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Tiefbau: Marktlage und -entwicklung
Die großen Infrastrukturprojekte wurden 2022 weitgehend fortgesetzt. Finanzierungsschwierigkeiten bleiben und Unsicherheiten haben sich im Vorfeld der Wahlen eher verschärft.
28.05.2023
Von Katrin Pasvantis | Istanbul
Finanzierungsprobleme und die Volatilität der türkischen Lira beeinträchtigen weiter Privatisierungsvorhaben und BOT-Betreiber-Projekte (Build-Operate-Transfer). Vorhaben verzögern sich mangels geeigneter Angebote. Ausschreibungen müssen teils mehrfach verschoben werden. Die Baukosten sind gestiegen und Projekte werden oftmals mit hoher Verschuldung abgeschlossen. Wechselkursschwankungen zwangen Unternehmen zudem zuletzt oft, ihre Rentabilitätsrechnungen anzupassen. Im Jahr 2022 ist der Kurs der Lira gegenüber dem Euro und US-Dollar (US$) vergleichsweise stabil geblieben. Die Unsicherheiten über die Rahmenbedingungen von Investitionen haben im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im Mai 2023 jedoch eher zugenommen.
Infrastrukturprojekte in wirtschaftlich wenig entwickelten Landesgebieten haben Priorität. Zu erwähnen sind die Entwicklungsprogramme in Ost- (DAP) und Südostanatolien (GAP) sowie im Konya-Tal (KOP), deren Umsetzung sich über mehrere Jahre erstreckt. Hier spielen vor allem landwirtschaftliche Entwicklungsprogramme mit Bewässerungs- und Energieprojekten eine wichtige Rolle.
Große Eisenbahnprojekte sind im Bau
Derzeit werden landesweit Eisenbahnprojekte im Wert von 27 Milliarden US-Dollar durchgeführt, meldete Adil Karaismailoğlu, der türkische Minister für Transport und Infrastruktur. Das Eisenbahnnetz soll bis 2053 von 13.000 Kilometern auf 28.000 Kilometer ausgebaut werden. Im Jahr 2022 wurden alle kommunalen Schienenprojekte an das Verkehrsministerium übertragen (Performans Programi 2022).
Die türkische Eisenbahngesellschaft TCDD (Türkiye Cumhuriyeti Devlet Demiryollari) baut ein landesweites Hochgeschwindigkeitsnetz auf, das auch noch über die nächsten Jahre hohe Investitionen erfordern würde. Viele Projekte hängen jedoch im Planungsstadium fest.
Das wertmäßig größte Projekt in der Planung ist eine Hochgeschwindigkeitsverbindung auf der Strecke Kirikkale-Corum-Samsun (3,6 Milliarden US-Dollar) zu dem auch der Bau von sechs Hauptbahnhöfen, 119 Tunneln und 64 Brücken gehört. Das Projekt soll als BOT umgesetzt werden. Stand April 2023 gibt es kein Update zum Projekt. Die Designarbeiten für die vier Abschnitte des Megaprojekts sollten bis 2021 beziehungsweise 2022 abgeschlossen werden und die Hauptaufträge jeweils im 4. Quartal 2023 ausgeschrieben werden: Corum-Merzifon (Schienenstrecke: 96 Kilometer; Design: Tumas Turkish Engineering), Merzifon-Samsun (95 Kilometer, Su-Yapi Engineering & Consulting und KMG Proje) und Delice-Corum (95 Kilometer; Yuksel Domanic).
Wasser- und Abwasserprojekte sind häufig verzögert
Für die Trinkwasserversorgung- und Abwasserentsorgung sind kommunale Versorgungsunternehmen, wie ISKI in Istanbul, ASKI in Ankara und BUSKI in Bursa, die wichtigsten Projektträger.
Bei landwirtschaftlicher Bewässerung und der Trinkwasserversorgung der Großstädte ist die staatliche Generaldirektion für Wasserwirtschaft DSI (Devlet Su Isleri Genel Müdürlügü) im Geschäftsbereich des Ministeriums für Land- und Forstwirtschaft der größte Projektträger.
Zahlreiche Dämme zur Trinkwasserversorgung und Kläranlagen sind landesweit in der Planung. Es kommt jedoch häufig zu Verzögerungen. Die Ausschreibung des mehrfach verzögerten Çömlekköy Damms in Edirne soll noch im April 2023 erfolgen, die Vergabe im August (80 Millionen US$, EPC, Status FEED: Beton Su Engineering Consultancy). Die Designarbeiten für den Sapur Damm in der Bitlis Provinz sollen noch laufen und die Vergabe für Mitte 2024 geplant sein (100 Millionen US$; EPC, FEED: Akarsu Mühendislik).
Hohe Investitionen in Ausbau der Energieerzeugung geplant
Bislang ist die Türkei bei der Stromerzeugung in hohem Maße auf importiertes Erdgas und Erdöl angewiesen. Russland ist der mit Abstand wichtigste Lieferant. Die Importabhängigkeit bei Energieträgern soll reduziert werden und Investitionen in Atomkraft, erneuerbare Energien und Kohlekraft stehen auf der Agenda. Bis 2053 möchte die Türkei zudem ihre Emissionen auf "Netto-Null" reduzieren.
Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) ist ein wichtiger Kreditgeber für Projekte in der türkischen Energiebranche. Sie beteiligt sich auch an Unternehmen im Land.
Energiepolitische Ziele 2023 der türkischen Regierung
Indikator | 2018 *) | 2023 |
---|---|---|
Primäre Energienachfrage (in 1.000 t Erdöläquivalent) | 147.955 | 174.279 |
Elektrizitätsnachfrage (in Mrd. kWh) | 303,3 | 375,8 |
Primärer Energieverbrauch pro Einwohner (in t Erdöläquivalent) | 1,8 | 2,0 |
Elektrizitätsverbrauch pro Einwohner (in kWh/Person) | 3.698 | 4.324 |
Anteil des Erdgases an der Elektrizitätserzeugung (in %) | 29,9 | 20,7 |
Anteil erneuerbaren Energien an der Elektrizitätserzeugung (in %) | 32,5 | 38,8 |
Elektrizitätserzeugung aus lokalen Energiequellen (in Mrd. kWh) | 150,0 | 219,5 |
Installierte Kraftwerkkapazitäten (in MW) | 88.551 | 109.474 |
Energiepolitischen Ziele sehen deutlichen Ausbau der Stromkapazität vor
Im Januar 2023 hat die Türkei ihren Nationalen Energieplan und ihre Wasserstoffstrategie bis 2035 veröffentlicht. Die Stromerzeugungskapazität soll bis 2035 nahezu verdoppelt werden und der Anteil der erneuerbaren Energien, zu denen die Türkei auch Atomkraft zählt, soll von rund 50 auf 65 Prozent steigen. Vor allem den Ausbau von Solar treibt das Land stark voran. Aber bei der Planung und Ausschreibung der Projekte kommt es häufig zu Verzögerungen.
Der erste Reaktor eines Atomkraftwerks (AKW), das die russische Rosatom betreiben wird, soll in Kürze ans Netz gehen. Medienberichten zufolge verhandelt die Türkei mit Russland über ein weiteres AKW, für das schon länger ein Betreiber und Financier gesucht wird (Sinop Nuclear Power Plant; 20 Milliarden US$; BOO; vier Reaktoren je 1,12 Gigawatt).
Nationaler Energieplan 2035 der türkischen Regierung *)
2021 (Ist) | 2035 (Plan) | |
---|---|---|
Insgesamt | 99,9 | 189,7 |
Erneuerbare Energien | 49,9 | 124,8 |
Solar | 7,8 | 52,9 |
Wind | 10,6 | 29,6 |
Wasser | 31,5 | 35,1 |
Atomkraft | 0 | 7,2 |
Erdgas | 25,9 | 35,5 |
Kohle | 20,5 | 24,3 |
Die Wasserstoffstrategie skizziert die geplanten Maßnahmen, um die Nutzung und Produktion zu erhöhen. Um grünem Wasserstoff zu erzeugen, scheint die Türkei vor allem auf Solarenergie zu setzen. Bei Elektrolyse-Technologien wäre das Land zum heutigen Zeitpunkt auf Importe angewiesen. Aber Investitionen in die Entwicklung eigener Technologien dürften auf der Agenda stehen.
Ziele der Türkei für grünen Wasserstoff:
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Stand: April 2023