Wirtschaftsausblick | Irak
Konjunktur im Spannungsfeld von Projektboom und Haushaltsrisiken
Höhere Öleinnahmen verhelfen der irakischen Wirtschaft zu einem Projektboom. Innenpolitisch bleibt die Lage vor dem Hintergrund des Konflikts zwischen Iran und Israel fragil.
30.06.2025
Von Heena Nazir | Dubai
Top-Thema: Infrastrukturinvestitionen trotz Finanzierungsengpässen
Der Irak setzt trotz wirtschaftlicher Unsicherheiten und geopolitischer Spannungen verstärkt auf Infrastrukturprojekte, um die Konjunktur zu beleben. Laut dem Analyseinstitut MEED belief sich das Volumen laufender und geplanter Vorhaben in den Bereichen Öl, Gas und Chemie im Mai 2025 auf rund 152 Milliarden US-Dollar (US$). Das ist der höchste Wert seit über einem Jahrzehnt. Allein 2024 flossen rund 42 Milliarden US$ aus staatlichen Mitteln in diese Projekte.
Doch die Finanzierung gerät unter Druck: Etwa 90 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor, dessen Preise zuletzt stark schwankten und im Frühjahr 2025 deutlich sanken. Damit verschlechterte sich die finanzielle Lage spürbar. Die Währungsreserven schrumpften von 102,8 Milliarden US$ Ende 2023 binnen Jahresfrist auf 87,1 Milliarden US$. Zugleich überschattet der Krieg zwischen Israel und Iran die Perspektiven.
Neben finanziellen Engpässen erschweren strukturelle Schwächen den Fortschritt. Zu den drängendsten Problemen zählen überlastete Verwaltungen, komplizierte Ausschreibungsverfahren, große politische Unsicherheiten und ein schwaches Rechtssystem. Dringend benötigte Reformen kommen nur schleppend voran. Institutionen wie die Weltbank und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) begleiten erste Maßnahmen, etwa beim Subventionsabbau oder bei der Einführung von Haushaltskontrollen. Viele Vorhaben befinden sich jedoch noch im Anfangsstadium.
Irak fürchtet Eskalation zwischen Israel und Iran
Eskalationen im Konflikt zwischen Israel und Iran haben unmittelbare Folgen für den Irak. Das Land ist nicht nur geografisch, sondern auch durch seine engen politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen mit Iran exponiert. Proiranische Milizen wie Kataib Hisbollah könnten bei Eskalationen Angriffe auf US-Einrichtungen oder westlich orientierte Akteure im Irak in Betracht ziehen und innenpolitische Spannungen verschärfen.
Eine Blockade der Straße von Hormus, über die rund 80 Prozent der irakischen Rohölausfuhren verlaufen, hätte unmittelbare Folgen für den Staatshaushalt. Zwar könnten steigende Ölpreise kurzfristig höhere Einnahmen bringen, jedoch drohen mittelfristig steigende Importpreise, wachsende Subventionslasten und ein Rückgang der Investitionen. Auch internationale Infrastrukturvorhaben könnten ins Stocken geraten. Damit wäre die wirtschaftliche Erholung gefährdet und mit einem weiter wachsenden Reformdruck zu rechnen.
Wirtschaftsentwicklung: Prognosen gehen auseinander
Die wirtschaftlichen Prognosen für den Irak gehen weit auseinander: Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet 2025 eine Rezession von 1,5 Prozent. Dagegen prognostiziert die Weltbank ein moderates reales BIP-Wachstum von 1,3 Prozent. Economist Intelligence Unit (EIU) rechnet sogar mit einem Plus von rund 3 Prozent. Die markanten Unterschiede ergeben sich aus abweichenden Annahmen zu Ölpreisen, Reformfortschritten und Bewertungsmethoden. Hinzu kommen Lücken in der Datengrundlage. Viele Wirtschafts- und Finanzinformationen gelten als unzuverlässig.
Aktuell ist der Ölpreis nicht hoch genug, um die Staatsausgaben zu decken. Im April 2025 lag er laut IWF bei durchschnittlich bei etwa 77 US$ pro Barrel. Notwendig wären Preise zwischen 80 und 90 US$. Folglich steigt das Haushaltsdefizit deutlich: von 1,5 Prozent des BIP im Jahr 2024 auf voraussichtlich 4,2 Prozent des BIP im Jahr 2025. Auch die Staatsverschuldung nimmt weiter zu und könnte Ende 2025 über 50 Prozent des BIP erreichen.
Vor diesem Hintergrund wächst der Reformdruck. Doch die Regierung zögert: Maßnahmen wie der Abbau von Subventionen oder eine striktere Haushaltsdisziplin sind unpopulär und könnten den Erfolg bei den Parlamentswahlen am 11. November 2025 gefährden. Die Verzögerung und Zurückhaltung birgt jedoch das Risiko zunehmender Instabilität.
Alle wichtigen Kennzahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung finden Sie in unseren Wirtschaftsdaten kompakt Irak. Im überarbeiteten Design können Sie Indikatoren nun auch länderübergreifend vergleichen.
Wachsende Importabhängigkeit belastet Außenhandel
Der irakische Außenhandel bleibt stark vom Öl abhängig. Über 95 Prozent der Exporte entfallen auf diesen Rohstoff. Die Weltbank schätzt die irakischen Exporte 2024 auf 114,9 Milliarden US$. Das wäre im Vergleich zum Vorjahr ein geringfügiger Anstieg um 0,2 Milliarden US$.
Demgegenüber stehen kräftig steigende Importe: Preisbereinigt wuchsen sie 2024 um 21 Prozent auf rund 102,9 Milliarden US$. Gründe dafür sind Lohnsteigerungen im öffentlichen Sektor, weitreichende Subventionen und höhere Beschaffungskosten. Die Handelsbilanz bleibt zwar positiv, doch der Überschuss schrumpft. Beobachter sehen darin ein Indiz für wachsende Importabhängigkeit und fehlende lokale Wertschöpfung.
Deutsche Perspektive: Potenzial vorhanden – aber kein Selbstläufer
Trotz der angespannten Rahmenbedingungen bietet der irakische Markt langfristig Potenzial. Die deutschen Exporte stiegen 2024 um 11 Prozent auf rund 1,3 Milliarden Euro.
Laut der Delegation der Deutschen Wirtschaft im Irak wächst die Nachfrage nach Lösungen in den Bereichen Wasserwirtschaft, Bau, Gesundheitswesen und Logistik. Zugleich erschweren Kapitalverkehrskontrollen, Importauflagen und rechtliche Unsicherheiten den Markteintritt – vor allem für kleine und mittlere Unternehmen. Kooperationen mit lokalen Partnern sowie Förderinstrumente des Deutschen Wirtschaftsbüros Irak, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder multilateraler Entwicklungsbanken können den Einstieg erleichtern.
Neue Chancen ergeben sich insbesondere dann, wenn Reformen in Bereichen wie Steuer- und Zollverfahren greifen. Bis dahin bleibt der Markteintritt anspruchsvoll. "Erfolg hier erfordert Geduld, belastbare Netzwerke und eine realistische Einschätzung von Risiken und Zeiträumen", betont Suntke Heeren, Landesleiter des Deutschen Wirtschaftsbüros Irak.