Wirtschaftsumfeld | Tunesien | Konjunktur
Trockenheit bremst Wirtschaftswachstum aus
Die tunesische Wirtschaft entwickelt sich schwächer als erwartet. Nicht nur die fehlende Dynamik ist Grund zur Sorge, sondern auch die schwachen Staatsfinanzen.
29.09.2023
Von Verena Matschoß | Tunis
Internationale Beobachter hatten für Tunesien ursprünglich eine stabilere Wirtschaftsentwicklung im Jahr 2023 vorausgesagt. Aber die starke Trockenheit führte im 2. Quartal 2023 zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion um über 12 Prozent. Insgesamt stieg die Wirtschaftsleistung damit von April bis Juni real nur noch um 0,6 Prozent. Für das Gesamtjahr setzte die Economist Intelligence Unit ihre Wachstumsprognose von 1,8 auf 1,3 Prozent herunter. Die Landwirtschaft spielt eine wichtige Rolle für die tunesische Wirtschaft. Zwar trägt der Sektor nur gut 10 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei, beschäftigt aber knapp ein Fünftel der Arbeitnehmer.
Wirtschaftsentwicklung in der EU entscheidend für Exporte
Die hohe Inflation und Arbeitslosigkeit werden voraussichtlich auch in den nächsten Jahren die Binnennachfrage dämpfen. Und auch die externe Nachfrage ist ungewiss, denn die europäischen Volkswirtschaften wachsen langsamer als erhofft. Für 2023 hat die EU-Kommission ihre Wachstumsprognose auf real 0,8 Prozent nach unten korrigiert. Für 2024 wird - anstelle von 1,7 Prozent - nur noch ein BIP-Wachstum von 1,4 Prozent erwartet. Eine Herausforderung für die tunesischen Exporteure, denn etwa 70 Prozent der Ausfuhren gehen in die EU. In der Textil- und Kfz-Industrie ist Tunesien stark in internationale Lieferketten eingebunden.
Wenn Strukturreformen weiter ausbleiben, erwarten die Analysten der Economist Intelligence Unit in den nächsten Jahren ein Wirtschaftswachstum von real unter 2 Prozent. Vor allem die Staatsfinanzen sind ein Grund zur Sorge. Laut Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird die Staatsverschuldung in diesem Jahr bei 80 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) liegen. Zum Vergleich: Im Jahr 2016 waren es noch etwa 60 Prozent.
Subventionen und Löhne belasten den Staatshaushalt
Um den Staatshaushalt zu entlasten, müsste sich etwas an der Struktur der Ausgaben ändern. Weniger als 10 Prozent der gesamten Ausgaben nutzt der Staat, um in Infrastruktur, Gesundheitswesen und Bildung zu investieren. Im 1. Halbjahr 2023 wurden über drei Viertel der Ausgaben für Lohnzahlungen und Subventionen verwendet. In Tunesien werden Grundnahrungsmittel und Kraftstoffe zu subventionierten Preisen verkauft. Bei steigenden Weltmarktpreisen für Getreide und Energieträger muss der Staat also immer mehr ausgeben, um die Preise niedrig zu halten. Immer wieder kommt es auch zu Versorgungsengpässen, beispielsweise bei Mehl, Reis oder Zucker.
Programm mit dem Internationalen Währungsfonds stockt
Reformen zum Abbau der Subventionen und zum Umbau des Staatssektors waren eigentlich mit dem IWF vereinbart worden. Staatspräsident Kais Saied hat die Umsetzung des 1,9-Milliarden-US-Dollar-Programms aber im Frühjahr 2023 gestoppt. Er begründete den Schritt mit der Befürchtung, dass ein weiterer Abbau der Subventionen die soziale Krise im Land verschärfen könnte.
Der Subventionsabbau ist ein sensibles Thema, denn die sogenannten Brot-Unruhen haben sich in das kollektive Gedächtnis der Tunesier eingebrannt. Zum Jahreswechsel 1983/1984 kam es als Reaktion auf eine starke Erhöhung der Brotpreise zu gewaltsamen Protesten mit geschätzt 100 Toten. Davor hatte sich die damalige Regierung mit dem IWF auf eine Kürzung der Subventionen für Nahrungsmittel geeinigt. Und auch eine Umstrukturierung oder Privatisierung der teils hoch verschuldeten Staatsunternehmen hätte soziale Folgen. Denn bereits jetzt liegt die offizielle Arbeitslosenquote in Tunesien bei 15,6 Prozent.
Devisenreserven erholen sich etwas
Dabei gab es in den letzten Monaten durchaus etwas Entlastung für den Staatshaushalt. Die Tourismuseinnahmen und die Rücküberweisungen der Auslandstunesier stiegen - beides wichtige Devisenquellen. Die Einnahmen aus dem Tourismus erreichten im 1. Halbjahr 2023 sogar 665 Millionen Euro, ein Plus von über 50 Prozent im Vergleich zur Vorjahresperiode.
Hinzu kamen Kredite der Afrikanischen Export-Import-Bank (Afreximbank) und Saudi-Arabiens. Damit liegen die Währungsreserven derzeit bei umgerechnet fast 8 Milliarden Euro, was einer Importdeckung von knapp vier Monaten entspricht.
Stand | 31.12.2021 | 31.12.2022 | 22.09.2023 |
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Devisenreserven, netto (in Mrd. Tunesische Dinar) | 23,3 | 22,9 | 26,6 |
Importdeckung in Tagen | 133 | 100 | 117 |
EU-Gelder hängen vom IWF-Abkommen ab
Ein mehrjähriges Programm mit dem IWF würde dem tunesischen Staat mehr Planungssicherheit geben. Es geht hier auch nicht ausschließlich um die 1,9 Milliarden US-Dollar. Von einer Reformagenda hängen auch weitere Finanzzusagen anderer internationaler Geber, wie zum Beispiel der EU, ab. Diese hatte Tunesien 900 Millionen Euro an Makrofinanzhilfe in Aussicht gestellt - vorbehaltlich eines IWF-Abkommens.
Weitere 150 Millionen Euro sind zudem als Budgethilfe und 105 Millionen Euro für den Kampf gegen die irreguläre Migration geplant. Am 22. September 2023 hat die EU-Kommission angekündigt, 60 Millionen Euro an Budgethilfe als Teil eines früheren Programms und 67 Millionen Euro für den Kampf gegen Schleuser auszuzahlen.