hat im Rahmen des Innovationsplans France 2030 ein im Januar 2025 von der EU genehmigtes Programm zur Förderung des chemischen Recyclings von Plastik in Höhe von 500 Millionen Euro aufgelegt.
Auch die Produktion von biobasierten Kunststoffen gewinnt an Schwung. Zudem sind Chemieunternehmen branchenübergreifend gezwungen, verstärkt in Energieeffizienz und Dekarbonisierung zu investieren. Eine bessere Kohlenstoffbilanz dürfte angesichts des neuen EU-CO2-Grenzausgleichssystems und steigender Emissionspreise in Zukunft ein Element sein, die Wettbewerbsposition zu verbessern.
Kosmetiksektor stützt die Chemieexporte
Die französischen Exporte von chemischen Produkten sind 2024 gegenüber dem Vorjahr um 3,2 Prozent auf 51,7 Milliarden Euro zurückgegangen. Lediglich die Stütze der französischen Chemiebranche, die in Frankreich starke Sparte der Parfüm-, Seifen-, Wasch- und Körperpflegemittelchemie, konnte ihre Exporte 2024 deutlich steigern, dies um 5,5 Prozent auf knapp 25 Milliarden Euro.
Zukunft von Förderprogrammen ist offen
Einige Chemieunternehmen setzen auf Investitionen in neue Geschäftsfelder: Energieeffizienz und Dekarbonisierung. Die Forschungszulage "Credit d'impot recherche" unterstützt Unternehmen – trotz der Sparzwänge auch im laufenden Haushaltsjahr bei Forschung und Innovation. Die Start-up- und Innovationsförderung unter dem Innovationsprogramm France 2030 wird ebenfalls fortgeführt. Allerdings stehen im laufenden Jahr 2025 nur noch 5 Milliarden Euro statt der ursprünglich geplanten 8 Milliarden Euro an Fördermitteln zur Verfügung.
Ausgewählte Investitionsprojekte der chemischen Industrie in Frankreich In Millionen EuroAkteure / Projekt (Standort) | Investitionssumme | Projektstand | Anmerkungen |
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FertigHy, Siemens / Produktion von CO2-armen Düngemitteln (Hauts-de-France) | 1.300 | Projektankündigung Mai 2024 | Inbetriebnahme geplant 2030 |
Livista Energy / Lithiumraffinerie (Le Havre) | 1.000 | Projektankündigung November 2024 | Inbetriebnahme geplant 2028 |
Eastman / Anlage für Kunststoffrecycling in Saint-Jean-de-Folleville (Normandie) | 1.000 | Baugenehmigung erteilt; Baubeginn verzögert sich | Baubeginn geplant 2025, Inbetriebnahme geplant 2026 |
Elyse Energy / Anlage zur Produktion von E-Methanol (Roches-Roussillon; Isère) | 750 | Abstimmungsverfahren läuft | Baubeginn geplant 2026, Inbetriebnahme 2028 |
Hunan Changyuan Lico (China), Axens (Frankreich) / Produktion von Kathodenaktivstoffen (Port de Saint-Saulve; Hauts-de-France) | 600 | Projektankündigung Mai 2024; Machbarkeitsstudie wird erstellt | Baubeginn geplant 2027 |
Loop Industries (Kanada), SK Geo Centric (Südkorea), Suez (Frankreich) / Chemische Recyclinganlage für PET (Carling-Saint-Avold; Moselle) | 450 | Projektankündigung Januar 2023; Abstimmungsverfahren läuft | Kapazität 70.000 Tonnen pro Jahr; Baubeginn 2025, Inbetriebnahme 2027 geplant |
Arkema / Umstellung auf klimafreundliche Produktion | 400 | Projekt im Juli 2022 vorgestellt; Umsetzung läuft | Absenkung Treibhausausstoß um 46 Prozent gegenüber 2019; fortlaufend bis 2030 |
Total Energie, Air Liquide / Aufbau einer dekabornisierten Wasserstoffproduktion (Plattform La Mède, Châteauneuf-les Martigues) | 150 | Projektankündigung November 2024 | Kapazität 25.000 Tonnen H2O jährlich; Inbetriebnahme geplant 2028 |
Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest 2025
Von Frauke Schmitz-Bauerdick
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Paris