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Wirtschaftsumfeld | Israel | Wirtschaftsentwicklung

Gesetzesänderung stürzt Israels Wirtschaft in Vertrauenskrise

Israels Parlamentsmehrheit hat die Gerichtsaufsicht über die Regierung geschmälert. Das verstärkt auch international Sorgen um die wirtschaftliche Stabilität des Landes.

Von Wladimir Struminski | Jerusalem

Am 24. Juli 2023 hat die israelische Regierungskoalition eine Novellierung des Gesetzes über die Gerichtsbarkeit verabschiedet. Die Änderung schafft die Befugnis der Gerichte ab, Regierungsentscheidungen aus Gründen mangelnder Verhältnismäßigkeit für ungültig zu erklären.

Die gegen den erbitterten Widerstand großer Bevölkerungsteile durchgesetzte Neuregelung hebt die gerichtliche Kontrolle über die Regierung nicht gänzlich auf. Allerdings wurde sie nur als der erste wesentliche Schritt zu einer umfassenderen Schwächung der Judikative verabschiedet.

Koalitionsmehrheit greift einseitig durch

Die Neuregelung des Verhältnisses zwischen den Staatsgewalten hatte die neue Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bereits Anfang 2023 angekündigt. Dabei wurde auch anvisiert, dem Obersten Gericht die Befugnis zur Annullierung von Gesetzen zu entziehen, die gegen sogenannte Grundgesetze verstoßen. Letztere haben verfassungsähnliche Bedeutung, auch wenn Israel keine Verfassung hat. Zudem bekundete das Kabinett, sich entscheidenden Einfluss auf die Ernennung von Richtern sichern zu wollen.

Das löste heftige Proteste im Inland und Warnungen im Ausland aus - auch seitens internationaler Wirtschaftsinstitutionen. Ratingagenturen sahen in der geplanten Schwächung der Judikative eine Bedrohung der Stabilität der Staatsinstitutionen und damit auch der Wirtschaft. Unter diesem Druck fror Netanjahu die Gesetzgebung im März ein und stellte eine einvernehmliche Lösung des Streits in Aussicht. Nun aber schaffte die Koalition die Verhältnismäßigkeitsklausel doch einseitig ab.

Die Verunsicherung in der Wirtschaft ist sprunghaft gestiegen. Dabei spielt die Klausel nur eine untergeordnete Rolle. Gleichwohl hat sie, wie die Wirtschaftszeitung Globes bemerkte, israelischen und ausländischen Unternehmen jahrzehntelang Schutz vor willkürlichen Entscheidungen der Regierung geboten.

Die negativen Reaktionen beziehen sich allerdings nicht einzig darauf, sondern auf die dahinterstehende Gesamtentwicklung. Großenteils kamen solche Reaktionen aus dem Ausland, vor allem von denjenigen, die Netanjahus Zusagen zuvor ernst genommen hatten. Die Wirtschaftszeitung Globes zitierte eine namentlich nicht genannte Quelle auf dem Devisenmarkt mit den Worten: "Die Ausländer stehen unter Schock. Sie waren sicher, dass es einen Kompromiss geben würde."

Scharfe Warnungen aus dem Ausland

Die Ratingagentur Moody’s vermerkte nach der Gesetzänderung unter anderem, die Exekutive und die Legislative seien weniger berechenbar geworden und zeigten mehr Bereitschaft, erhebliche Risiken für die wirtschaftliche und soziale Stabilität einzugehen.

Die US-amerikanische Investitionsbank Morgan Stanley stellte eine erhöhte Unsicherheit hinsichtlich der Wirtschaftsentwicklung des Landes fest. Das Wirtschaftswachstum könne sich deutlich verlangsamen. Die Investitionsbank Citi mahnte, die jüngsten aktuellen Ereignisse in Israel führten zu zunehmender Nervosität unter Investoren.

Zudem wird eine Herabstufung des Bonitätsrankings befürchtet. Unmittelbar nach der Verabschiedung des neuen Gesetzes kam es zu einer spürbaren Abwertung des Neuen Schekels und zu Kurseinbußen an der Tel Aviver Wertpapierbörse. Die größte israelische Tageszeitung, Yedioth Ahronot, titelte: "Wirtschaft in Gefahr". Die Wirtschaftszeitung Globes kam mit der Schlagzeile "Ein Tsunami von Wirtschaftswarnungen" heraus.

Kapitalflucht und Braindrain

Bereits im Vorfeld der jüngsten Gesetzgebung waren in der Wirtschaft Befürchtungen zu beobachten, die sich jetzt verstärken. So ergab eine Umfrage der gemeinnützigen israelischen Hightechorganisation Start-up Nation Central kurz vor der Gesetzesänderung, dass 68 Prozent der israelischen Start-ups bereits Schutzmaßnahmen ergriffen hätten. Dazu gehörten unter anderem Geldabhebungen von israelischen Konten, die Verlegung des Hauptgeschäftssitzes ins Ausland, Relokation wichtiger und Entlassungen weniger wichtiger Mitarbeitender.

Nun drohen weitere Verluste, etwa ein beschleunigter Braindrain. Laut der Tageszeitung Haaretz vermelden Anwaltskanzleien, die Israelis bei der Erlangung einer zusätzlichen Staatsangehörigkeit helfen, eine sprunghaft gestiegene Nachfrage.  

Auch der soziale Zusammenhalt nimmt Schaden. In einem präzedenzlosen Vorgang haben Tausende von Reservesoldaten gedroht, ihren Armeedienst aus Protest gegen die Neuordnung der drei Staatsgewalten einzustellen. Dazu gehörten auch zahlreiche Angehörige der Luftwaffe. Laut Medienberichten kann das die Einsatzfähigkeit der strategisch wichtigen Luftstreitkräfte beeinträchtigen. Allein schon diese Aussicht erhöht die geopolitischen Risiken, denen sich Israel gegenübersieht.  

Regierung am Scheideweg

All das bedeutet nicht, dass sich das liberale israelische Außenhandelsregime jetzt ändern wird. Die aktuelle Wirtschaftslage des Landes ist noch immer solide. Laufende Geschäfte werden aller Voraussicht nach ungehindert fortgesetzt. Die Frage lautet, wie es längerfristig weitergeht.

Dass das Oberste Gericht die Gesetzesänderung kassiert, gilt als unwahrscheinlich. Zudem würde selbst das den Zusammenprall der unterschiedlichen Weltanschauungen nicht entschärfen. Daher muss die Regierung entscheiden, ob sie die Justizumwälzung wirklich vorantreiben will.

Zunächst versuchte sie, die Warnungen als übertrieben abzutun. So reagierten Ministerpräsident Netanjahu und Finanzminister Bezalel Smotrich auf die von Moody’s ausgesprochene Ermahnung in einer sofortigen Stellungnahme mit den Worten, dies sei "eine momentane Reaktion". "Nachdem sich der Staub gelegt hat, wird klar sein, dass Israels Wirtschaft sehr stark ist", fügten sie hinzu.

Nur zwei Tage später erklärte das Finanzministerium indessen, es nehme die von Moody's veröffentlichte Einschätzung "sehr ernst". Welchen Weg Netanjahu und seine Koalitionspartner einschlagen, muss sich aber erst zeigen.

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