Wirtschaftsausblick | Belgien
Belgiens Konjunkturbarometer schlägt nur zaghaft aus
Internationale Unwägbarkeiten sorgen für eine schleppende Wirtschaftsentwicklung. Mit einer nachhaltigen Wachstumsdynamik wird erst mittelfristig gerechnet.
21.07.2025
Von Michael Sauermost | Bonn
Top-Thema: Belgiens Industrie versteht US-Zölle als Weckruf
In Belgien setzt die aktuelle US-Handelspolitik insbesondere den Chemiesektor und die Stahlindustrie unter Druck. Die unvorhersehbaren Maßnahmen der US-Regierung sorgen zur Jahresmitte 2025 für mangelnde Planungssicherheit. Laut Kim de Raedt vom flämischen Stahldrahthersteller Bekaert erschütterten die US-Zusatzzölle die gesamte Wertschöpfungskette vom Lieferanten bis zum Endkunden.
Die USA sind Belgiens viertgrößter Handelspartner, insbesondere für medizinische und pharmazeutische Produkte – teils als Transitgüter anderer Länder. Belgische Firmen mit US-Standorten sind von den US-Zusatzzöllen zwar weniger betroffen, müssen aber mit steigenden Rohstoffkosten rechnen, da sie globalen Lieferketten unterliegen.
Die Region Flandern erwirtschaftet rund zwei Drittel des belgischen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Der flämische Arbeitgeberverband Voka fürchtet 2025 durch die Zölle Einbußen für das gesamtbelgische BIP um bis zu 2 Prozent. Flämische Exporte in die USA belaufen sich auf etwa 26 Milliarden Euro; der potenzielle Schaden könnte laut Voka bis zu 12 Milliarden Euro betragen.
Der Industrieverband Agoria fordert, Belgien solle stärker von EU-Freihandelsabkommen profitieren, um die Abhängigkeit vom US-Markt zu verringern. Zudem müsse die belgische Wirtschaft diversifiziert und ihre Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden. Die Zölle gelten als Weckruf für Unternehmen.
Wirtschaftsentwicklung: Wachstum bleibt stabil, aber auf niedrigem Niveau
Die Europäische Kommission hat ihre Prognose für Belgien im Frühjahr 2025 gegenüber der aus Herbst 2024 nach unten korrigiert. Sie führt wachsende Unsicherheiten auf den internationalen Märkten und schlechtere Aussichten für das Exportgeschäft als Gründe an. Demnach soll das belgische BIP 2025 real noch um 0,8 Prozent steigen. Für 2026 geht die Kommission von einer zaghaften Erholung auf 0,9 Prozent aus.
Marginal optimistischer sind die Prognosen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Sowohl für 2025 als auch für das Folgejahr erwartet sie ein Realwachstum von 1 Prozent. Die Belgische Nationalbank (NBB) hat ihre Prognosen aus dem Vorjahr deutlich nach unten korrigiert: Gingen ihre Experten 2024 noch von einem Plus von 1,2 und bis zu 1,4 Prozent für 2025 und 2026 aus, ist der Ausblick jetzt verhaltener. Die Zentralbankanalysten prognostizieren 1 Prozent Wachstum nun für 2025, für die beiden Folgejahre jeweils 1,1 Prozent.
Konsum bleibt Knackpunkt für das Wachstum
Die Exportwirtschaft findet sich derzeit in einem schwierigen internationalen Umfeld und dürfte sich im Laufe des Jahres 2025 davon noch nicht erholen. Erst 2026 könnte laut EU-Kommission die Nachfrage aus den Auslandsmärkten wieder deutlicher anziehen.
Das Konsumwachstum der belgischen Privathaushalte dürfte sich 2025 gegenüber dem Vorjahr abschwächen. Die EU-Kommission geht von einem Plus von 1,5 Prozent aus – gegenüber 2,0 Prozent im Jahr 2024. Der öffentliche Konsum soll laut EU-Kommission 2025 um 1,5 Prozent und 2026 um 1,1 Prozent verhalten zulegen. Längerfristig könnte er dynamischer wachsen, wenn die Regierung ihre Pläne umsetzt, die Ausgaben für Verteidigung zu erhöhen. Ein großer Teil dieser Investitionen würde voraussichtlich jedoch in den Kauf ausländischer Produkte fließen, so dass sie nur begrenzt zum inländischen Wirtschaftswachstum beitragen könnten. Niedrigere Energiepreise als im Herbst 2024 angenommen dürften das BIP-Wachstum etwas stützen.
Allgemein erwartet die EU-Kommission für das Jahr 2025 einen Rückgang der Inflation auf 2,8 Prozent. Im Folgejahr soll dann die 2-Prozent-Marke knapp unterschritten werden. Grund dafür ist ein geringerer Preisdruck bei Industriegütern, Lebensmitteln und Energie sowie eine verlangsamte Lohnentwicklung im Dienstleistungssektor.
Investoren spekulieren auf 2026
Bei den Unternehmensinvestitionen rechnet die EU-Kommission für 2025 zunächst mit einem Minus von 0,4 Prozent. Insbesondere im Bausektor sind die Aussichten noch verhalten. Verbesserte Finanzierungsbedingungen könnten aber für einen Aufschwung in den folgenden Jahren sorgen. Für 2026 wird ein Plus von 0,6 Prozent prognostiziert.
Belgiens Haushaltsdefizit wird in den kommenden Jahren voraussichtlich wachsen. Die Gründe: steigende Kosten vor allem für Gesundheitssystem und Renten, Zinsen sowie für Verteidigung. Im Jahr 2026 könnte das Defizit dann 5,5 Prozent des prognostizierten BIP ausmachen. Laut Schätzungen der EU-Kommission dürfte die Staatsverschuldung 2026 auf einen Anteil von knapp 110 Prozent am BIP wachsen, was einem Anstieg von knapp 3 Prozentpunkten im Vergleich zu 2025 entspräche.
Deutsche Perspektive: Bilateraler Handel könnte mit EU-Wirtschaftsaufschwung wieder wachsen
Beim deutsch-belgischen Warenhandel handelt es sich zum großen Teil um Transitlieferungen europäischer Drittländer. Ein Wirtschaftsaufschwung in Europa ist daher für seine Belebung essenziell.
Belgische Warenlieferungen nach Deutschland gingen im Jahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 9 Prozent zurück, nach einem schon deutlichen Minus von 16,8 Prozent im Jahr 2023. Deutsche Exporte nach Belgien sanken 2024 gegenüber dem Jahr zuvor um 3,7 Prozent auf 58,5 Milliarden Euro.
Der Rückgang deutscher Ausfuhren nach Belgien ist zum Teil auf die schwache Performance in der Automobilindustrie zurückzuführen, stärker noch auf die generell schleppende europäische Nachfrage. Sinkende Importe aus Belgien gehen insbesondere auf die Chemie- und Pharmabranche zurück. Dort drücken hohe Energie- und Lohnkosten die Produktion, denn Käufer suchen günstigere Beschaffungsmärkte.
Beide Länder haben sich ehrgeizige Ziele für den Ausbau der Offshore-Windenergie gesetzt. Außerdem rückt Belgien als europäischer Importhub und Transitdrehscheibe für grünen Wasserstoff in den Fokus. Davon dürfte auch Deutschland profitieren.
Weitere Informationen zu Belgien erhalten Sie auf der GTAI-Länderseite.