Dank der umfangreichen Förderpakete der US-Regierung wächst auch der Bedarf an Chemieprodukten. Umweltschutz und Nachhaltigkeit stehen für viele US-Chemiebetriebe im Fokus.
Laut dem Verband American Chemistry Council (ACC) hat die US-Chemieindustrie 2022 ein Plus von knapp 4 Prozent erzielt, wobei die Dynamik im 2. Halbjahr nachgelassen hat. Das wertmäßige Wachstum ist hauptsächlich auf Preiserhöhungen zurückzuführen, da die Hersteller versuchen, die steigenden Rohstoffkosten auf die Käufer abzuwälzen. Die Schwächephase soll noch etwa bis Mitte 2023 anhalten, danach wird eine Erholung erwartet.
Die Wiederaufnahme einiger Großprojekte in der US-Schieferöl- und -gasindustrie wirkte dem Preisanstieg von fossilen Brennstoffen und Energieträgern immerhin entgegen. Allerdings mussten wegen Winterstürmen in Texas erneut Petrochemieanlagen abgeschaltet werden, wie schon im Februar 2021. Das führte Ende 2022 zu erheblichen Produktionsausfällen. Zudem fiel eine Anlage des Betreibers Freeport LNG, die rund ein Fünftel der gesamten US-LNG-Verarbeitungskapazität (Flüssigerdgas) ausmacht, im letzten Sommer aus und wurde erst im März 2023 wieder teilweise hochgefahren.
Branchenunternehmen investieren in Senkung des CO₂-Ausstoßes und Chemikalienrecycling
Die Investitionsausgaben in der US-Chemieindustrie verlagern sich zunehmend auf die Senkung der Treibhausgasemissionen und das Recycling von Chemikalien. Zum einen werden die Umweltauflagen strenger, und zum anderen wollen Investmentfirmen wissen, wie die Konzerne ihre Nettoemissionen senken wollen. Immer mehr Firmen entwickeln neue Rückgewinnungsmethoden, da das bisher übliche mechanische Recycling nicht ausreichen wird, um die ehrgeizigen US-Ziele für eine Kreislaufwirtschaft zu erreichen. So hat Eastman Chemical im Herbst 2022 mit PepsiCo vereinbart, für den Getränkeriesen eine Anlage für das chemische PET-Recycling (Polyethylenterephthalat) zu bauen, die 2026 in Betrieb gehen soll. Eine weitere solche Anlage errichtet der US-Chemiekonzern an seinem Hauptsitz im US-Bundesstaat Tennessee.
Das Kunststoffrecycling zieht zahlreiche Start-ups an, darunter BioCellection, Blueoak Resources, Loliware und Vericool. Auch viele deutsche Jungunternehmen entwickeln neue Verfahren. Sie kooperieren bislang vor allem mit europäischen Industriepartnern, einige schielen aber auch über den Atlantik: So will carbonauten aus dem Raum Ulm, das vielseitig einsetzbare Biokohlenstoffe entwickelt hat, bald neue Standorte eröffnen, darunter auch in den USA.
Üppige Fiskalpakete ziehen Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen nach sich
Riesige Förderpakete wie der Infrastructure Investment and Jobs Act (IIJA) von November 2021, der CHIPS Act von August 2022 und der nur kurz darauf verabschiedete Inflation Reduction Act (IRA) beleben auch die US-Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen. So kurbelt der IIJA Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur über Strom- und Datennetze bis hin zu Forschungseinrichtungen und damit zum Beispiel auch den Bedarf an Bauchemie und polymeren Werkstoffen an.
Der Wohnungsbau, ein weiterer wichtiger Chemienachfrager in den USA, wird sich dagegen in den nächsten Jahren verlangsamen. Hatte die pandemiebedingte Flucht aufs Land den US-Häusermarkt zunächst angeheizt, kehrte sich der Trend durch die kräftigen Leitzinsanhebungen der US-Notenbank um, in deren Zuge sich die Hypothekenzinsen mehr als verdoppelten.
Der Chips Act zielt vor allem auf den Aufbau von Chipfabriken. Riesige Chipwerke entstehen in Arizona, New York, Ohio und Texas. Für die Halbleiterproduktion werden unter anderem Spezialchemikalien von hoher Qualität und hohem Reinheitsgrad benötigt.
