Interview | Syrien | Rechtssystem
"Die Wirtschaft läuft in Syrien auch ohne funktionierendes Recht"
In Syrien gibt es wenig Rechtssicherheit. Ein Gespräch über Investitionen, juristische Realität und ob ein eigentlich bewährtes Rechtssystem erhalten bleiben wird.
25.09.2025
Von Ulrich Binkert | Bonn

Mit Büros unter anderem in Damaskus und Tripolis gilt Amereller Rechtsanwälte als Spezialist für schwierige Märkte in Nahost und Nordafrika. "Keine andere internationale Kanzlei ist derzeit vor Ort in Syrien tätig", sagt im Interview Rechtsanwalt und Amereller-Partner Kilian Bälz, der in den frühen 1990er Jahren in Damaskus Arabisch gelernt hat. Bälz sieht in dem Land ein schwieriges rechtliches Umfeld für deutsche Firmen, aber auch Marktchancen durch Projekte im Gesundheitssektor.
Herr Bälz, haben ausländische Firmen in Syrien schon größere rechtliche Vereinbarungen mit dem Staat abgeschlossen?
Anfang Mai ging eine Konzession des Hafens Latakia an den französischen Betreiber CMA CGM, der dort 230 Millionen Euro investieren wird – darüber wurde ausführlich berichtet. Daneben wurden im Energiesektor einige Abmachungen getroffen, vor allem von Unternehmen aus Katar, der Türkei und Saudi-Arabien. Ansonsten gibt es jedoch vor allem Ankündigungen.
"Internationale Investoren sind zurückhaltend. Sie schauen sich den Markt noch an."
Es sind also keine weiteren westlichen Investitionen im Gange?
Sehr aktiv ist die exilsyrische Business-Community. Diese Leute mit ihrer Verwurzelung im Land bewegen sich in Syrien ganz anders als etwa ein deutscher Mittelständler. Im Übrigen sind die internationalen Investoren zurückhaltend. Sie schauen sich den Markt noch an.
Gibt es denn Rechtssicherheit in Syrien?
Die vielen Jahre Diktatur und Krieg haben die Justiz und Verwaltung geschwächt. Wie sich das für internationale Unternehmen in der Praxis auswirkt, bleibt abzuwarten: Ich kenne keine ausländische Firma, die in der kurzen Zeit seit dem Sturz von Assad schon Rechtsstreitigkeiten bis zum Ende durchgefochten hätte. Der Fokus unserer Syrien-Praxis liegt derzeit auf der Beratung, nicht in der Prozessführung.
Wie sind die rechtlichen Grundlagen?
Das syrische Wirtschaftsrecht ist hoch entwickelt. Nach der Übergangsverfassung gelten die bestehenden Gesetze im Grundsatz fort. Das Zivil- und Wirtschaftsrecht orientiert sich, ähnlich wie in Ägypten und anderen Staaten in Nordafrika und Nahost, stark am französischen Vorbild. Vor Beginn des Kriegs 2011 wurde das Recht zudem modernisiert und stärker mit internationalen Leitlinien kompatibel gemacht. So kamen Gesetze zum geistigen Eigentum und zum Schiedsrecht hinzu.
"Nicht alle wirtschaftlichen Aktivitäten brauchen einen starken staatlichen Rahmen."
Kann sich die Wirtschaft denn ohne funktionierendes Recht entwickeln?
Nicht alle wirtschaftlichen Aktivitäten brauchen einen starken staatlichen Rahmen. Man sieht das in Syrien an der Flut von türkischen Produkten auf dem Markt und an den großen Energieprojekten von Unternehmen aus den Golfstaaten. Die Projekte sind Ausdruck der politischen Unterstützung aus diesen Ländern, die auch eine gewisse Marktöffnung für die eigenen Firmen mit sich bringt. Wichtig ist aber, dass die Regierung sich darum bemüht, attraktive Rahmenbedingungen für ausländische Investoren zu schaffen.
