Das Wachstum in den industriellen Abnehmerbranchen gibt der Chemieproduktion neuen Schwung. Gleichzeitig setzt die Branche auf regulatorische Erleichterungen unter Trump.
Die US-Chemieindustrie kann im Jahr 2025 endlich mit Wachstum rechnen. Der Branchenverband American Chemistry Council (ACC) prognostiziert einen mengenmäßigen Anstieg der Produktionsleistung um 1,9 Prozent. Im Folgejahr 2026 könnte sich die Dynamik mit einem Plus von 2,9 Prozent weiter beschleunigen. Damit gelingt der Branche die Trendwende, denn 2024 hatte es mit -0,4 Prozent den zweiten Produktionsrückgang in Folge gegeben (2023: -0,2 Prozent).
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%
der weltweiten Chemieproduktion entfallen auf die USA.
Der Aufschwung hat seine Wurzeln in der erstarkenden Industriekonjunktur. Mehr als 80 Prozent der in den Vereinigten Staaten hergestellten Basis- und Spezialchemikalien fließen in andere Industriesektoren ein. Nach Jahren der Stagnation soll die US-Industrieproduktion 2025 um 1,1 Prozent wachsen, 2026 sogar um 2,1 Prozent. Laut dem ACC befinden sich 16 der 20 wichtigsten Abnehmerindustrien auf Wachstumskurs – dies setzt kräftige Impulse für die Chemie.
Auch mit der Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus werden in der chemischen Industrie positive Erwartungen verbunden. Nachdem unter Joe Biden noch lautstark eine zunehmende Überregulierung beklagt wurde, rechnet die Branche mit einer signifikanten Reduzierung von Vorschriften und regulatorischer Aufsicht unter Trump. Dies betrifft insbesondere die Environmental Protection Agency (EPA). Unter ihrem neuen Chef, dem Trump-Getreuen Lee Zeldin, dürfte die Umweltschutzbehörde in nächster Zeit wieder auf Deregulierung setzen. Bereits während der ersten Amtszeit Trumps wurden etwa 100 Umweltvorschriften der EPA zurückgenommen oder abgeschwächt.
Hunger nach Plastik immer größer
Insbesondere die Nachfrage nach Kunststoffen bleibt ungebrochen hoch. Laut Prognosen von Freedonia dürfte der Gesamtbedarf bis 2028 auf 38,1 Millionen Tonnen ansteigen. Dies entspricht einer durchschnittlichen Wachstumsrate von etwa 0,7 Prozent pro Jahr.
Materialien wie PET oder Leichtkunststoffe profitieren von einem steigenden Bedarf in der Verpackungsindustrie. Coca-Cola erwägt nach Aussage von CEO James Quincey bereits, den Fokus stärker auf PET-Flaschen zu legen, sollten die von Trump auf 25 Prozent erhöhten Zölle für Aluminiumimporte Bestand haben. Zahlreiche Verpackungshersteller könnten diesem Beispiel folgen, um höhere Kosten für Aludosen zu vermeiden. Die Nachfrage nach Leichtkunststoffverpackungen wird maßgeblich von der Lebensmittelindustrie angetrieben. Prognosen der Flexible Packaging Association (FPA) zufolge wird das Verpackungsvolumen in diesem Sektor zwischen 2024 und 2027 jährlich um durchschnittlich 2,3 Prozent wachsen.
Wegen der Elektromobilität werden auch in der Automobilindustrie immer mehr Kunststoffe verbaut. Laut Analysen des ACC ist die in einem elektrischen Mittelklassewagen verwendete Plastikmenge im Schnitt um etwa 48 Prozent höher als in einem vergleichbaren Verbrenner. Dabei dient Plastik beispielsweise der Gewichtsreduktion oder der elektrischen Isolierung. Trotz der Verzögerungen bei einzelnen Projekten wird erwartet, dass die Produktionskapazität für Elektroautos von 1,7 Millionen Einheiten im Jahr 2024 auf 4,7 Millionen Einheiten im Jahr 2028 ansteigt. Dieser Zuwachs dürfte auch den Bedarf an Kunststoffen erhöhen.
