Wirtschaftsumfeld | Polen | Arbeitskräfte
Fachkräfte
Während die Industrie Mitarbeiter entlässt, sorgt der Dienstleistungssektor für Stabilität auf Polens Arbeitsmarkt. Gleichzeitig sinkt der Bedarf nach ungelernten Arbeitskräften.
05.08.2025
Von Christopher Fuß | Warschau
Polens Arbeitsmarkt befindet sich im Umbruch. Produzierende Unternehmen bauen Stellen ab. Eko-Okna, einer der größten Fensterhersteller des Landes, schließt einen Standort im südpolnischen Kędzierzyn-Koźle. Der Grund sind rückläufige Umsätze. Rund 1.000 Mitarbeiter müssen gehen. Besonders bitter: zuvor hatte Eko-Okna die Produktion ausgebaut. Doch der stagnierende Wohnungsbau in Polen und Westeuropa belastet die Verkaufszahlen.
Auch der deutsche Konzern Henkel reduziert seinen Bestand. Bis November 2025 schließt das Unternehmen ein Werk für Haushaltsmittel in Racibórz. Die Maßnahme sei Teil einer "Anpassung der Produktionsnetzwerke", so der Konzern. Henkel reagiert damit auf eine rückläufige Nachfrage im Konsumgütersegment.
Neben sinkenden Umsätzen kämpft die Industrie mit steigenden Kosten. Der polnische Chemiekonzern Qemetica (ehemals Ciech) hat wegen hoher Preise für Strom und Gas eine Sodafabrik im westpolnischen Janikowo geschlossen. Auch der polnische Verband der Keramikindustrie warnt, dass hohe Energiepreise zu neue Entlassungen führen könnten.
Dienstleistungen als Wachstumsmotor
Während die Industrie Stellen abbaut, arbeiten immer mehr Menschen in Dienstleistungszentren. Diese Büros übernehmen Aufgaben für internationale Konzerne. Hierzu gehören die Buchhaltung, der Einkauf oder die IT-Verwaltung. Laut dem polnischen Branchenverband ABSL (Association of Business Service Leaders) ist die Zahl der Beschäftigten in Dienstleistungszentren von März 2024 bis März 2025 um 6,8 Prozent gestiegen. Für das laufende Jahr 2025 rechnet der Verband mit einem weiteren Plus von bis zu 3,8 Prozent. Deutsche Investoren tragen zu diesem Wachstum bei. So hat Mercedes-Benz in Krakau ein Büro für Finanzdienstleistungen eröffnet.
Die Unternehmensberatung PwC bestätigt in einer Studie, dass die Dienstleistungsbranchen in Polens Arbeitsmarkt an Bedeutung gewinnen. Der Beleg dafür sei die Entwicklung der Stellenanzeigen. Während die Industrie 2018 noch für 24,5 Prozent aller Stellenanzeigen verantwortlich war, sank der Anteil bis 2024 auf 15,5 Prozent. Gleichzeitig verdoppelte sich der Anteil sogenannter professioneller Dienstleistungen von 5,1 auf 10 Prozent. Zu diesem Wirtschaftszweig gehören Anwälte, Architekten, Ingenieure oder Marketing-Spezialisten.
Weniger Engpässe am Arbeitsmarkt
Die allgemeine Nachfrage nach Arbeitskräften in Polen flacht dennoch ab. Zwar bleibt die Arbeitslosenquote eine der niedrigsten in der EU. Allerdings lag die Zahl der offenen Stellen im 1. Quartal 2025 laut Statistikbehörde GUS (Główny Urząd Statystyczny) um rund 10 Prozent unter dem Vorjahreswert.
Auch die Zahl der sogenannten defizitären Berufe - also Berufe mit mehr offenen Stellen als Bewerbern - geht zurück, wie die Arbeitsämter berichten. Besonders in der Baubranche entspannt sich die Lage. Schweißer, Klempner und Dachdecker bleiben aber Mangelware.
