Branche kompakt | Italien | Chemische Industrie
Branchenstruktur
Italien ist der viertgrößte Chemieproduzent in der EU. In der Forschung gewinnt künstliche Intelligenz rasch an Bedeutung. Viele Hersteller beklagen jedoch einen Fachkräftemangel.
27.05.2025
Von Torsten Pauly | Mailand
Der Verband Federchimica erwartet, dass die Erzeugung seiner Mitglieder 2025 um 1,5 Prozent steigt. Die Chemieindustrie hat 2023 laut neuesten Zahlen 4,2 Prozent der Bruttowertschöpfung im italienischen verarbeitenden Gewerbe erbracht. Darüber hinaus entfielen 3,7 Prozent auf die Pharmaindustrie und 2,4 Prozent auf die Petrochemie.
Die Chemiebranche im weiteren Sinne ist somit der drittgrößte italienische Industriezweig nach dem Maschinenbau und der Nahrungsmittel- beziehungsweise Getränkeverarbeitung. In der EU ist Italien nach Deutschland, Frankreich und den Niederlanden der viertgrößte Produzent chemischer Erzeugnisse.
Die Lombardei ist die fünftgrößte europäische Chemieregion
Italiens Chemieindustrie konzentriert sich in nördlichen Regionen. Allein in der Lombardei befanden sich 2022 laut aktuell verfügbaren Zahlen von Federchimica 41 Prozent aller Branchenarbeitsplätze. Es folgen die Emilia-Romagna mit 13 Prozent und Venetien mit 10 Prozent aller Beschäftigten. Im EU-Vergleich lag die Lombardei 2021 an fünfter Stelle, nach der Île-de France, Nordrhein-Westfahlen, Bayern und Rheinland-Pfalz.
Ein Vorteil der italienischen Hersteller sind die moderaten Lohnkosten. Im Jahr 2022 waren die Lohnstückkosten in der italienischen Chemieindustrie laut Eurostat um 42 Prozent günstiger als in Deutschland.
Fachkräftemangel nimmt zu
Viele Branchenunternehmen können jedoch offene Stellen nicht zügig besetzen. Dies gilt insbesondere für forschungsintensive Sparten wie die Biotechnologie, in der es bei drei von fünf Ausschreibungen derartige Probleme gibt. Die demografische Entwicklung wird diesen Trend verschärfen, denn Anfang 2025 waren 42 Prozent aller Beschäftigten älter als 50 Jahre und nur 22 Prozent jünger als 35 Jahre. Allerdings gibt es regionale Unterschiede: Während der Fachkräftemangel in Norditalien ausgeprägt ist, wandern aus dem strukturschwachen Süden Talente ab.
In Italien gab es 2023 insgesamt 3.916 Chemieunternehmen. Diese haben 117.000 Mitarbeiter beschäftigt. Der Nettoumsatz pro Arbeitnehmer war 2023 in Italien mit 523.000 Euro um 1,6 Prozent höher als in Deutschland. Der Verband Federchimica schätzt, dass in Italien 2023 weitere 212.000 Stellen in der direkten Weiterverarbeitung chemischer Erzeugnisse bestanden.
Intensive Forschung in vielen Sparten
Die italienische Chemiebranche hat 2022 etwa 698 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung ausgegeben. Eine eigene Abteilung dafür unterhielten 2020 laut aktuell verfügbaren Zahlen von Federchimica 1.231 Chemieunternehmen. Europaweit gibt es nur in Deutschland mit 1.408 Produzenten mehr derartige Firmen. Es gibt auch eine rege Startup-Szene. Das Portal Tracxn nennt 2025 insgesamt 476 italienische Neugründungen, die sich mit der Entwicklung von Chemikalien, Nano- und weiteren innovativen Materialien beschäftigen.
Künstliche Intelligenz spielt in der Forschung inzwischen eine wichtige Rolle. Viel genutzt ist etwa das Programm DeepChem, das die Erforschung neuer chemischer Moleküle beschleunigt und kostengünstiger macht. Auch Hochschulen befassen sich mit künstlicher Intelligenz in der Chemieindustrie, insbesondere in Rom, Mailand, Turin und Modena. Dies berichtet der Verband der Chemiker und Physiker (Federazione Nazionale degli Ordini e dei Fisici).
Auch der Pharmasektor ist sehr forschungsintensiv. Die entsprechenden Ausgaben waren laut dem Verband Farmindustria 2023 mit 2 Milliarden Euro fast dreimal so hoch wie in der Chemiebranche. Künstliche Intelligenz gewinnt dabei ebenfalls stark an Bedeutung.