Sehen Sie Parallelen zu Jemen oder Libyen, wo der staatliche Rahmen ebenfalls schwach ist?
Diese Länder sind ganz anders als Syrien. Der Vergleich ist schwierig. Syrien unter Assad war kein Rechtsstaat. Die Verwaltung war aber vor dem Krieg gut organisiert. In Libyen sehen wir derzeit eine Zunahme wirtschaftlicher Aktivität. Die internationalen Unternehmen dort sind realistisch und pragmatisch geworden. Sie machen, was geht. Sie warten nicht ab, sondern wollen das Potenzial des Landes nutzen, und zwar jetzt.
Manche Branchen entwickeln sich auch bei einem schwachen staatlichen Rahmen?
Ja, die Logistik etwa, Zahlungsdienstleister, die Zementindustrie oder der Mobilfunk. Das Handynetz ist in manchen Failed States besser als in Teilen von Brandenburg. In Ländern wie Jemen wird auch wahnsinnig viel gebaut, weil das Geld das Land nicht verlassen kann. Es ist die typische Ökonomie eines – wie Syrien – international lange Zeit sanktionierten Landes.
"Deutsche Bauunternehmen werden bei der aktuellen Sicherheitslage kaum nach Syrien gehen."
Sehen Sie in Syrien unter diesen Voraussetzungen Marktchancen auch für deutsche Firmen?
Deutsche Bauunternehmen werden bei der aktuellen Sicherheitslage kaum nach Syrien gehen. Es fehlt das staatliche Gewaltmonopol. Deutsche Unternehmen könnten auch nicht so schnell und kosteneffizient bauen wie die Türken. Es geht dann höchstens um irgendwelche Spezialbauleistungen oder auch mal die hochwertige Armatur im Badezimmer.
Aber die Energiewirtschaft ist mit ihren Projekten auch für Deutschland interessant?
Sicherlich, es wurde ja darüber berichtet, dass der Chef von Siemens Energy in Damaskus war. Die nächsten Investitionen sehe ich im Gesundheitssektor. Dies wird auch eine gewisse wirtschaftliche Dynamik bringen, selbst wenn die staatlichen Strukturen noch nicht klar und belastbar sind. Die deutsche Regierung unterstützt diesen Sektor im Wege der Entwicklungszusammenarbeit. Da dürften auch deutsche Firmen Beteiligungschancen haben.
"Die nächsten Investitionen sehe ich im Gesundheitssektor."
Die Firmen werden es da mit staatlichen Partnern zu tun haben. Ist das rechtlich nicht problematisch?
Zu beachten sind dabei vor allem die Sanktionen der Vereinten Nationen, die noch gegen den Ministerpräsidenten und den Innenminister in Kraft sind. Der Wiederaufbau eines Krankenhauses, alle Investitionen und Geschäfte müssen rechtlich so strukturiert sein, dass sie nicht gegen bestehende Sanktionen verstoßen. Bei der Lieferung von Gütern nach Syrien muss sicherstellt sein, dass diese nicht sanktionierten Personen oder Organisationen zu Gute kommen. Wird etwa ein Röntgengerät an ein staatliches Krankenhaus geliefert, muss ausgeschlossen sein, dass das Gerät verkauft wird und der Erlös einer sanktionierten Organisation zufließt.
Die neue Regierung ist islamistisch geprägt. Wird sie nicht auch das Rechtssystem danach ausrichten? Der Justizminister und manche neu ernannten Richter sind ausschließlich im Scharia-Recht ausgebildet.
Ich halte die Sorge für unbegründet. Dafür ist die neue Regierung viel zu pragmatisch, sie will ja auch europäische Investoren ins Land holen. Sie wird das Rechtssystem nicht antasten, dies aber mit Rücksicht auf verbündete islamisch-konservative Kreise nicht als Programm proklamieren.