Interview | Ukraine | Start-ups
Von Mariupol über Berlin nach Mykolajiw: Eine Start-up-Geschichte
Alex Kuvallini hat in der Ukraine und in Deutschland ein Start-up gegründet. Mit GTAI spricht er über seinen Weg, Chancen und Herausforderungen.
19.05.2025
Von Martin Gaber | Bonn

Handstree ist eine Crowdfunding-Plattform für einfache Kommunikation und direkte Spenden an lokale gemeinnützige Organisationen in der Ukraine. Gründer Alex Kuvallini hatte sich in verschiedenen Wohltätigkeitsinitiativen engagiert und eine Hepatitis-C-Stiftung ins Leben gerufen. Und dann entschlossen, sein eigenes Unternehmen in Mariupol zu gründen. Wie es dazu kam und wie die Reise weiterging, erzählt er im Gespräch mit Germany Trade & Invest (GTAI).
Warum haben Sie beschlossen, Ihr eigenes Unternehmen zu gründen?
Ich war in verschiedenen Wohltätigkeitsinitiativen engagiert und habe mich dabei gefragt: Warum ist die Durchführung eines Wohltätigkeitsprojekts in der Ukraine so schwierig? Warum muss ich so viel Zeit und Mühe aufwenden, um Spendengelder zu beschaffen? Ich habe dann festgestellt, dass sich die bestehenden karitativen Lösungen überwiegend auf kurzfristige Kampagnen konzentrieren. Außerdem ließen sie Spender und Unterstützer im Unklaren über die laufenden und zukünftigen Aktivitäten dieser Projekte.
"Die Vision war klar: Eine neuartige Wohltätigkeitsplattform zu entwickeln."
So ist 2021 in Mariupol das Konzept für Handstree entstanden. Die Vision war klar: Eine neuartige Wohltätigkeitsplattform zu entwickeln, bei der sichere, transparente und dauerhafte Partnerschaften zwischen Spendern und gemeinnützigen Organisationen im Vordergrund stehen.
Und wie ging es weiter?
Das Team ist gewachsen: Lia Ivolhina und Ruslan Karandieiev sind dazu gekommen und wir haben uns dem Accelerator 1991 in Mariupol angeschlossen. Dort haben wir mit einer Marktforschung und Problemanalyse begonnen. Doch dann kam der russische Angriffskrieg und hat alles unterbrochen. Nur durch einen glücklichen Umstand sind wir im April 2022 in Berlin gelandet.
Dort haben wir den Neuanfang gewagt und fanden, dass es der richtige Zeitpunkt war, um ukrainische Non-Profit-Organisationen zu unterstützen. Wir haben Netzwerke aufgebaut, Plattformen entwickelt und ein Unternehmen in Deutschland gegründet. Im Jahr 2024 haben wir dann unser Hauptunternehmen Handstree UG in Berlin registriert.
Gab es solche Spendenplattformen für Krisenländer nicht schon längst?
Nicht in dieser Form. Wir haben festgestellt, dass es schwierig ist, direkt an ukrainische gemeinnützige Organisationen zu spenden. Gründe dafür sind die Sprachbarriere und das zunehmende Misstrauen aufgrund der wachsenden Zahl von Betrügern, die sich als seriöse Organisationen ausgeben. Daher spenden Europäer lieber über traditionelle Crowdfunding-Plattformen an lokale Organisationen, während ukrainische aufgrund fehlender Ressourcen für ihre Marketingkampagnen auf dem europäischen Markt unterrepräsentiert bleiben.
Bei uns können diese Organisationen direkt mit europäischen Spendern kommunizieren, und dank automatischer Inhaltsübersetzung ohne Sprachbarrieren. Außerdem können sie durch unseren Verifizierungsprozess von Organisationen mit offenen staatlichen Datenregistern und Berichten über ihre Aktivitäten leicht vertrauensvolle Beziehungen aufbauen.
Welche Unterstützung haben Sie bei der Gründung in der Ukraine genutzt?
Unsere Reise in die Start-up-Welt begann mit unserem ersten Accelerator-Programm in Mariupol. Dort sind wir in das Ökosystem eingetaucht, haben unsere Vision verfeinert und lernten die Grundlagen des Aufbaus und der Skalierung eines Start-ups kennen.
"Der ganze Gründungsprozess in der Ukraine hat vielleicht eine Woche gedauert."
In der Ukraine geht alles sehr schnell und digital. Die digitale eGovernment-Plattform DIIA ist dabei eine große Hilfe. An einem Tag haben wir unsere Firma registriert, am nächsten ein Bankkonto eröffnet. Alles online und mit elektronischer Signatur. Der ganze Gründungsprozess in der Ukraine hat vielleicht eine Woche gedauert.
Welche Chancen sehen Sie und welche Herausforderungen erleben Sie als Start-up auf Ihrer Reise?
Als Gründer mit Migrationshintergrund in Deutschland war es eine ziemliche Herausforderung, eine juristische Person zu gründen und ein Bankkonto zu eröffnen. Als das geschafft war, kamen Elster und das Finanzamt – eine ganz eigene Herausforderung.
Aber wir hatten auch tolle Unterstützung: In Berlin fand Handstree bei Phineo ein Zuhause. Der Inkubator hat sich unserer angenommen und uns wertvolle Unterstützung zur Verfügung gestellt. Die Teilnahme des Teams an Veranstaltungen von Phineo hat das Netzwerk innerhalb der Berliner Start-up-Community erheblich erweitert.
"Partner und Start-up-Programme haben maßgeblich dazu beigetragen, Hürden zu überwinden und unsere Mission voranzutreiben."
Insgesamt ist jetzt eine der besten Zeiten, um in Deutschland oder der Ukraine ein Start-up zu gründen. Es gibt Start-up-Programme, die Unterstützung bei der Mittelbeschaffung, beim Networking, beim Mentoring und beim Branchenwissen bieten. Diese Programme verfügen über unschätzbare Ressourcen, die den Gründern helfen, die Herausforderungen beim Aufbau eines Unternehmens zu meistern.
Wo sehen Sie Chancen in der deutsch-ukrainischen Zusammenarbeit?
In erster Linie empfehle ich, die Ukraine als zukünftiges Mitglied der EU zu betrachten, was als Grundlage für eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern dienen sollte. Die Stärkung dieser Partnerschaft ist nicht nur strategisch, sondern auch für beide Seiten von Vorteil.
"Die Ukraine bringt unschätzbares Know-how in den Bereichen Digitalisierung, Cybersicherheit, Dual-Use-Technologien und Prozessoptimierung mit."
Gleichzeitig kann Deutschland eine entscheidende Rolle bei der Bereitstellung von Investitionsmitteln für den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg spielen - eine Anstrengung, die die größte ihrer Art seit dem Zweiten Weltkrieg sein wird.