Forschungs- und exportstark ist auch die italienische Kosmetikindustrie. Sie hat 2024 etwa 16,5 Milliarden Euro umgesetzt und investiert 6 Prozent davon in die Entwicklung neuer Produkte, so der Branchenverband Cosmetica Italia. Eine Spezialisierung ist Make-Up. Italien hat den EU-Markt hierfür 2022 zu 67 Prozent beliefert.
Große Bedeutung hat zudem die Biotech-Sparte. Im Jahr 2022 haben 823 Branchenunternehmen 13,6 Milliarden Euro umgesetzt, so der Verband Assobiotec. Schwerpunkte der italienischen Branche sind Agrarchemikalien sowie Produktentwicklungen für die Industrie und Arzneien.
Sparte | 2022 | Veränderung 2022/2021 | Marktanteil 2022 |
---|---|---|---|
Kunststoffe in Primärformen | 10.745 | 7,9 | 32,3 |
Farben, Lacke, Druckfarben | 6.540 | 19,3 | 19,6 |
Parfüms, Kosmetik und Seifen | 5.325 | 10,8 | 16,0 |
Waschmittel, Reinigungs- und Poliermittel | 3.105 | 11,3 | 9,3 |
Andere anorganische Basischemikalien | 2.081 | 48,4 | 6,3 |
Farbstoffe und Pigmente | 1.815 | 53,3 | 5,4 |
Düngemittel und Stickstoffverbindungen | 1.381 | 20,6 | 4,1 |
Industriegase | 1.293 | 48,0 | 3,9 |
Pflanzenschutzmittel und andere chemische Produkte für die Landwirtschaft | 594 | -5,4 | 1,8 |
Synthetische und künstliche Fasern | 447 | -35,6 | 1,3 |
Insgesamt | 33.326 | 15,1 | 100,0 |
Starke internationale Vernetzung
Ausländische Investoren haben 2023 laut Federchimica 38 Prozent der italienischen chemischen Erzeugung erbracht. Weitere 21 Prozent entfielen auf italienische Chemieunternehmen, die international aufgestellt sind. Die restlichen 41 Prozent haben italienische Firmen produziert, die ganz überwiegend im Inland tätig sind. Auch viele deutsche Chemiekonzerne produzieren in Italien, meist an mehreren Standorten. Zu diesen zählen unter anderem BASF, Bayer, Covestro, Evonik, Henkel, Lanxess und Linde Gas Italia.
Unternehmen | Sparte | Umsatz Global 2023 | Umsatz Italien 2023 |
---|---|---|---|
Versalis S.p.A. | Grundchemie und Zwischenprodukte, Kunststoffe, Kautschuke | 4.232 | 2.970 |
Gruppo Mapei | Bauchemische Produkte für die Verlegung von Wand- und Bodenbelägen | 4.208 | 1.219 |
Gruppo Bracco | Pharmazie, Diagnostik | 1.852 | 818 |
Gruppo SOL | Technische, industrielle, reine und spezielle Gase und Arzneimittel | 1.487 | 595 |
COIM Group | Polyol, Polyurethane, Polyester und Spezialstoffe für Coating | 1.210 | 498 |
DiaSorin | Molekulare Diagnostik | 1.148 | 289 |
Radici Group | Polyamid, Kunstfasern und Kunststoffe | 1.069 | 542 |
Gruppo SIAD | Industrielle Gase, technologische Verfahren, Gesundheitswesen | 1.008 | 687 |
Gruppo Intercos | Kosmetik | 988 | 568 |
Gruppo Sapio | Industrielle Gase, technologische Verfahren, Gesundheitswesen | 847 | 720 |
Mögliche Zollerhöhungen bergen Unwägbarkeiten
Italiens Chemieexport ist 2024 um 1,2 Prozent auf 48,2 Milliarden Euro gestiegen. Hierunter fallen Produkte der SITC-Position 5 ohne die Arzneiuntergruppe 54. Deutschland war mit einem Ausfuhranteil von 13,9 Prozent wichtigster Auslandsmarkt vor Frankreich mit 9,8 Prozent und Spanien mit 6,9 Prozent.
Die USA sind für die italienische Chemieindustrie das viertwichtigste Ausfuhrziel: Dorthin gingen 2024 Branchenexporte von 3,2 Milliarden Euro. Die Hersteller betrachten daher mögliche US-Zollerhöhungen mit Sorge. Die USA sind auch für viele italienische Chemieabnehmer ein führender Exportmarkt, so dass eine geringere Ausfuhr deren Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen schmälern kann. Höhere Importe aus der Volksrepublik China würden die Chemieproduktion ebenfalls beeinträchtigen, so Federchimica.