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Wirtschaftsumfeld | Tschechische Republik | Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland

Die Genese: Was deutsche Unternehmen über die Grenze zog

Auf die Samtene Revolution folgte 1993 die Trennung der Tschechoslowakei in zwei Staaten. Zur Modernisierung der tschechischen Wirtschaft trugen deutsche Investoren bei.

Von Miriam Neubert | Prag

Die Dynamik beeindruckt: Im Jahr 1993 tauschten beide Nachbarländer Waren im Wert von gerade einmal 7 Milliarden Euro aus - 2022 waren es 113 Milliarden Euro. Die Tschechische Republik ist Deutschlands zehntwichtigster Handelspartner, hat das Vereinigte Königreich überrundet und ist nach Polen der bedeutendste Partner in Mittel- und Osteuropa.

Für Tschechien wiederum steht Deutschland auf Rang eins, mit in den vergangenen 15 Jahren abnehmender Tendenz von einem Drittel auf circa ein Viertel Anteil am Warenaußenhandel. Dabei erzielt Tschechien seit 2009 kontinuierlich Handelsüberschüsse, die 2022 in einen Spitzenwert von 4,5 Milliarden Euro mündeten.

Fertigungshallen, Logistikzentren, Supermärkte 

Zu Katalysatoren des bilateralen Handels wurden deutsche Unternehmen, die sich in den 1990er Jahren in tschechische Betriebe einkauften und diese strategisch weiterentwickelten oder die auf der grünen Wiese Fertigungshallen, Logistikzentren, Supermärkte aufbauten. Tschechiens EU-Zugehörigkeit ermunterte später weitere Firmen zu dem Schritt über gemeinsame Grenze. Mittelständische Unternehmen, die unter Globalisierungsdruck gerieten, ergriffen die Chance, im Nachbarland kostengünstig produzieren zu können.

Das betraf fast alle Industriebranchen, besonders aber die Automobilindustrie, in der der harte Preiskampf den Verlagerungstrend nach Mittel- und Osteuropa stützte. Die Tschechische Republik bot Investoren technisch gut ausgebildete Fachkräfte, Maschinenbautradition, niedrige Löhne und eine logistische Premiumlage. In Böhmen und Mähren entstanden dadurch massiv neue Arbeitsstellen. Lieferbeziehungen wurden neu oder wieder geknüpft.

Generell haben die pragmatische Ansiedlungspolitik und das Potenzial tschechischer Firmen viel ausländisches Kapital angezogen und das Land rasch in die internationalen Wertschöpfungsketten eingebunden. Besonders stark vertreten sind ausländische Investoren im verarbeitenden Gewerbe: Die Auslandsunternehmenseinheiten verzeichnen hier 69 Prozent der Umsätze und 59 Prozent der Bruttowertschöpfung.

Die Autoindustrie als Erfolgsgeschichte, aber nicht allein

Die deutsch-tschechische Zusammenarbeit startete Anfang der 1990er Jahre mit einem Superlativ - dem Einstieg des Volkswagenkonzerns beim tschechischen Autobauer Škoda. Seither hat sich der Automobilhersteller aus Mladá Boleslav zu einem Global Player entwickelt, der weltweit auf mehr als 100 Märkten aktiv ist. Tschechiens lange Automobilgeschichte erleichterte deutschen System- und Komponentenproduzenten den Zugang. Zu den umsatzstärksten gehören Bosch, Continental und Kiekert, aber auch viele andere deutsche Traditionsnamen wie ZF, Mahle, Borgers, Brose, Hella, Benteler, Knorr-Bremse. Zum Teil betreiben sie mehrere Werke am Standort Tschechien. Es ist kein Zufall, dass die Produkte der Autoindustrie im engeren Sinne beim bilateralen Handel mit rund 16 Prozent ins Gewicht fallen. Deutschland importiert aus keinem anderen Land einen höheren Wert an Kfz-Teilen und -Komponenten.

Das heißt aber auch, dass 84 Prozent auf andere Branchen entfallen, wobei im Maschinenbau, der Gummi- und Kunststoffverarbeitung, Elektronik, Elektrotechnik und Metallbearbeitung ebenfalls viele Betriebe der Autoindustrie zuarbeiten. Dennoch: Das Observatorium für wirtschaftliche Komplexität OEC führte Tschechien 2022 auf Rang 7 der komplexesten Volkswirtschaften, gleich zwei Ränge nach Deutschland. Das hat mit der diversifizierten Produkt- und offenen Handelsstruktur zu tun, zu der die Niederlassungen deutscher Unternehmen beitragen.

So ist der Technologiekonzern Siemens mit sieben Fertigungsstätten eine treibende Kraft bei Produktion und Export von Elektrotechnik und Elektromotoren. Das Maschinenbauunternehmen JUNKER legte 1992 durch Übernahme der Werke des Werkzeugmaschinenherstellers TOS Hostivař den Grundstein für die internationale Gruppe und erhöhte Tschechiens Exportzahlen bei hochpräzisen Schleifmaschinen. Seit über 30 Jahren produziert das Maschinenbauunternehmen Streicher in Plzeň Vakuumtechnik. Ebenso lange ist Hettich, ein Marktführer bei Möbelbeschlägen, in Žďár nad Sázavou engagiert, wo alle Zinkdruckguss-Aktivitäten der Gruppe zusammenlaufen.

Familienunternehmen mit langfristiger Strategie

Die meisten Niederlassungen gehören zu deutschen Familienunternehmen, deren Strategie langfristig ausgerichtet ist. Das gilt auch für den Einzelhandel: Hier vereinen die Schwarz-Gruppe, die Globus-Verbrauchermärkte und der Rewe-Konzern einen großen Teil der Umsätze des Lebensmitteleinzelhandels auf sich. Flächendeckend sind Hornbach, Deichmann, die Tengelmann-Gruppe mit Obi und Kik sowie die Drogeriemärkte Rossmann und dm-Markt vertreten. Die immer komplexeren Logistikbedürfnisse von Industrie und Handel werden auch von deutschen Transport- und Logistikdienstleistern gemanagt wie DHL, Schenker, Dachser, Geis, Hellmann oder Metrans.

Nach Angaben der Tschechischen Nationalbank ČNB betrug der Bestand deutscher Direktinvestitionen Ende 2021 fast 26 Milliarden Euro. Das macht Deutschland mit einem Anteil von gut 14 Prozent zum drittgrößter Auslandsinvestor. Doch sind die Niederlande und Luxemburg auf den ersten beiden Plätzen Länder, die aufgrund von Steuervorteilen auch Firmensitz vieler internationaler, darunter tschechischer Holdings sind.

Auch 30 Jahre nach der Staatsgründung lässt das Interesse deutscher Investoren nicht nach. Im Jahr 2022 registrierte die ČNB einen Nettozufluss deutscher Direktinvestitionen in Höhe von fast 1,2 Milliarden Euro. Rund 45 Prozent waren reinvestierte Gewinne. Es gibt kaum ein deutsches Unternehmen, das angesichts von Arbeitskräftemangel und hohen Energiepreisen nicht in Automatisierung, Digitalisierung und Energieeffizienz investiert.

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