Eine flächendeckende Arbeitslosigkeit droht Polen nicht - trotz einzelner Fabrikschließungen. Allein schon die demografische Entwicklung spricht dagegen. In den vergangenen 10 Jahren ist die Bevölkerung Polens laut GUS um 1 Million Menschen geschrumpft, auf 37,4 Millionen Personen. Der polnische Think Tank PIE (Polski Instytut Ekonomiczny) rechnet vor, dass die Zahl der Erwerbstätigen bis 2035 um weitere 2,1 Millionen Menschen sinkt. Hinzu kommt, dass der Ausbau der polnischen Armee dem Arbeitsmarkt weitere Nachwuchskräfte entzieht.
Neue Qualifikationen gefragt
Auffällig ist, dass die Anforderungen der Firmen steigen. Arbeitgeber suchen seltener nach gering qualifizierten Arbeitskräften. Das hängt laut Wirtschaftskammer KIG (Krajowa Izba Gospodarcza) mit dem Mindestlohn zusammen, der allein 2025 um weitere 10 Prozent stieg - auf monatlich 1.110 Euro. Einfache Tätigkeiten rechnen sich daher für die Firmen immer seltener. Hinzu kommt: Legt der Mindestlohn zu, dann ziehen andere Gehaltsgruppen nach.
Auch Arbeitgeber in technischen Branchen formulieren neue Anforderungen. Ein Beispiel ist die Informationstechnik: Laut der Personalvermittlung Devire sinkt der Bedarf an einfachen Programmierern. Gefragt sind stattdessen Spezialisten für Cloud-Technologien, Big Data und künstliche Intelligenz.
Um den künftigen Bedarf an Fachkräften zu decken, kooperieren Unternehmen mit Berufsschulen. Besonders beliebt sind sogenannte Patronatsklassen: Firmen stellen Unterrichtsmaterialien bereit oder bieten Praktika an, um Schüler auszubilden. Auch deutsche Unternehmen wie Volkswagen, Heinz Glass oder der Baustoffhersteller Steico engagieren sich.
Neue Regelungen für Arbeitsmigranten
Viele Arbeitgeber griffen in den letzten Jahren auf internationale Arbeitskräfte aus Drittstaaten zurück, um Stellen zu besetzen. Laut der Versicherungsanstalt ZUS (Zakład Ubezpieczeń Społecznych) gibt es in Polen 1,2 Millionen Ausländer mit einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Die Mitarbeiter kommen aus der Ukraine und Belarus, aber auch aus Asien und immer häufiger aus Südamerika.
Doch nach einem Skandal um Bestechungsgelder für Visa hat die polnische Regierung mehrere Anwerbeprogramme gestoppt. Überhaupt will Polen weniger Arbeitsmigranten ins Land holen - trotz schrumpfender Bevölkerung. In der offiziellen Migrationsstrategie heißt es, "dass die Folgen des demografischen Wandels nicht durch einwanderungspolitische Instrumente bekämpft werden sollten."
Eine Arbeitsmarktreform, die zum 1. Juni 2025 in Kraft trat, regelt die Beschäftigung von Ausländern neu. Landkreise können Berufe festlegen, für die keine Arbeitserlaubnis an Migranten erteilt wird. Außerdem berechtigt ein Schengen-Visum eines anderen Landes nicht mehr zur Arbeitsaufnahme in Polen.
Gleichzeitig müssen Arbeitgeber einen ausländischen Beschäftigten auf Basis eines schriftlichen Vertrags einstellen und diesen Text bei den Behörden einreichen. Eine Erleichterung für Unternehmen ist, dass der bisher verpflichtende Arbeitsmarkttest entfällt. Hier wurde geprüft, ob statt der ausländischen Arbeitskraft ein polnischer Arbeitsloser in Frage kommt.
Polen im weltweiten VergleichFolgende Karte ermöglicht den Vergleich zwischen zahlreichen Ländern weltweit. Bitte beachten Sie, dass die Werte in der Karte aus international standardisierten Quellen stammen und somit gegebenenfalls von Angaben aus nationalen Quellen im Text abweichen können. |