Auch die Bauwirtschaft beflügelt die Chemienachfrage
Ein wichtiger Treiber ist zudem die Bauindustrie. Ein neu gebautes Einfamilienhaus verschlingt in den USA rund 15 Tonnen an chemischen Produkten. Im Jahr 2024 wurde mit dem Bau von 1,36 Millionen Wohneinheiten begonnen, was einem Rückgang um 3,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Für die Zukunft rechnet der ACC mit einer Belebung der Baukonjunktur. Die Zahl der Baustarts soll 2025 und 2026 auf 1,4 Millionen beziehungsweise 1,5 Millionen Einheiten steigen.
Neben Isoliermaterialien, Kunststoffrohren, Bodenbelägen und Fensterrahmen profitiert davon auch die Nachfrage nach Farben und Lacken. Laut Prognosen des Consultingunternehmens ChemQuest dürfte die Gesamtnachfrage im Jahr 2025 um 2,3 Prozent auf rund 5,3 Milliarden Liter ansteigen. Mit einem mengenmäßigen Anteil von rund 60 Prozent bildet der Architekturbereich das wichtigste Marktsegment. Prognosen zufolge wird der Verbrauch von Architekturfarben im Jahr 2025 rund 3,1 Milliarden Liter erreichen. Auf Industrie- und Speziallacke entfällt ein Marktanteil von 30 beziehungsweise 23 Prozent. Steigerungen in der Transportgüter-, Metall- und Elektroindustrie sorgen auch hier für Belebung.
Inländische Produktion von Düngemitteln wird gestärkt
Eine angespannte Einkommenslage bei den Landwirten des Landes sorgt bei Agrarchemikalien für durchwachsene Aussichten. Fallende Weltmarktpreise tragen dazu bei, dass die Erlöse für Feldfrüchte laut U.S. Department of Agriculture (USDA) im Jahr 2025 voraussichtlich um 5,6 Milliarden US-Dollar (US$; -2,3 Prozent) sinken. Die Ausgaben für Betriebsmittel stehen unter Druck: Laut USDA sollen die Ausgaben der Farmer für Düngemittel im Jahr 2025 um 11,1 Prozent auf 29,2 Milliarden US$ fallen. Bei Pflanzenschutz beträgt der Rückgang 6 Prozent auf 18,1 Milliarden US$. Neben niedrigeren Produktionskosten spielt auch die Nachfrage eine Rolle – etwa durch vermehrten Einsatz von preisgünstigen No-name-Mitteln, was deutschen Anbietern wie BASF und Bayer schadet.
Mit dem Fertilizer Production Expansion Program verfolgt die USDA das Ziel, die inländische Düngemittelproduktion zu erhöhen. Bis Dezember 2024 wurden insgesamt 517 Millionen US$ für 76 Projekte vergeben. Dadurch soll sich die Düngemittelproduktion jährlich um 11,8 Millionen Tonnen erhöhen. Die Michigan Potash & Salt Company erhielt von der US-Regierung eine Kreditgarantie in Höhe von 1,3 Milliarden US$ für ein Vorhaben in Evart Township (Michigan). Die Anlage für jährlich 800.000 Tonnen Kali und 1 Million Tonnen Salz soll 2028 in Betrieb gehen. Derzeit werden 90 Prozent des Kalibedarfs der USA importiert. Wabash Valley Resources plant für 2,4 Milliarden US$ die ammoniakbasierte Herstellung von Düngemitteln in Indiana, ab 2027 sollen dort jährlich 500.000 Tonnen produziert werden.
Was bedeuten Trumps Zölle für die US-Chemieindustrie?
Die amerikanische Chemieindustrie startete eigentlich mit optimistischen Erwartungen in das Jahr 2025. Aber Wachstumsrognosen des ACC wurden aufgestellt, bevor Trump am 2. April 2025 zum Zollhammer gegen den Rest der Welt ausholte. Seitdem rudert der US-Präsident schrittweise zurück. Reziproke Zölle gegen rund 60 Staaten (in Höhe von teilweise bis zu 50 Prozent) wurden bis Anfang Juli 2025 ausgesetzt, um Verhandlungen zu ermöglichen. Ein Basiszollsatz von 10 Prozent bleibt derweil in Kraft.
