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Wirtschaftsumfeld | Palästinensische Gebiete | Wirtschaftsentwicklung

Die palästinensische Wirtschaft braucht einen Neustart

Nach dem Gaza-Krieg wird die palästinensische Wirtschaft Kapital, Initiative und Unterstützung benötigen. Auch die erdrückende Abhängigkeit von Israel sollte überwunden werden.

Von Wladimir Struminski | Jerusalem

Der jetzige Krieg hat nicht nur unsagbares menschliches Leid und immense materielle Schäden verursacht, er trifft auch die palästinensische Wirtschaft denkbar hart. Das gilt insbesondere für den Gazastreifen. Die große Mehrheit der Bewohner des kleinen Landstrichs wurde zu Binnenflüchtlingen. Die Schäden an der Bausubstanz und der Infrastruktur sind enorm. Allein ihre Behebung dürfte Jahre dauern, selbst wenn genug Hilfe aus dem Ausland fließt.

Wirtschaft in Gaza zusammengebrochen

Die laufende Wirtschaftstätigkeit im Gazastreifen ist nahezu vollständig zum Stillstand gekommen. Das zeigt eine einen Monat nach Kriegsausbruch veröffentlichte Erhebung des Palästinensischen Zentralamts für Statistik (Palestinian Central Bureau of Statistics - PCBS). 

Dabei war Gazas Wirtschaft bereits vor dem Krieg in keinem guten Zustand. Seit das Gebiet 2007 unter eine Blockade gestellt wurde, schrumpften die Investitionen auf eine Restgröße. Nach Daten des PCBS schwankten die Bruttoanlageinvestitionen unter Herausrechnung der Bauinvestitionen seitdem um 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zum Vergleich: Im Westjordanland lag dieser Anteil 2018 bis 2021 zwischen 10 und 11 Prozent. Laut den Vereinten Nationen hatte schon vor dem Krieg mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens in Armut gelebt.

Besser, wenngleich nicht ausreichend, ist die Wirtschaftslage im Westjordanland.  Die Wirtschaftsentwicklung leidet unter zahlreichen israelischen Beschränkungen, sodass das Wirtschaftspotenzial der Region nicht voll realisiert werden kann.

Die enge Bindung an Israel ist ein zweischneidiges Schwert

Ein großes Handicap der palästinensischen Wirtschaft ist ihre erdrückende Abhängigkeit von Israel. Im Bereich des Warenhandels lagen die palästinensischen Exporte 2021 bei knapp 1,4 Milliarden US-Dollar (US$). Hiervon entfielen 86 Prozent auf Israel, mit dem die Palästinensischen Gebiete auch ein einheitliches Zollgebiet bilden. 

In absoluten Zahlen lag die palästinensische Ausfuhr in den Rest der Welt 2021 bei nur 189 Millionen US$. Damit ist der palästinensische Außenhandel nahezu vollständig von der globalen Wirtschaft abgeschnitten. Das stellt ein erhebliches Hindernis für die Entwicklung einer diversifizierten, exportorientierten Wirtschaftstätigkeit dar.

Groß ist auch die palästinensische Abhängigkeit von Arbeitsplätzen in Israel und in israelischen Siedlungen im Westjordanland. Schätzungen zufolge verdienten palästinensische Mitarbeiter israelischer Unternehmen vor dem Krieg rund 3 Milliarden US$ pro Jahr. Das war das rund Zweieinhalbfache der Warenexporte nach Israel.

Seit Kriegsausbruch können die Pendler aus den palästinensischen Gebieten nicht mehr zu ihren Arbeitsplätzen bei israelischen Arbeitgebern gelangen. Vor allem im Westjordanland, aus dem rund 90 Prozent der Arbeitnehmer kamen, ist das eine einschneidende Zäsur. Zugleich zeigt es, wie riskant eine übermäßige einseitige Abhängigkeit vom Nachbarn Israel ist.

Engagement ausländischer Investoren erforderlich

Nach dem Krieg wird massive internationale Hilfe allein schon für die Behebung der im Gazastreifen erlittenen Substanzschäden erforderlich sein. Für eine neue ökonomische Weichenstellung wird das aber nicht ausreichen. Vielmehr ist auch eine Anbindung der Palästinensischen Gebiete an die Weltwirtschaft eine notwendige Bedingung. Sie ist erforderlich, obwohl sie bei realistischer Betrachtung nur im Rahmen der von Israel verhängten Kontrollen erfolgen kann.

Ein mögliches Modell ist die Errichtung von Sonderwirtschaftszonen, in denen sich auch exportintensive Unternehmen ansiedeln können. Dieses Modell wurde bisher nicht in ausreichendem Maß verwirklicht. 

Ein grundlegender Kurswechsel wird nicht nur Kapital, sondern auch weiteres Engagement ausländischer Investoren erfordern. Dazu könnte insbesondere die Einbeziehung palästinensischer Hersteller in internationale Vertriebsnetze zählen. Besonders aussichtsreich wären dabei Projekte, die nicht nur eine neue Produktion aufbauen, sondern die Betriebe auch effizienter und damit wettbewerbsfähiger gestalten.

Potenzial kann besser genutzt werden

Ein Ausbau der palästinensischen Wirtschaftsbeziehungen zu anderen Ländern ist durchaus möglich. Die palästinensischen Arbeitskräfte haben ein hohes Bildungsniveau. Die Hersteller bieten eine gute Produktqualität an. Die Investitionsbestimmungen der palästinensischen Regierung sind unternehmensfreundlich und sehen eine Reihe finanzieller Anreize vor. 

Zu den wichtigsten palästinensischen Exportprodukten gehören Agrarprodukte wie etwa Olivenöl, Produkte der Nahrungsmittelindustrie, Kunststoffprodukte, Metallwaren und Möbel. Die langjährige Erfahrung palästinensischer Hersteller kann ausländischen Investoren zugutekommen. 

Zudem ist das Entwicklungspotenzial der palästinensischen Wirtschaft und der Exporte keineswegs auf traditionelle Branchen beschränkt. Vielmehr stehen ausländischen Firmen auch zahlreiche Technologieexperten zur Verfügung. Zahlreiche palästinensische IT-Experten sind bereits bei ausländischen Arbeitgebern beschäftigt. Im Zeitalter von Homeoffice fällt das relativ leicht.

Indessen könnte das Potenzial im Technologiebereich stärker als bisher genutzt werden. Im Jahr 2022 waren nach Angaben des PCBS 52 Prozent aller IT-Experten im Alter bis 29 Jahren arbeitslos. Unter Ingenieuren waren es 35 Prozent und unter Physikern 56 Prozent. Bei technologieorientierten Investitionen ausländischer Unternehmen können diese Fachkräfte eine wichtige Rolle spielen.

Von großer Bedeutung wäre auch die Erschließung des vor der Küste des Gazastreifens gelegenen Gaza-Marine-Erdgasfelds. Im Juni 2023 hat das israelische Ministerpräsidentenamt diesem Projekt offiziell zugestimmt. Ob es nach dem Krieg realisierbar bleibt, muss sich zeigen. Nötiger denn je wäre es in jedem Fall.

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