
Special | Marokko | Produktionsstandorte
Marokko ist ein Produktions- und Export-Hub für Europa
Wenn es um das Nearshoring von Produktionskapazitäten geht, ist Marokko für europäische Unternehmen kein Geheimtipp mehr.
25.06.2025
Von Ullrich Umann | Casablanca
Marokko hat sich zu einem zentralen Nearshoring-Standort für europäische Unternehmen entwickelt. Das Königreich stellt industrielle Zwischen- und Endprodukte her. Mit jedem Werk, das Auslandsinvestoren errichten, steigt die Bedeutung des nordafrikanischen Landes als verlässlicher und kostengünstiger Produktionsstandort für europäische Wertschöpfungsketten.
Dieser Beitrag ist Teil einer umfassenden Analyse zu neuen Produktionsstandorten. Sie zeigt anhand verschiedener Länderkategorien, warum und wohin sich Fertigungskapazitäten verschieben.
Investitionstrends: Einstieg in die Batterieproduktion
Im Zeitraum 2022 bis einschließlich 2024 haben 79 ausländische Firmen Direktinvestitionen angeschoben; nicht eingerechnet die Erweiterungen bestehender Werke. Der Investitionsschwerpunkt lag im Fahrzeug- und Flugzeugbau und dort wiederum in den Kategorien Tier-1 (direkte Zulieferung an den Originalhersteller) und Tier-2 (direkte Zulieferung an Tier-1).
Im Fahrzeugbau haben sich insgesamt 230 ausländische Firmen niedergelassen. Darunter sind bekannte Namen wie Magneti Marelli, Hands, Nexteer Automotive, Ficosa, Faurecia, Stahlschmidt, Bertrandt, BCS Automotive Interface Solutions, Bosch-Rexroth und Leoni. In der zweitwichtigsten Branche, der Luft- und Raumfahrtindustrie, arbeiten knapp 150 ausländische Unternehmen. Aus Deutschland kamen Masterflex und Böllhoff.
Taufrisch sind die chinesischen Investitionen in sechs Fertigungslinien für Akkumulatoren (einschließlich Teile), die für den Einbau in Elektrofahrzeuge und Stromspeicher vorgesehen sind. Die Produktion der begehrten Lithium-Eisen-Phosphat-Akkus soll 2025 und 2026 anlaufen.
Eine Gigafactory mit bis zu 100 Gigawattstunden errichtet in diesem Zusammenhang das chinesische Unternehmen Gotion High-Tech in der Nähe von Kenitra. An diesem Unternehmen ist der Volkswagen-Konzern zu 30 Prozent beteiligt, weshalb davon auszugehen ist, dass Volkswagen künftig Akkumulatoren für die Fertigung von Elektroautos auch aus Marokko bezieht.
Neben chinesischen Firmen investieren koreanische und kanadische Unternehmen, darunter LG Energy Solution, in die Gewinnung von Rohstoffen für die Akkufertigung, beispielsweise Lithiumhydroxid. Damit positioniert sich Marokko für europäische Hersteller von E-Fahrzeugen, aber auch für Betreiber von Akkufarmen zu einem extrem interessanten Bezugsmarkt.
Frankreich wichtigstes Herkunftsland für Direktinvestitionen
Unter den ausländischen Unternehmensansiedlungen ist die französische Wirtschaft zahlenmäßig besonders stark vertreten. Dazu gehören Renault, Stellantis (PSA), Airbus, Safran, FIGEAC Aero, Danone und LafargeHolcim. An zweiter Stelle folgen spanische Firmen aus der Nahrungsmittelveredelung sowie Textil- und Bekleidungsbranche. Dazu zählen Unternehmen wie Ebro Foods, Dulcinea, Duray, Borges, Juver und Inditex.
Die deutschen Investitionen konzentrieren sich auf die Teileherstellung für Automobile und Flugzeuge, auf die Erzeugung von Baustoffen und auf die Montage von Pumpen. Hier sind stellvertretend die Firmen Benteler, Kostal, Hirschmann Automotive, Wilo und Weiss Chemie zu nennen. Mit Dachser und Hahn Software haben sich auch Logistik- und IT-Unternehmen niedergelassen.
Fokusbranchen: Local-Content-Regeln könnten der Bahntechnik Schub geben
Unter Hochdruck arbeitet die Regierung am Ausbau weiterer Industriezweige. Entstehen soll unter anderem die Montage von Bahn- und Schienentechnik für den Hochgeschwindigkeitsbereich. Als Zielmarke für die Umsetzung ist 2030 gesetzt, wenn Marokko Mitausrichter der Fußballweltmeisterschaft sein wird.
Den Plänen der Regierung zufolge soll die vorhandene Hochgeschwindigkeitsstrecke von Tanger nach Casablanca bis 2030 von Kenitra über die beiden internationalen Flughäfen Casablanca und Marrakesch nach Marrakesch und von dort weiter nach Agadir verlängert werden. Im Ergebnis wären mehr Städte, die wichtigsten Fußballstadien sowie die bedeutendsten internationalen Flughäfen an das Streckennetz angeschlossen.
Um die Montage von Bahn- und Schienentechnik zu entwickeln, hat die marokkanische Eisenbahngesellschaft ONCF die Ausschreibungen zum Streckenausbau und zur Lieferung des rollenden Materials mit Local-Content-Klauseln zur Steigerung der heimischen Wertschöpfung versehen. Die Systemanbieter sind somit angehalten, die zum Einsatz kommende Bahn- und Schienentechnik vor Ort zu montieren und auch zu warten. Der Grundstein für den Aufbau einer neuen exportorientierten Industrie ist damit gelegt.
Schiffbau bietet Entwicklungspotenzial
Die Regierung hat ebenfalls Pläne zur Modernisierung von Werften und Reparatur-Docks entlang der atlantischen Küste und dem Mittelmeer entwickelt. Derzeit werden dafür ausländische Investoren gesucht: Laut den Plänen soll Marokko nicht mehr allein über moderne Tiefseehäfen, sondern in der Perspektive auch über eine leistungsfähige Hochseeflotte verfügen. Auf diese Weise sollen ausländischen Reedereien Marktanteile abgenommen und der Seetransport für die marokkanische Wirtschaft kostengünstiger gestaltet werden. Bei Fischtrawlern ergibt sich die Nachfrage aus dem Fischreichtum, über den das nordafrikanische Land entlang der Atlantikküste verfügt.
Treiber und Risiken: Sonderzonen bieten Anreize
Für die deutsche Wirtschaft ist Marokkos steigende Exportkraft von besonderem Interesse, da Deutschland aus dem nordafrikanischen Land an erster Stelle industriell gefertigte Zulieferteile bezieht, insbesondere Erzeugnisse der Elektrotechnik und Elektronik. Erst an zweiter Stelle folgen kleine und mittlere Pkw.
Die Bedeutung Marokkos für die deutsche Wirtschaft ergibt sich vor allem aus den moderaten Lohnstückkosten bei freier Verfügbarkeit von Arbeitskräften sowie aus der Möglichkeit, die Importe von Zwischenerzeugnissen aus den marokkanischen Produktionsstätten per Lkw-Fähre von Tanger ins spanische Cadiz und dann weiter über das europäische Autobahnnetz kostengünstig und vor allem pünktlich durchführen zu können.
Doch braucht Marokko noch mehr ausländische Direktinvestitionen, um die Wertschöpfungsketten enger knüpfen, vor allem aber, um die Arbeitslosenquote von mehr als 13 Prozent spürbar senken zu können. Zur besseren Investitionsförderung wurden eigens die rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen reformiert. Dazu zählen die Überarbeitung der Investitions-Charta und die Ausstattung der Sonderzonen mit großzügigeren Steuer- und Zollerleichterungen. Besonders zu nennen sind in diesem Zusammenhang die Industrie-Beschleunigungs-Zonen (ZAI) sowie die Finanz- und Immobilien-Sonderzone Casablanca Finance City (CFC). In der CFC hat sich unter anderem die deutsche Commerzbank niedergelassen.
Treiber für Investitionen europäischer Firmen
- geografische Nähe zu Europa
- gut ausgebautes Verkehrsnetz (See- und Flughäfen, Autobahnen, Hochgeschwindigkeitsbahnstrecken)
- niedrige bis moderate Personalkosten
- Verfügbarkeit von Fachkräften
- stabile wirtschaftliche, politische und rechtliche Rahmenbedingungen
- bestes Kreditrating in Afrika: BB+/B (Standard & Poor’s), Ba1 (Moody’s)
- staatliche Investitionsanreize wie zeitlich befristete Steuer- und Zollferien, Direktzuschüsse und Ausbildungsbeihilfen
- Freihandelsabkommen mit der EU, den USA, mit der Türkei und einer Reihe arabischer und afrikanischer Staaten
Institution | Anmerkung |
---|---|
AHK Marokko | Anlaufstelle für deutsche Unternehmen |
Morocco Now | Agentur für Export- und Investitionsförderung |
Investitionsgarantien des Bundes | Instrument zur Absicherung von Auslandsinvestitionen |