Auch mit China wurde im Mai 2025 eine vorübergehende Einigung erzielt, die gegenseitigen Zölle für einen Zeitraum von 90 Tagen deutlich zu senken: Die US-Regierung reduziert ihre Zölle auf chinesische Importe von 145 Prozent auf 30 Prozent, während China seine Zölle auf US-Waren von 125 Prozent auf 10 Prozent senkt.
Durch dieses Einlenken blieb die Chemieindustrie bislang von den schlimmsten Auswirkungen verschont. Aber die Gefahr ist dadurch nicht gebannt. Sollten Verhandlungen über Handelsabkommen scheitern und die ausgesetzten Zölle wiederaufleben, wäre auch die Chemie betroffen – mit negativen Folgen für Lieferketten, Kosten und Gewinne.
Angst vor Gegenmaßnahmen: Die Chemie ist einer der wenigen US-Industriezweige, der einen Handelsüberschuss erzielt. Für 2024 wird dieser auf 32 Milliarden US$ geschätzt. Branchenverbände fürchten deshalb vor allem die Gegenmaßnahmen, die durch Trumps aggressive Zollpolitik hervorgerufen werden könnten. Bei Produkten wie Polyethylen, Ethylenglykol, Polyvinylchlorid, Essigsäure sowie bei Polypropylen und Methanol haben die USA teils große Produktionsüberschüsse und sind anfällig für Vergeltungszölle. Die EU bereitet bereits eine Liste mit US-Waren vor, die mit Gegenzöllen belegt werden können, falls Verhandlungen mit der Trump-Regierung scheitern. Darunter beispielsweise auch 60 spezifische Kunststoff- und Gummiprodukte aus den USA.
Benötigte Importe werden teurer: Bei einigen Stoffen wie Benzol, Melamin und Methyl-Ethyl-Keton haben die USA ein Handelsdefizit und sind auf Importe angewiesen. Höhere Zölle darauf würden die Kosten für nachgelagerte Chemieprodukte erhöhen. Deutschland liefert vor allem Fein- und Spezialchemikalien in die USA.
Jedoch profitiert die Chemiebranche davon, dass Importe aus Kanada und Mexiko, welche die Vorgaben des Freihandelsabkommen USMCA erfüllen, nach einem Einlenken von Trump weiter zollfrei in die USA geliefert werden können. Mexiko ist für die USA der wichtigste Lieferant von Flussspat und Flusssäure. Flussspat ist Ausgangsstoff für Fluorchemikalien wie Kältemittel und Fluorpolymere wie Teflon. Viele Alkylierungsanlagen verwenden Flusssäure als Katalysator. Auch die Raffineriebetreiber atmen auf. Die US-Raffinerien im Mittleren Westen und der Golfküstenregion sind so konfiguriert, dass sie schweres Rohöl verarbeiten, welches größtenteils aus Kanada und Mexiko kommt. Durch Trumps Rückzieher kann USMCA konformes Rohöl aus den beiden Nachbarsstaaten vorerst weiter zollfrei in die USA geleitet werden.
Indirekte Folgen für die Chemienachfrage: Die durch Trump ausgelösten Handelsstreitigkeiten dürften sich indirekt auf die Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen auswirken - mit Folgen auch für deutsche Unternehmen. So erzielen die USA einen bedeutenden Handelsbilanzüberschuss bei Agrarprodukten. Hier fallen insbesondere die von China verhängten Gegenzölle ins Gewicht, da die Volksrepublik bislang ein Hauptabnehmer von amerikanischen Nahrungsmitteln war.
Dies dürfte die Einnahmen der einheimischen Landwirte belasten, was wiederum die Nachfrage nach Agrarchemikalien wie Düngemitteln, Pestiziden und Herbiziden dämpfen könnte. Bereits während Trumps erster Amtszeit musste das USDA Landwirte mit 28 Milliarden US$ unterstützen, um sie für die Verluste durch den Handelsstreit mit China zu entschädigen.
Auch in der Kfz-Industrie drohen negative Folgen. Trumps Autozölle dürften zu höheren Produktionskosten und Neuwagenpreisen führen. Ein daraus folgender Nachfragerückgang dürfte auch das Produktionsvolumen für Kfz beeinträchtigen – mit entsprechenden Folgen für Chemieprodukte wie Lacke oder Kunststoffe.
Von Heiko Stumpf
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San Francisco