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Interview | Polen | Wirtschaftsumfeld

"Polen ist kein Niedriglohnland mehr"

Personalberater Rainer Pauly erkannte das Potenzial der Wirtschaft Polens schon Anfang der 1990er Jahre. Wie sich das Land seitdem verändert hat, erklärt er im Gespräch mit GTAI.

Von Christopher Fuß | Warschau

Rainer Pauly, Geschäftsführer, Deininger Consulting, 20 Jahre EU-Osterweiterung Rainer Pauly, Geschäftsführer, Deininger Consulting, 20 Jahre EU-Osterweiterung | © Deininger Consulting

Polen ist seit 2004 Mitglied in der Europäischen Union. Der wirtschaftliche Aufschwung des Landes begann schon früher. Rainer Pauly hat ihn hautnah miterlebt. Der Personalberater aus Köln lebt seit fast 35 Jahren in Polen. Er verrät, was ihn an dem Land besonders beeindruckt.

Wie sind Sie nach Polen gekommen?

Es waren vor allem private Gründe, die mich Ende der 1980er Jahre hierherzogen. Während des Studiums habe ich großartige Menschen aus Polen kennenlernen dürfen. 

Ich habe mich dann weiter mit dem Land beschäftigt. Meine Diplomarbeit behandelte zum Beispiel die Privatisierung in Polen. Anschließend habe ich für eine Stiftung gearbeitet und pendelte oft zwischen beiden Ländern. Irgendwann kam dann der Gedanke: Hier in Polen möchte ich gerne einmal eine Zeit lang leben.

Wie sah der Alltag in Polen Anfang der 1990er Jahre aus?

Sehr abenteuerlich! Die jährliche Inflation lag damals bei 1.000 Prozent. Die Taxifahrer hatten einen Zettel am Fenster, mit welchem Faktor an diesem Tag die Taxameter-Anzeige multipliziert werden musste. Mitten in Warschau verkauften die Bauern Schweinehälften vom Pritschenwagen. Das hat sich schnell geändert, spätestens mit den ersten Supermärkten.

Schon damals war Polen ein Land mit einer unfassbaren Dynamik. Junge Leute haben viel in ihre eigene Bildung investiert. Man hat nicht gefragt: Was kann jemand anderes für mich tun? Man hat sich selbst darum gekümmert, dass es einem besser geht. Natürlich ist nicht jeder vom gleichen Platz gestartet, und natürlich waren nicht alle Menschen voller Tatendrang und Unternehmergeist. Es gab in diesem Prozess auch Verlierer. Das muss man klar sagen. Aber diese Bereitschaft, erst mal selbst etwas zu tun, die war sehr beeindruckend.

Wann sind Sie in die Personalberatung eingestiegen?

Das war um das Jahr 2000. Damals habe ich eine Tochtergesellschaft für eine mittelständische Personalberatung in Polen gegründet. Später, im Jahr 2014, bin ich zur Personalberatung Deininger Consulting gewechselt.

Was macht Deininger Consulting in Polen?

Die Personalberatung Deininger Consulting sucht für ihre Kunden Führungskräfte auf der Ebene des Geschäftsführers oder im oberen Management. Ein großer Teil der Kunden sind deutsche Firmen, die in Polen eine Tochtergesellschaft gründen oder ausbauen. Vergleichbare Projekte realisiert Deininger auch in anderen Ländern Mittelosteuropas. Zu den Alleinstellungsmerkmales des Unternehmens gehört das Executive Research Center, das es ermöglicht, in jedem Unternehmen die geeigneten Kandidaten zu identifizieren und zu kontaktieren.

Welche Veränderungen haben Sie in Polens Wirtschaft nach dem EU-Beitritt beobachten können?

Die Branchen, aus denen meine Kunden stammen, sind heute andere als früher. In den 2000er Jahren produzierten noch große Textilhersteller in Polen. Diese Firmen sind mittlerweile weitergezogen.

Bis 2008 gab es hier auch viele Produzenten von Kabelbäumen. Wenn heute in Polen Kabelbäume produziert werden, dann höchstens als Kleinserien für Busse oder Nutzfahrzeuge. Eine Produktion mit einem hohen Lohnkostenanteil rentiert sich nicht mehr. Polen ist kein Niedriglohnland mehr.

