Wirtschaftsausblick | Indien
Indiens Wirtschaft bleibt in guter Verfassung
Das Wirtschaftswachstum ist stärker als in anderen großen Volkswirtschaften. Allerdings bleibt auch Indien nicht von den Unsicherheiten durch die US-Zollpolitik verschont.
26.05.2025
Von Florian Wenke | Mumbai
Wirtschaftsentwicklung: Indien als Wachstumslokomotive der Weltwirtschaft
Indien bleibt auch weiterhin die am schnellsten wachsende große Volkswirtschaft der Welt. Das Bruttoinlandsprodukt legte im Finanzjahr 2024/2025 (1. April bis 31. März) um voraussichtlich 6,5 Prozent zu. Für das neue Finanzjahr 2025/2026 gehen die Prognosen von leicht geringeren Werten aus. Die Weltbank sieht die Wirtschaft um 6,3 Prozent wachsen. Ähnlich hält es der Internationale Währungsfonds, der 6,2 Prozent prognostiziert.
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Staatliche Ausgaben treiben Investitionen
Laut Weltbank werden die Bruttoanlageinvestitionen 2025/2026 um 6,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr zulegen. Trotzdem bleiben hier noch Steigerungsmöglichkeiten. Ein breit angelegter privatwirtschaftlicher Investitionszyklus hat nicht begonnen, die durchschnittliche Kapazitätsauslastung ist zu gering. Laut indischer Zentralbank lag sie im 4. Quartal 2024 im verarbeitenden Gewerbe bei 75,4 Prozent – ein ordentlicher Wert, aber nicht überragend.
Die Stimmung in der Wirtschaft ist weiterhin zuversichtlich. Der Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe liegt seit Mitte 2021 deutlich über der Wachstumsschwelle von 50. Im April 2025 wurde mit 58,2 gar ein Zehnmonatshoch erreicht.
Staatliche Ausgaben für den Infrastrukturausbau bleiben jedoch ein wichtiger Investitionstreiber. Die Regierung machte im Haushalt für das Finanzjahr 2025/2026 deutlich, dass sie weiterhin Gelder hierfür bereitstellen wird.
Wettervorhersagen stützen den Konsum
Im Finanzjahr 2025/2026 sollen die Ausgaben für den privaten Konsum um 7,1 Prozent zulegen. Derzeit stockt die Kauflaune der städtischen Bevölkerung zwar, allerdings erwarten Meteorologen für das laufende Jahr einen guten Monsun. Das würde die Einkommen im Agrarsektor wachsen lassen und damit den Konsum der Landbevölkerung stärken. Mit einem Bevölkerungsanteil von 64 Prozent ist die Landbevölkerung eine große Konsumentengruppe.
Top-Thema: Handelspolitik der USA lässt Indien zwischen Hoffen und Bangen
Indiens Wirtschaft ist überwiegend binnenorientiert und daher weniger vom internationalen Handel abhängig als etwa die Länder Südostasiens. Dennoch ist die Nation nicht vollkommen isoliert von den Auswirkungen der Handelspolitik der USA. Während sich frühere Prognosen für das Wirtschaftswachstum Indiens noch Richtung 7 Prozent orientierten, sind aktuell Werte knapp über 6 Prozent wahrscheinlicher.
Unternehmen und Verbraucher sind verunsichert und warten derzeit eher die Entwicklungen ab, anstatt groß zu investieren oder zu konsumieren. Etwaige Zölle werden auch Auswirkungen auf Indien haben. Kurzfristig überwiegen eher die negativen Folgen der US-Zollpolitik. Eine Reihe konjunkturstützender Maßnahmen sind daher bereits angelaufen. So hat Indiens Zentralbank damit begonnen, die Zinsen zu senken. Die Mehrzahl der Volkswirte rechnet derzeit mit noch zwei weiteren Leitzinssenkungen um jeweils 25 Basispunkte in 2025/2026. Das würde den Leitzins auf ein Niveau von 5,5 Prozent bringen. Der nächste Zinsschritt nach unten wird aller Voraussicht nach im Juni 2025 erfolgen.
Allerdings setzt sich in Indien zunehmend die Ansicht durch, dass der Subkontinent sogar von den US-Zöllen profitieren könnte. Sofern die Wettbewerber des Subkontinents um internationale Wertschöpfung wie beispielsweise Vietnam von noch höheren Zöllen getroffen werden, könnte Indien unter Umständen sogar als "Gewinner" dastehen.
Erste Anzeichen in Form einer stark wachsenden Elektronikfertigung, insbesondere von Mobiltelefonen, sind bereits erkennbar. Zudem erhöhen die Zölle beziehungsweise die Zollandrohungen massiv die Verhandlungsbereitschaft für Handelsabkommen. Vertreter der US-Regierung zeigen sich überzeugt, dass Indien noch 2025 ein Handelsabkommen mit den USA unterzeichnet wird.
Deutsche Perspektive: Steigende Zuversicht in die wirtschaftliche Entwicklung Indiens
Auch die EU und Indien verhandeln momentan über ein Handelsabkommen. Beide Seiten haben wiederholt bekräftigt, dass sie sich noch 2025 einigen wollen. Der straffe Zeitplan wird wohl kein vollumfängliches Freihandels- und Investitionsschutzabkommen zulassen. Wahrscheinlicher ist ein Abkommen in mehreren Schritten, bei dem zunächst die Zölle auf wenig kontroverse Produkte gesenkt werden.
Eine Einigung wäre ein wichtiges Signal in Zeiten, in denen der deutsch-indische Handel weiter zulegt und Indien als Absatzmarkt deutscher Exporte an Bedeutung gewinnt. Im 1. Quartal 2025 führte Indien Waren im Wert von 4,2 Milliarden US-Dollar (US$) aus Deutschland ein, ein Plus von 17,3 Prozent zum Vorjahreszeitraum. Allerdings wären Zollsenkungen nur ein Baustein für vertiefte Wirtschaftsbeziehungen. Insbesondere nichttarifäre Handelshemmnisse machen deutschen Unternehmen derzeit das Leben schwer, allen voran die indischen Standards in Form der "Quality Control Orders" des Bureau of Indian Standards.
Laut der Ratingagentur S&P Global lag Indiens Anteil an den weltweiten ausländischen Direktinvestitionen im Jahr 2023/2024 auf 2,1 Prozent zurück. Im Jahr 2020/2021 lag der Anteil noch bei 6,5 Prozent. Für deutsche Firmen überwiegt derzeit dennoch das positive Indienbild. Das Land wird als großer und bisher oft übersehener Absatzmarkt wahrgenommen. Zudem sehen deutsche Unternehmen wachsendes Potenzial für den Aufbau von Produktionsstandorten in Indien. Sowohl der große Binnenmarkt als auch die Überlegungen für eine Diversifizierung der Produktions- und Lieferketten sind Argumente dafür.
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