Branche kompakt | Frankreich | Chemische Industrie
Markttrends
Die Chemiebranche gerät ans Limit. Unternehmen fordern eine schnelle Umsetzung der europäischen Rettungspläne. Spezialbranchen wie Recycling entwickeln sich aber gut.
11.11.2025
Von Frauke Schmitz-Bauerdick | Paris
Der Abschwung des Jahres 2024 wird sich 2025 fortsetzen. Die französische Chemieproduktion ist im 1. Halbjahr 2025 um 5 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum geschrumpft. Nicht nur die organische und die Basischemie sind betroffen. Selbst die in der Vergangenheit vergleichsweise starke Fein- und Spezialchemie leidet. Nur wenige Branchenunternehmen schafften es, ihre Umsätze und Gewinne während der ersten sechs Monate 2025 zu steigern, darunter Air Liquide und der Düngemittelkonzern Yara.
Die Kapazitätsauslastung lag laut Banque de France im 1. Halbjahr 2025 konstant bei 72 Prozent. Damit stagnieren die Auslastungen bereits seit dem 1. Quartal 2022 unter der Grenze von 75 Prozent. Die Rentabilität von Unternehmen ist gefährdet. Zwischen 15.000 und 20.000 Arbeitsplätze könnten in den nächsten drei Jahre wegfallen, warnt der Branchenverband.
betrug der Produktionsrückgang in Frankreichs chemischer Industrie laut France Chimie im 1. Halbjahr 2025.
Unternehmen fahren auf Sicht
Die Gründe sind bekannt. Das wirtschaftliche und geopolitische Umfeld gestaltet sich anhaltend schwierig. Die internationale Nachfrage bleibt ohne Impulse, Überkapazitäten in China überschwemmen den europäischen Markt und die hohen Energiepreise belasten den Sektor. Auch die Schwäche wichtiger inländischer Abnehmerindustrien wie Bau und Kfz hemmt nach wie vor einen Aufschwung. Und die US-Strafzölle werden die exportorientierte Industrie erheblich unter Druck setzen, fürchtet der Branchenverband France Chimie.
Die innenpolitische Dauerkrise belastet Unternehmen ebenfalls. Es fehlt an Planbarkeit, auch weil Frankreich gezwungen ist, massive Einsparungen vorzunehmen. Die Zukunft von Förderprogrammen wie der Forschungszulage "Credit d'impot recherche" ist ungewiss. Angesichts der massiven Staatsverschuldung befürchten Unternehmen zudem, dass Steuern und Sozialabgaben angehoben werden könnten.
Angesichts der schwachen internationalen Nachfrage gehen auch die Auslandsverkäufe der eigentlich exportstarken Chemiebranche zurück. So nahmen die Ausfuhren chemischer Produkte im 1. Halbjahr 2025 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 5 Prozent auf 24,5 Milliarden Euro ab. Selbst die Stütze des französischen Chemiesektors, die Parfüm-, Seifen-, Wasch- und Körperpflegemittelchemie, musste im 1. Halbjahr 2025 einen Exportrückgang um 0,8 Prozent auf 12,5 Milliarden Euro hinnehmen. Die Sparte leidet bereits massiv unter den US-Zollschranken. So brachen die Parfüm- und Kosmetikausfuhren in die USA im 1. Halbjahr 2025 um 12 Prozent ein.
Gesamtexporte im 1. Halbjahr 2025 *) | Veränderung 1. Halbjahr 2025/1. Halbjahr 2024 *) | US-Exporte im 1. Halbjahr 2025 | Veränderung 1. Halbjahr 2025/1. Halbjahr 2024 | |
|---|---|---|---|---|
| C20A (Basischemie) | 24.500 | -5,0 | 1.266 | 14,8 |
| C20C (Spezialchemie) | 611 | 12,5 | ||
| C20B (Parfüm-, Seifen-, Wasch- und Körperpflegemittelchemie) | 12.500 | -0,8 | 1.296 | -12,3 |
| Chemie gesamt (C20A+C20B+C20C) | 37.000 | -3,6 | 3.173 | 1,6 |
Branchenverband fordert schnelle Umsetzung von EU-Rettungsplänen
Der Branchenverband France Chimie fordert angesichts der aktuellen Herausforderungen:
- Zugang zu preislich wettbewerbsfähiger Energie, die arm an Kohlendioxid (CO2) ist,
- Absicherung gegen indirekte CO2-Kosten,
- flexiblere Beihilferegeln für strategische Industrien wie die Batterieproduktion sowie
- gezielte Förderung europäischer Märkte.
Auch der Abbau von bürokratischen Vorgaben ist ein wesentliches Anliegen des Verbands. Die Ausgaben, um französischen und europäischen Berichtspflichten nachzukommen, belaufen sich laut France Chimie mittlerweile auf 12 Prozent der jährlichen Wertschöpfung.
Die EU-Kommission hat den Hilferuf der Branchenverbände verstanden. Sie stellte mit dem Clean Industrial Deal im Februar 2025 sowie dem European Chemicals Industry Plan im Juli 2025 Initiativen vor, die die Belastung der Industrie kurzfristig verringern sollen. Die Unternehmen hoffen nunmehr auf eine zügige Umsetzung.