Wer kommt heute nach Polen?

Produktionswerke in Polen haben heute eine deutlich höhere Wertschöpfung als in den 2000er Jahren. Internationale Investoren sehen Polen seit dem EU-Beitritt nicht mehr nur als verlängerte Werkbank. Stattdessen bauen Firmen mehr und mehr Forschungs- und Entwicklungsabteilungen auf. Diese Teams arbeiten dann eng mit den Kollegen in Deutschland oder in anderen Ländern zusammen. 

Natürlich passiert dieser Wandel nicht von heute auf morgen. Wir beobachten hier einen Prozess, der sich nicht nur auf Entwicklungsabteilungen beschränkt. Einige Unternehmen verlagern mittlerweile auch Teile ihres strategischen Einkaufs auf die Tochtergesellschaft in Polen.

Wie hat sich die Arbeitswelt in Polen über die letzten Jahre entwickelt?

Vor dem EU-Beitritt gab es viele sogenannte Jumper unter den Bewerberinnen und Bewerbern. Das waren Kandidaten, die für hundert Euro mehr im Monat den Job gewechselt haben. Heute sind die Prioritäten anders. Wenn das Arbeitsumfeld stimmt, die Kollegen nett und die Aufgaben spannend sind, dann wechselt man nicht nur für etwas mehr Gehalt den Job. Gerade jungen Menschen ist es wichtig, auch Spaß bei der Arbeit zu haben. Das ist ebenso wie in Deutschland.

Damals wie heute sind Lohnzusatzleistungen ein fester Bestandteil der Entlohnung. In Polen ist es normal, dass man den Arztbesuch mit eigenen Mitteln bezahlt. Vor diesem Hintergrund gehört seit vielen Jahren eine private Zusatzkrankenversicherung, die vom Arbeitgeber finanziert wird, zum Standard. Mittlerweile bieten Arbeitgeber sogar Pakete an, bei denen nicht nur die Kinder und Ehepartner mitversichert sind, sondern auch die Eltern des Mitarbeiters.

Vermitteln Sie auch Personal aus Polen nach Deutschland? 

Selten. Ich lebe schon so lange hier. Da widerstrebt es mir, dem polnischen Markt die Fachkräfte zu entziehen. Mal abgesehen davon, dass viele Menschen in Deutschland vollkommen unrealistische Vorstellungen davon haben, wie attraktiv ihr eigenes Land für Ausländer ist (lacht). Wenn ein polnischer Manager oder eine polnische Managerin ihre Mehrkosten berechnet, die durch einen Auslandsaufenthalt anfallen, dann stellt sich raus, dass die Kosten viel höher sind als der Gehaltsunterschied zwischen Deutschland und Polen.

Natürlich gehen manche Führungskräfte aus Polen nach Deutschland, beispielsweise um Auslandserfahrungen zu sammeln. Sie gehen aber nicht, weil sie durch ein Leben in Deutschland ihren Lebensstandard erhöhen können.

Vor dem EU-Beitritt sind Polinnen und Polen nach Deutschland gekommen, um bei der Ernte zu helfen oder einfache handwerkliche Arbeiten schwarz zu entrichten. Es ist für mich schön zu sehen, dass immer mehr Manager aus Polen nach Deutschland entsendet werden und dann ein Team in Deutschland leiten. Polnische Manager tragen ihre Nase im Gegensatz zu den 1990er Jahren nicht mehr so tief und die Deutschen haben ihre Nase nicht mehr so hoch.

Welche Trends beobachten Sie aktuell in Polen?

Es fließen deutlich mehr Ressourcen in die Automatisierung. Vor allem die Coronapandemie hat dem Thema einen Schub gegeben. Maschinen werden nicht krank und müssen nicht geimpft werden. Außerdem steigen die Gehälter. In vielen Landesteilen fehlen Arbeitskräfte. Da lohnt es sich für die Unternehmen, in Robotik zu investieren. Ich rekrutiere für meine Kunden mittlerweile Spezialisten, die sich manuelle Prozesse anschauen und überlegen, wie man den Vorgang automatisieren kann.

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