Italiens Industrie, Land- und Bauwirtschaft fragen neue nachhaltigere chemische Produkte nach. Der Importbedarf ist hoch und Deutschland ist der führende ausländische Lieferant.
Dank steigender Produktion und hoher Kapazitätsauslastung erweitern die Chemieproduzenten ihre Anlagen. Allein Italiens größter Branchenkonzern Versalis wendet hierfür 2 Milliarden Euro bis 2027 auf. Viele Hersteller bringen neue nachhaltige Chemieprodukte auf den Markt, wonach eine große Nachfrage besteht.
58
Milliarden Euro
betrug Italiens Import chemischer Erzeugnisse 2024.
Die italienische Chemieindustrie hat ihren Anteil am EU-weiten Nettoumsatz 2023 auf 9,5 Prozent erhöht. Noch 2022 waren es 9,1 Prozent gewesen. Damit ist Italien laut Eurostat der viertgrößte Markt für chemische Erzeugnisse nach Deutschland, Frankreich und den Niederlanden. Allerdings verzerrt der Transit in Europas größtem Hafen Rotterdam die Binnenmarktgröße der Niederlande.
Deutschland ist größter ausländischer Lieferant
Die italienischen Importe von chemischen Erzeugnissen sind 2024 um 0,8 Prozent auf 57,7 Milliarden Euro gestiegen. Erfasst ist dabei die SITC-Position 5 ohne die Arzneiuntergruppe 54. Mit einem Einfuhranteil von 18,5 Prozent lag Deutschland an erster Stelle. Es folgten die Volksrepublik China mit 15 Prozent und Frankreich mit 11,1 Prozent.
Importe decken einen Großteil des italienischen Bedarfs an Chemiewaren ab. Im Jahr 2023 haben eine Inlandsproduktion von 67,3 Milliarden Euro und ein Einfuhrüberschuss von 14 Milliarden Euro den italienischen Chemiemarkt beliefert. Dies berichtet der Branchenverband Federchimica.
Die italienische Importnachfrage konzentriert sich dabei auf einige Sparten. So haben organische Chemikalien 2024 allein 32,9 Prozent aller eingeführten chemischen Erzeugnisse ausgemacht. Es folgten Kunststoffe in Primärform mit einem Anteil von 22,8 Prozent und diverse Produkte der SITC-Position 59 mit 14,5 Prozent.
Investitionen lassen Markt wachsen
Seit Anfang 2023 bis zum 1. Quartal 2025 haben mindestens 98 Prozent der vom italienischen Statistikamt befragten Chemieproduzenten ihre Kapazitätsauslastung als zufriedenstellend oder besser bezeichnet. Investitionen lassen den Markt für chemische Erzeugnisse daher weiter steigen.
Im Jahr 2022 haben Italiens Chemieunternehmen laut neuesten Zahlen 1,8 Milliarden Euro für Sachanlagen aufgewandt, davon 1,4 Milliarden Euro für Maschinen und Anlagen. Weitere 1,5 Milliarden Euro haben die Pharmahersteller investiert, davon 1,3 Milliarden Euro in Maschinen und Anlagen. Viele Projekte laufen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit.
Ausgewählte Investitionsprojekte der chemischen Industrie in Italienin Millionen EuroAkteur/Projekt | Investitionssumme | Projektstand | Anmerkungen |
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Versalis: Dekarbonisierung der Produktion | 2.000 | Planung, tw. Bau | Realisierung bis 2027 |
Eni: Biodieselraffinerie in Livorno | 600 | Planung, tw. Bau | Realisierung bis 2027; Jahreskapazität 500.000 Tonnen |
NextChem: Waste-to-hydrogen-Anlage in Genua | 300 | Planung | Fertigstellung 2026 geplant; aus Abfall gewonnener Biomethanol dient der Herstellung von grünem Wasserstoff durch Elektrolyse |
Henkel, Nordmeccanica, Ecopol: Entwicklung einer umweltschonenden Produktion von Polyvinylalkoholen (PVOH) | k. A. | Planung | Entwicklungsbeginn 2025; die Polyvinylalkohole werden in der Zellstoffindustrie zum Einsatz kommen |
Enilive: Ausbau der Produktion von Biotreibstoffen für Flugzeuge in Gela | k. A. | Planung, tw. Bau | Kapazitätserweiterung von 400.000 Tonnen auf 5 Millionen Tonnen jährlich bis 2030 |
NextChem, Eni, Iren: Waste-to-hydrogen-Anlage in Sannazzaro | k. A. | Planung | In Anbindung an eine Raffinerie von Eni |
NextChem, Newcleo: Entwicklung einer klimaneutralen Chemieproduktion | k. A. | Planung | Kooperationsvereinbarung 2024; Einsatz von kleinen Nuklearreaktoren und Wasserstoffproduktion |
Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest 2025
Fein- und Spezialchemikalien haben hohe Marktanteile
In der italienischen Industrieproduktion haben hochwertige Konsumwaren wie Mode, Möbel, Drogerieartikel und Lebensmittel große Bedeutung. Daher sind auch die hierfür benötigten Chemikalien mit hoher Wertschöpfung in Italien sehr gefragt.
