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Windenergie: 200 Meter machen den Unterschied

Polen hat die umstrittenen Abstandsregelungen für Windkraftanlagen gelockert. Viele Industrievertreter sind mit der Reform aber unzufrieden.

Von Christopher Fuß | Warschau

Neue Windräder müssen in Zukunft mindestens 700 Meter vom nächsten Wohngebäude entfernt sein. Polens Parlament verabschiedete im März 2023 die neuen Abstandsvorschriften nach langen Verhandlungen. Staatspräsident Andrzej Duda hat das entsprechende Gesetz mittlerweile unterschrieben. Damit ist die bislang gültige sogenannte 10h-Regelung zumindest in Teilen entschärft. Sie trat 2016 in Kraft. Ihr zufolge muss zwischen Windrad und dem nächsten Wohngebäude eine Entfernung von mindestens der zehnfachen Turbinenhöhe liegen. In der Praxis können das bis zu zwei Kilometer sein.

Laut Branchenvertretern wie dem Polnischen Windenergieverband PSEW (Polskie Stowarzyszenie Energetyki Wiatrowej) ist die 10h-Regelung der Hauptgrund, warum der Ausbau der Windenergie in Polen stockt. Es gibt so gut wie keine Flächen, die den strengen Vorgaben entsprechen. Investoren, die noch vor der Verschärfung 2016 eine Genehmigung ergattern konnten, durften ihre Projekte weiterführen. Anpassungen der Baupläne an den neuesten Stand der Technik waren aber nicht möglich. Obwohl Windturbinen heute üblicherweise eine Leistung von 5 Megawatt haben, gehen in Polen selten Anlagen mit mehr als 3 Megawatt an das Netz.

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Abstandsflächen spalten Regierungskoalition

Als die polnische Regierung die Reform der 10h-Regelung im Juli 2022 ins Parlament einbrachte, war noch von 500 Metern Abstand die Rede. Dagegen sträubte sich aber die Partei Solidarisches Polen (Solidarna Polska). Sie ist Mitglied in der Regierungskoalition unter Führung der Partei PiS. Solidarisches Polen verlangte einen Mindestabstand von einem Kilometer. Am Ende waren 700 Meter ein Wert, dem beide Partner zustimmen konnten.

Vertreter der Windenergie äußern sich enttäuscht. Sie hatten für einen Mindestabstand von 500 Metern geworben. Janusz Gajowiecki, Geschäftsführer des PSEW, klagt auf BusinessInsider.pl: "Die Änderung des Mindestabstands auf 700 Meter hat fatale Folgen. Sie wird es unmöglich machen, das Potenzial zu nutzen, das in Polens Wind liegt." 

Tatsächlich muss sich die Branche wohl auf deutlich weniger Grundstücke für neue Windräder einstellen, als ursprünglich gehofft. Die potenzielle Fläche für Windkraftanlagen schrumpft mit dem Anstieg des Mindestabstandes von 500 Meter auf 700 Meter um 44 Prozent. Das geht aus Berechnungen des Beratungsunternehmens Ambiens hervor. Der stellvertretende Klimaminister Ireniusz Zyska hält die Folgen für noch gravierender. Im Senat, der zweiten Parlamentskammer Polens, erklärte er, die verfügbare Fläche und die zu erwartende Leistung würden um bis zu 50 Prozent sinken.

Appell der Industrie verhallt ungehört

Ausländische Investoren hatten ebenfalls für einen Abstand von 500 Metern geworben. In einem offenen Brief an Premierminister Mateusz Morawiecki hieß es: "Ohne den Beitrag grüner Energie läuft Polens Wirtschaft Gefahr, ihre Wettbewerbsfähigkeit und Marktattraktivität zu verlieren. Die Änderung des Mindestabstands von 500 auf 700 Meter macht das Potenzial der Windenergie zunichte."

Zu den Unterzeichnern gehörten unter anderem Amazon, Google, IKEA, Mercedes, die Industrie- und Handelskammer der Hüttenindustrie (HIPM), der Verband der Zementhersteller (SPC) und die Polnische Kammer der Automobilindustrie (PIM). Auch die Deutsch-Polnische Industrie- und Handelskammer (AHK Polen) machte sich im Verbund mit weiteren Auslandskammern für großzügigere Abstandsregelungen stark.

Polen hofft, dass im Zuge der Gesetzesänderung wichtige EU-Mittel fließen werden. Das Land muss verschiedene Bedingungen erfüllen, um Gelder aus dem Europäischen Wiederaufbaufonds zu erhalten. Einer dieser sogenannten Meilensteine bezieht sich auf die Abstandsflächen für Windkraftanlagen. In einem Abkommen zwischen der polnischen Regierung und der Europäischen Kommission heißt es, Polen werde hier Reformen durchführen. Die Abmachung enthält aber keine genauen Angaben über den Umfang der Reform.

Wichtige Regelungen im Detail

Laut der neuen Abstandsregelung muss eine Gemeinde den Abstand von mindestens 700 Metern im Raumordnungsplan (Miejscowy plan zagospodarowania przestrzennego) festhalten. Teil des Raumordnungsplans ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung (Strategiczna ocena oddziaływania na środowisko) mit Angaben zu unterschiedlichen Parametern wie zum Beispiel den Schallemissionen. Stehen Abstandfläche für Windkraftanlagen nicht im Raumordnungsplan, dann gilt weiter die 10h-Regelung. Sonderbestimmungen gibt es unter anderem für Nationalparks und für Stromleitungen.

Investoren müssen außerdem mindestens 10 Prozent der installierten Kapazität einer Windkraftanlage den Einwohnern der betroffenen Gemeinde anbieten. Das Gesetz schreibt vor, wie der Verkaufspreis für die Anteile zu berechnen ist. Jeder Einwohner kann sich bis zu 2 Kilowatt der installierten Leistung sichern. Das Portal WysokieNapiecie.pl kalkuliert, pro Kilowatt müssten die privaten Interessenten aktuell rund 1.390 Euro zahlen. Hinzu kommen laut WysokieNapiecie.pl weitere Kosten, beispielsweise für die Wartung der Anlage durch den Hauptinvestor.

Im Gegenzug erhalten die beteiligten Einwohner den Status eines sogenannten virtuellen Prosumenten. Der Großmarkt-Verkaufspreis für den anteilig produzierten Strom landet auf einem individuellen Konto. Die Kleininvestoren können den Betrag mit ihren privaten Stromkosten verrechnen. Vergleichbare Beteiligungsmodelle gibt es auch in anderen Ländern Europas.

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