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Branche kompakt | Italien | Chemische Industrie

Nachhaltigkeit in der Chemieindustrie

Die Hersteller investieren in einen effizienteren Ressourcenverbrauch und in Umweltschutz. Wasserstoff wird eine wichtige Rolle bei der künftigen Energieversorgung zugesprochen.

Von Torsten Pauly | Mailand

Die Dekarbonisierung erfordert in den kommenden Jahren große Anstrengungen. Der Verband Federchimica schätzt, dass die italienische Chemieindustrie für eine klimaneutrale Produktion von 2023 bis 2050 etwa 31 Milliarden Euro aufwenden wird. Zwischen 2018 und 2022 haben bereits 59 Prozent aller italienischen Chemiefirmen in die Verbesserung ihrer ökologischen Bilanz investiert. Dies ist der höchste Wert unter allen Branchen des italienischen verarbeitenden Gewerbes.

Die Energieeffizienz der italienischen Chemieindustrie war 2021 um 33 Prozent höher als 2000. Damit erfüllt sie die EU-Vorgabe für das Zieljahr 2030, die eine Verbesserung um 32,5 Prozent vorsieht. Ein starker Anreiz für weitere Einsparungen sind die teuren Energiekosten. So lagen etwa die Strompreise für italienische Unternehmen vom 2. Halbjahr 2022 bis zum 1. Halbjahr 2024 laut Eurostat um 16 Prozent bis 54 Prozent über dem EU-Durchschnitt.

Italiens Chemieindustrie hat ihren Kohlendioxidausstoß 2022 um 64 Prozent gegenüber 1990 gesenkt. Auch damit erfüllt sie die von der EU geforderte Reduktion um 55 Prozent bis 2030. Die Emissionen sind jedoch weiterhin hoch. Chemiehersteller waren 2021 für 14 Prozent des gesamten Kohlendioxidausstoßes von Italiens verarbeitendem Gewerbe verantwortlich.

Chemieindustrie hat große Bedeutung für Green Deal der EU

Die Chemieindustrie muss auch neue Produkte entwickeln, um Italiens Industrie eine nachhaltigere Erzeugung zu ermöglichen. Damit ist sie laut Federchimica zentral, um die von der EU 2018 im Green Deal formulierten Ziele für die Mitgliedsstaaten zu erreichen. Der Verband sieht Wachstumschancen insbesondere durch neue chemische Erzeugnisse für die Abfall- und Wasserwirtschaft, die Nutzung von Wind- und Solarenergie, die Elektromobilität, die Kohlendioxidabscheidung und -speicherung, Energieeffizienz und smarte Gebäudesteuerung, den Gesundheitssektor und die Bioökonomie.

Eine Wachstumssparte sind laut Federchimica auch chemische Erzeugnisse aus Biomasse. So hat etwa das Start-Up Bi-rex aus Bologna zusammen mit der Polytechnischen Universität Mailand ein patentiertes Verfahren entwickelt, um mit umweltschonenden Lösungsmitteln Polymere und Zellstoff aus Agrarabfällen zu gewinnen.

Wasserstoff soll Klimaneutralität sicherstellen

Große zukünftige Bedeutung hat der Einsatz von Wasserstoff. Italiens Regierung erwartet laut der Nationalen Wasserstoffstrategie von Ende 2024, dass die Chemie- und Raffinerieproduzenten 2050 zwischen 34 Prozent und 82 Prozent ihres Energiebedarfs mit Wasserstoff decken werden. Die tatsächliche Höhe hängt nicht nur vom Wasserstoffhochlauf im Inland, sondern auch im Ausland ab, da Italien laut Regierung 30 Prozent seines Bedarfs importieren wird.

Drei Anlagen zur Herstellung von grünem Wasserstoff durch Elektrolyse plant der Hersteller Marie Tecnimont in Genua, dem lombardischen Sannazzaro und im toskanischen Empoli. Das Verfahren sieht zunächst die Erzeugung von Biomethanol aus Abfällen und dann dessen Nutzung für die Wasserstofferzeugung vor. Marie Tecnimont gehört zum Konzern NextChem, der sich auf nachhaltige Chemie- und Energieerzeugung spezialisiert.

Neben grünem soll auch rosafarbener, das heißt aus Atomstrom gewonnener Wasserstoff zum Einsatz kommen. Kleine Nuklearreaktoren für die Industrie entwickelt Maire Tecnimont mit dem britischen Startup Newcleo. Konkretes Interesse hat bereits der Raffineriekonzern Enel geäußert. Im Jahr 2026 wollen Maire Tecnimont und Newcleo zunächst einen kleinen Versuchsreaktor mit 10 Megawatt in Betrieb nehmen.

Digitalisierung soll Ressourceneinsatz verbessern

Ein wichtiger Trend ist die "Chemieindustrie 5.0" (Industria chimica 5.0). Eine digitale Vernetzung der gesamten Wertschöpfungskette soll den Sektor nachhaltiger machen. Dazu gehört die Steigerung der Energieeffizienz ebenso wie die Entwicklung ressourcenschonender Chemikalien und deren klimaneutrale Produktion, Auslieferung und Wiederverwertung.

Im Jahr 2023 wurden 51,7 Prozent des italienischen Chemiemülls recycelt oder auf andere Weise umweltgerecht aufbereitet. Dagegen wurden 5,2 Prozent der Rückstände verkippt und 5,8 Prozent verbrannt. Der Rest wurde anderweitig behandelt.

Der Verband Federchimica hat für seine Mitglieder das Programm Coach (Circularity-Oriented Assistance for Chemical Companies) entwickelt. Dieses verbessert die Erfassung aller Materialflüsse und ermöglicht so eine nachhaltigere Nutzung im gesamten Kreislauf.

Auch der italienische Staat fördert Investitionen in eine digitalisierte und nachhaltige Produktion nach dem Industrie-5.0-Prinzip mit dem Programm "Transizione 5.0". Weitere spezielle Branchenförderungen können für Chemieunternehmen in Frage kommen, etwa das Programm "Agricoltura 5.0" für die Hersteller von Agarchemikalien.

EU-Fördergelder stehen bereit

Investitionen in Nachhaltigkeit unterstützen in Italien auch Fördergelder der EU im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität. Diese wurde 2021 zur Überwindung der Coronarezession ins Leben gerufen und läuft bis 2027. Chemieproduzenten können dabei von mehreren Programmen profitieren. Für eine kreislaufgerechte Biomethanproduktion stehen unter dem Fördertitel M2C2.1.4 insgesamt 1,9 Milliarden Euro zur Verfügung.

Darüber hinaus können 2 Milliarden Euro für Wasserstoffprojekte in besonders energieintensiven, sogenannten Hard-to-abate-Industriesektoren abgerufen werden (M2C2.3.2). Weitere 500 Millionen Euro können für Elektrolyseanlagen in bestehenden Brownfield-Industrieanlagen abgerufen werden (M2C2.3.1). Sonstige Wasserstoffforschungen unterstützt die EU mit 160 Millionen Euro (M2C2.3.5) und Vorhaben in der Abfallwirtschaft mit 2,1 Milliarden Euro (M2C1.1). Ein Programm für die Abwasserwirtschaft ist mit 600 Millionen Euro aufgelegt (M2C2.4.4).

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