Laut Verband Federchimica haben Kosmetika, Reinigungsmittel, Arzneien, Farben und sonstige Fein- und Spezialchemikalien 2021 zusammen 57 Prozent der italienischen chemischen Erzeugung ausgemacht. Dieser Anteil war fast anderthalbmal so hoch wie im EU-Durchschnitt mit 37 Prozent.
In den kommenden Jahren ist bei der Nachfrage der Modeindustrie ein besonders hohes Wachstum bei umweltschonenderen Gerb- und Farbstoffen, Abwasserklärchemikalien und neuen synthetischen Fasern zu rechnen. Auch die Möbelindustrie setzt zunehmend auf ökologisch verträglichere Farben, Lacke und Stoffe zur Materialbehandlung. Die in Italien bedeutende Kosmetikindustrie ist gleichfalls an nachhaltigeren Inhaltsstoffen interessiert.
Der Bedarf der Kfz-Industrie an chemischen Erzeugnissen soll laut einer Prognose von Federchimica von 2024 bis 2035 um 30 Prozent steigen, da die Umstellung auf Elektrofahrzeuge neue leichtere und festere Kunststoffe sowie Batteriekomponenten erfordert.
Ein wichtiger Abnehmer ist die Pharmaindustrie. Deren Produktion ist 2024 laut Fachverband Farmindustria um 3,9 Prozent auf 52 Milliarden Euro gestiegen. Laufende Investitionen lassen den Markt weiter wachsen. Bedeutend ist die Auftragsfertigung für andere Pharmahersteller. Der Umsatz hiermit war 2023 mit 3,6 Milliarden Euro höher als in jedem anderen EU-Land.
Insgesamt hat die Industrie 2020 laut neuesten verfügbaren Zahlen von Federchimica 68,4 Prozent der italienischen Chemieerzeugung abgenommen. Die mit Abstand bedeutendste Branche war dabei die Kunststoff- und Gummiverarbeitung mit 19,4 Prozent. Es folgten die Nahrungsmittel- und Getränkeverarbeitung mit 5,6 Prozent, die Metallindustrie mit 5,1 Prozent, die Modeindustrie mit 5 Prozent, die Pharmabranche mit 4,7 Prozent, die Elektroindustrie mit 4,3 Prozent und die Fahrzeug- und Papierindustrie mit jeweils 3,6 Prozent.
Smart Farming erlangt für Agrarchemikalien immer mehr Bedeutung
Agrarchemikalien haben 2020 etwa 5,8 Prozent der italienischen Branchenproduktion ausgemacht. Deren Einsatz erfolgt immer mehr mit Smart Farming. Der Hersteller Bayer entwickelt digitale Produkte wie ResiYou, um dies effizienter zu machen.
Auch Biotechnologie soll die Produktion effizienter und Agrarchemikalien nachhaltiger machen, so Federchimica. Der Klimawandel hat 2024 laut dem Agrarverband Coldiretta landwirtschaftliche Schäden von 9 Milliarden Euro verursacht. Daher gibt es im Agrarsektor eine große Nachfrage nach Chemikalien zur Wasserwiederaufbereitung. Neue Aromastoffe und Verarbeitungschemikalien fragt Italiens Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie nach.
Neue Bauchemikalien sind gefragt
Wachstum generieren laut Federchimica auch neue Chemikalien für nachhaltiges Bauen. Der Absatz von Bauchemikalien insgesamt soll jedoch 2025 auf hohem Niveau fast stagnieren, was an der Einstellung von Hochbauförderungen liegt. Die italienische Zentralbank hat im April 2025 prognostiziert, dass die realen Bauinvestitionen im Gesamtjahr nur leicht um 0,2 Prozent zulegen. Die Bauwirtschaft hat 2020 laut Federchimica 4,7 Prozent der italienischen Chemieerzeugung abgenommen.
Von Torsten Pauly
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Mailand