Fördergelder für chemisches Recycling von Kunststoffen
Vereinzelt gibt es aber Lichtblicke. Die Recyclingindustrie entwickelt sich gut und baut neue Produktionskapazitäten auf. Die Entwicklung des Recyclingsektors wird auch getrieben von neuen europäischen Verpackungsvorgaben, die ab dem Jahr 2030 umzusetzen sind. Die Regierung unterstützt die Umorientierung im Rahmen des Innovationsplans France 2030. So hat Frankreich im Januar 2025 ein von der EU genehmigtes Programm zur Förderung des chemischen Recyclings von Plastik in Höhe von 500 Millionen Euro aufgelegt.
Unternehmen investieren in die Transformation
Auch die Dekarbonisierung und die Elektrifizierung von Mobilität und Prozessen in der Wirtschaft eröffnen neue Geschäftsfelder. Spezialchemie für die Bereiche Batterien und Elektronik findet steigende Nachfrage. Auch die Gewinnung und Verarbeitung seltener Erden gewinnt an Gewicht. So hat Solvay eine Produktionslinie für Permanentmagnete in La Rochelle eröffnet. Damit befindet sich das einzige europäische Verarbeitungswerk für seltene Erden in Frankreich. Die Produktion von biobasierten Kunststoffen gewinnt ebenfalls an Schwung.
In diesen Spezialsektoren werden in Frankreich nach wie vor Großprojekte umgesetzt. So hat sich das Unternehmen FertigHy mit Siemens zusammengeschlossen, um in Nordfrankreich eine dekarbonisierte Düngemittelproduktion aufzubauen, eine Investition von 1,3 Milliarden Euro. Das Luxemburger Unternehmen Livestro plant in Le Havre 1 Milliarde Euro in eine Lithiumrecyclinganlage zu investieren. Darüber hinaus dürften erwartete Großinvestitionen in die Verteidigungsindustrie auch in Teilen der Chemiebranche im Jahr 2025 für Impulse sorgen.
| Projekt/Akteure (Standort) | Investitionssumme | Projektstand | Anmerkungen |
|---|---|---|---|
| Produktion von CO2-armen Düngemitteln/FertigHy, Siemens (Hauts-de-France) | 1.300 | Abstimmungsverfahren läuft | Inbetriebnahme geplant 2030 |
| Lithiumraffinerie/Livista Energy (Le Havre) | 1.000 | Projektankündigung November 2024 | Inbetriebnahme geplant 2028 |
| Anlage für Kunststoffrecycling/Eastman (Saint-Jean-de-Folleville; Normandie) | 1.000 | Baugenehmigung erteilt; Baubeginn verzögert sich | Baubeginn geplant 2025, Inbetriebnahme geplant 2026 |
| Projekt Take Kair für E-Kerosin/Hynamics (EDF), Holcim, IFPEN, Axens (Donges/Nantes Saint-Nazaire Port) | 850 | Projektankündigung 2024; Abstimmungsverfahren läuft | Inbetriebnahme geplant 2030 |
| Anlage zur Produktion von E-Methanol/Elyse Energy (Roches-Roussillon; Isère) | 750 | Abstimmungsverfahren läuft | Baubeginn geplant 2026, Inbetriebnahme 2028 |
| Produktion von Kathodenaktivstoffen/Hunan Changyuan Lico (China), Axens (Frankreich) (Port de Saint-Saulve; Hauts-de-France) | 600 | Projektankündigung Mai 2024; Machbarkeitsstudie wird erstellt | Baubeginn geplant 2027 |
| Chemische Recyclinganlage für PET/Loop Industries (Kanada), SK Geo Centric (Südkorea), Suez (Frankreich)/(Carling-Saint-Avold; Moselle) | 450 | Projektankündigung Januar 2023; Abstimmungsverfahren läuft | Kapazität 70.000 Tonnen pro Jahr; Baubeginn 2025, Inbetriebnahme 2027 geplant |
| Umstellung auf klimafreundliche Produktion/Arkema | 400 | Projekt im Juli 2022 vorgestellt; Umsetzung läuft | Absenkung Treibhausausstoß um 46 Prozent gegenüber 2019; fortlaufend bis 2030 |
| Aufbau einer dekabornisierten Wasserstoffproduktion/Total Energie, Air Liquide (Plattform La Mède; Châteauneuf-les Martigues) | 150 | Projektankündigung November 2024 | Kapazität 25.000 Tonnen H2O jährlich; Inbetriebnahme geplant 2028 |
Mercosur öffnet wichtige Märkte
Zudem dürfte das in Frankreich umstrittene Freihandelsabkommen Mercosur dem Gesamtsektor, vor allem aber der in Frankreich starken Kosmetiksparte erneuten Anschub geben. Der Verband für die Kosmetikindustrie Febea erwartet eine steigende Nachfrage insbesondere aus Brasilien.
Chemiebranche muss sich anpassen
Außerhalb der Spezialchemie schränken Unternehmen ihre Investitionen aber ein. Lediglich Investitionen in Wartung und Instandhaltung sowie Anpassung an regulative Vorgaben erfolgen weiterhin. Die Branche müsste aber weitere Innovation anstoßen, so der Marktanalyst Xerfi. Denn die Chemiebranche steht vor einer tiefgreifenden Transformation. Sie muss sich an Nachfrageveränderungen anpassen und weiter in Digitalisierung und KI-gesteuerte Prozessoptimierung investieren, auch um international nicht weiter an Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen.