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Wirtschaftsausblick | Norwegen
Der für Norwegen so wichtige Öl- und Gassektor profitiert von den weltweiten Versorgungsunsicherheiten. Andere Wirtschaftsbereiche müssen sich wachsenden Unwägbarkeiten stellen.
20.05.2022
Von Michał Woźniak | Stockholm
Das öl- und gasreiche Norwegen profitiert von den globalen Versorgungsunsicherheiten. Der russische Angriff auf die Ukraine hat keinen Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) soll 2022 je nach Prognose um 3,5 bis 4 Prozent zulegen. Für das kommende Jahr 2023 wird ein Wachstum von über 2 Prozent prognostiziert.
Indikator | 2020 | 2021 | Vergleichsdaten Deutschland 2021 |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. Euro) | 318,1 | 407,8 | 3.570,6 |
BIP pro Kopf (Euro) | 59.130 | 75.400 | 42.918 |
Bevölkerung (Mio.; jeweils zum 1. Januar) | 5,4 | 5,4 | 83,2 |
Wechselkurs (Jahresdurchschnitt, 1 Euro = … Norwegische Kronen) | 10,7228 | 10,1633 | - |
Ein wichtiger Wachstumstreiber ist der private Konsum, der von der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt begünstigt wird. Die Beschäftigtenzahl erreichte im Februar 2022 mit über 2,8 Millionen einen historischen Rekordwert. Die gleichzeitig auf 3,1 Prozent gesunkene Arbeitslosenquote liegt ebenfalls wieder unter dem Vorpandemieniveau. Laut neuesten Regierungsprognosen soll sie bis Jahresende 2022 unter die Marke von 2 Prozent fallen.
Aufgrund des zunehmenden Fachkräftemangels - seit Ende 2021 übersteigt die Anzahl unbesetzter Arbeitsstellen die der Arbeitslosen - werden für die anstehenden Tarifrunden Forderungen nach deutlichen Lohnerhöhungen erwartet. Sowohl 2022 als auch 2023 sollen die Gehälter um jeweils bis zu 4 Prozent steigen.
Der Inflationsdruck wächst, sowohl durch inländische wie auch ausländische Faktoren. Noch Anfang 2022 konnte die Aufwertung der norwegischen Krone den globalen Preisanstieg zumindest etwas ausgleichen. Allerdings hat die inländische Währung alleine zwischen Ende März und Mitte Mai 2022 wieder über 8 Prozent gegenüber dem Euro und sogar über 14 Prozent gegenüber dem US-Dollar verloren.
Die monetären Entwicklungen riefen die Zentralbank auf den Plan. Der zu Anfang der Pandemie auf 0 Prozent gesetzte Leitzinssatz ist längst Geschichte. Das derzeitige Niveau von 0,75 Prozent soll laut Prognosen der Norges Bank bis mindestens 2024 kontinuierlich angehoben werden - möglicherweise auf bis zu 2,5 Prozent.
Die mit den steigenden Zinsen einhergehenden höheren Kreditkosten könnten sich mittelfristig negativ auf die Investitionslust der Unternehmen auswirken. Zumindest 2022 und 2023 wird die Festlandindustrie aber voraussichtlich noch deutlich mehr ausgeben als 2021. Laut Schätzungen des norwegischen Statistikamtes SSB werden ihre Investitionen 2022 um über 7 Prozent und 2023 um etwa 5 Prozent gegenüber dem jeweiligen Vorjahr zulegen.
In der im 1. Quartal 2022 durchgeführten Investitionsumfrage des SSB gaben die Vertreter der verarbeitenden Industrie an, im laufenden Jahr 38 Prozent mehr Investitionen tätigen zu wollen als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. Die Produzenten von Elektrogeräten und Elektronik wollen demnach ihre Investitionen des Vorjahres versechsfachen. Optimistisch sind auch die Metall- und Kunststoffindustrie sowie Holz- und Textilverarbeiter. Der Maschinenbau will dagegen seine Investitionen um ein Drittel zurückfahren.
Die im Süden des Landes überproportional angestiegenen Energiepreise könnten geplante Investitionsvorhaben erschweren. Vor diesem Hintergrund entschieden sich einige Unternehmen, Projekte aufzuschieben. Andere, vor allem aus stromintensiven Bereichen, erwägen neue Standorte in Nordnorwegen.