Zudem sieht der IRA für Investitionen in den Klimaschutz und die Energiesicherheit staatliche Förderungen und Steueranreize in Milliardenhöhe vor. So beinhaltet er unter anderem Förderprogramme für klimafreundlichen Wasserstoff. Im Gegensatz zur Förderung der Elektromobilität enthält der IRA bei der H2-Produktion keine Local-Content-Vorschriften. Da sich der CO₂-Ausstoß nur durch grüne Energieerzeugung in Kombination mit Energiespeicherung vermeiden lässt, ist auch ein Boom bei Energiespeichern zu erwarten.
Belebung der Automobilproduktion erhöht nicht nur die Nachfrage nach Farben und Lacken
Die Automobilproduktion dürfte sich 2023 erholen, nachdem der globale Rückstau bei den Lieferketten und der Halbleitermangel das Wachstum in den letzten Jahren unterdrückt haben. Da die meisten der bis 2025 angekündigten Investitionen in neue Chipfabriken Knotengrößen von 7 Nanometer oder weniger betreffen, besteht der Mangel in der Kfz-Branche aber zum Teil fort, denn dort werden vor allem Chips in Knotengrößen von mehr als 90 Nanometern benötigt.
Dennoch wird sich die US-Nachfrage erhöhen – nicht nur nach Farben und Lacken, sondern auch nach Elektroautobatterien und Batterierohstoffen. Im Zuge der Förderung der E-Mobilität durch die üppigen Fiskalpakete kündigen Autobauer immer neue E-Modelle an und erweitern ihre Vor-Ort-Fertigungsstätten. Sowohl der IIJA als auch der IRA verschärfen allerdings zum Teil die Local-Content-Anforderungen, was sich negativ für deutsche Exporteure auswirken kann.
Auch entstehen immer mehr Batteriefabriken. Den Gigafactory-Boom befeuern vor allem südkoreanische Konzerne wie Hyundai, LG und SK On, die riesige Werke in Georgia und Tennessee bauen. Aber auch deutsche Autobauer mischen mit: So investiert BMW 0,7 Milliarden US-Dollar (US$) in ein nahegelegenes Batteriemontagezentrum zu seinem Werk in South Carolina. Mercedes-Benz nahm bereits im März 2022 eine Batteriefabrik für sein Alabama-Werk in Betrieb. Das Beratungshaus AlixPartners schätzt, dass Autofirmen und Zulieferer bis 2026 in den USA mehr als 38 Milliarden US$ in neue Batteriewerke investieren werden.
Hoch im Kurs dürften in den nächsten Jahren Recyclinglösungen für E-Auto-Batterien stehen. Die US-Recyclingfirma Aqua Metals prognostiziert den US-Markt hierfür auf knapp 19 Milliarden US$ im Jahr 2030 – ausgehend davon, dass in den USA bis dahin rund 15 Millionen Tonnen solcher Batterien ausgemustert werden.
Ausgewählte Investitionsprojekte der chemischen Industrie in den USA (Investitionssumme in Millionen US-Dollar)
Projekt/Akteur | Investitionssumme | Projektstand |
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Neuer Petrochemiekomplex, Texas/CPChem und QatarEnergy | 8.500 | Bauabschluss bis 2026 geplant |
Neue Anlage zur Herstellung von blauem Ammoniak, Louisiana/Ascension Clean Energy | 7.500 | endgültige Investitionsentscheidung und Baubeginn 2024 geplant, sodass erste Produktionsphase 2027 anlaufen könnte |
Bau einer Anlage zur Produktion von grünem Wasserstoff, Texas/Air Products | 4.000 | Produktionsbeginn voraussichtlich 2027 |
Bau einer Batteriefabrik für Elektrofahrzeuge, Michigan/Ford | 3.500 | Produktionsbeginn voraussichtlich 2026 |
Bau einer Nickel-Kobalt-Mangan-Aluminium-Kathodenmaterial-Produktionsstätte, Tennessee/LG Chem | 3.000 | Produktionsbeginn voraussichtlich 2027 |
Bau einer Anlage für blaues Ammoniak/OCI | 1.000 | Produktionsbeginn voraussichtlich 2025 |
Ausbau der Produktionskapazitäten für grünen Wasserstoff, Kalifornien/Linde | keine Angabe | Inbetriebnahme des ersten von mehreren geplanten 5-Megawatt-Protonenaustauschmembran-Elektrolyseuren (PEM) im 2. Halbjahr 2024 geplant |
Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest 2023
Stand: Februar 2023
Von Heiko Steinacher
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San Francisco