Projektbezeichnung | Investitionssumme (Mio. Euro) | Projektstand | Projektträger |
---|---|---|---|
Straßenbauprojekt Sotrasambandet mit Brücke und Tunnel | 1.900 | Vertrag über öffentlich-private Partnerschaft in Bezug auf Bau und 25-jährige Instandhaltung unterschrieben 16.03.22 | Baukonsortium: Sotra Link |
Sieben Straßenbauprojekte mit Tunneln und Brücken | Einzelprojekte: 20 bis 450; Gesamtwert: 1.500 | Bis November 2022 monatlich ein Präqualifizierungsverfahren geplant; Verzögerungen und Terminaufschiebung wegen hoher Angebotspreise | |
Straßenbauprojekt Fornebukrysset-Strand | 290 bis 350 | Präqualifizierungsgespräche mit 6 Konsortien am 09.05.22 gestartet | |
Bau einer Batteriefabrik in Mo i Rana | k.A. | Fertigstellung bis 2025 | |
Pilotanlage für grünen Wasserstoff mit Kompressorstation und Abfüllanlage nahe Drammen | k.A. | Vergabe des Bauauftrags im 2. Quartal 2022 | |
Bau einer Wasserstoffproduktions- und Speicherungsanlage in Nordland | k.A. | Antrag auf Förderung gestellt 28.04.22 | |
Neu Biogasanlage in Etne | k.A. | Förderzusage über 6 Mio. Euro erteilt von Enova am 07.04.22 | |
Bau einer Produktionsanlage für grünen Wasserstoff mit 20 MW Elektrolyseur-Leistung in Rafnes | k.A. | Vorprojekt erhielt Förderzusage am 25.04.22 |
Staatliche Ausschreibungen werden auf der Internetseite der norwegischen Digitalisierungsbehörde publiziert. Informationen zu EU-Binnenmarktausschreibungen finden Sie in unserer Datenbank.
Ihre Investitionen um 5 Prozent zurückfahren wollen auch Produzenten von Konsumgütern. Und das, obwohl der Privatverbrauch je nach Prognose 2022 um 6 bis 8 Prozent steigen könnte. Allerdings wies der im Auftrag des Branchenverbandes Finans Norge vierteljährlich durchgeführte Verbrauchervertrauensindex (VVI) Anfang 2022 einen deutlichen Negativtrend auf.
Steigende Energiekosten, das Abbremsen der Preisentwicklung auf dem Wohnungsmarkt, vor allem aber die drohenden Zinserhöhungen, vermiesen den hoch verschuldeten Norwegern die Kauflust. Laut Eurostat weisen europaweit nur dänische Haushalte einen noch höheren Brutto-Schulden-Einkommensquotienten auf. Im Vergleich standen deutsche Familien 2020 mit einem um nahezu 60 Prozent geringeren Betrag in der Kreide.
Andererseits zeigen die VVI-Ergebnisse, dass vor allem bei Reisen und Renovierungen nicht gespart werden wird. Größere Anschaffungen werden allerdings auf die lange Bank geschoben. Der Einzelhandel musste im 1. Quartal 2022 leichte Einbußen gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum hinnehmen.
Die in Landeswährung erfasste Importdynamik, die bereits 2021 zweistellig ausfiel, beschleunigte sich im 1. Quartal 2022 auf 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Dafür verantwortlich waren hauptsächlich Chemieerzeugnisse, Rohstoffe, aber auch verschiedene Fertigwaren. Neben Treibstofflieferanten profitierten davon vor allem Unternehmen aus Südostasien, Nordamerika sowie Mittelosteuropa.
Einfuhren aus Deutschland - Norwegens drittwichtigster Importquelle - entwickeln sich, wie bereits 2021, unterdurchschnittlich. Sichtbar wird das vor allem bei Lebensmitteln und Tierprodukten. Die Chemiesparte hält mit dem Rest der Welt zumindest Schritt. Bei Maschinen und Kfz, die mehr als die Hälfte des Umsatzvolumens ausmachen, liegt die Dynamik dagegen deutlich höher als beim Durchschnitt der Konkurrenten.
2020 | 2021 | Veränderung 2021/2020 3) | |
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Importe | 96,9 | 109,8 | 7,4 |
Exporte | 95,9 | 162,5 | 60,6 |
Über das Gesamtjahr gesehen sollen die Importumsätze 2022 um 8 und 2023 um über 4 Prozent zulegen. Deutlich dynamischer dürfte die Exportentwicklung ausfallen. Angetrieben durch den weltweiten Öl- und Gasbedarf sowie die steigenden Treibstoffpreise, wuchsen die Warenexporte Norwegens bereits 2021 um 80 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In den ersten vier Monaten 2022 lag der Umsatz sogar bei mehr als dem doppelten Wert des gleichen Vorjahreszeitraums. Selbst ohne Treibstoffe stiegen die Exporte im gleichen Zeitraum um beachtliche 23 Prozent.